Kapitel 5

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Thorsten:

Seine Frau hatte also eine Affäre. Mit einer anderen Frau. Das hätte Thorsten noch vor einigen Wochen völlig aus dem Konzept gebracht. Wahrscheinlich wäre er völlig ausgeflippt und wieder in eine Depression verfallen. Aber er hätte ihr auch vergeben. Er liebte seine Frau und für Thorsten gehörte Vergebung zur Liebe dazu. Die Menschen waren nicht perfekt. Und die Menschen würden niemals perfekt werden, wozu rein logisch gesehen jetzt auch keine Zeit mehr war. Natürlich fragte Thorsten sich, ob es einen Unterschied machen würde, ob seine Frau eine Affäre mit einem Mann oder eben mit einer Frau hatte. Aber das machte für ihn eigentlich keinen Unterschied. Ehrlicherweise war eine Affäre mit einer Frau noch viel schlimmer, denn das bewies Thorsten nur, dass er seiner Frau nicht das geben konnte, was sie wirklich zum glücklich sein brauchte. Das etwas fehlte, dass er nicht besaß und auch niemals besitzen würde.

Er überlegte noch, ob er seine Frau später darauf ansprechen sollte, als er plötzlich ein furchtbar trauriges Gefühl empfand. Das Gefühl kam wie aus dem nichts und übermannte ihn völlig. So, als wäre etwas Grauenhaftes geschehen. Und es war ihm klar, es war etwas Schreckliches passiert. So ähnlich hatte er sich gefühlt, als damals seine Mutter einen schrecklichen Unfall hatte, bei dem sie starb. Es war der gleiche stechende Schmerz in der Brust. So als zöge sich sein Herz vor unendlichem Kummer zusammen. Das Gefühl war so überwältigend, dass er sich nicht mehr auf die Straße konzentrieren konnte. Er verlor die Kontrolle über den Wagen und raste in ein parkendes Auto. Der Airbag öffnete sich, der Anschnallgurt zog sich um seine Brust und raubte ihm den Atem. Thorsten verlor das Bewusstsein.

Als er wieder zu sich kam, waren schon einige Menschen zu ihm geeilt. Es war schon komisch, vor dem Tag der Verkündung wären niemals so viele Menschen gekommen, um zu helfen. Da hätten die Menschen erstmal nur geglotzt. Aber Thorsten war sich sicher, dass das Interesse an Katastrophen nicht mehr von Neugierde gesteuert war. Inzwischen halfen die Menschen sobald irgendwo etwas passiert war. Wahrscheinlich nur, weil sie sich so erhofften einen Deal mit dem Schicksal auszuhandeln. Wer würde schon einen ganzen Planeten von guten Menschen auslöschen. Hilfe gab ihnen Hoffnung. Schade nur, dass die Menschen das erst jetzt begriffen. Wie schön wäre die Welt gewesen, wenn jeder schon früher so gehandelt hätte.

Ein bärenstarker Mann half Thorsten aus dem Wagen. Ein anderer Mann half, indem er Thorstens Beine raus zog. Thorsten konnte noch die Tätowierung am Hals des Bären erkennen. Es war ein Hakenkreuz. Und der Mann der seine Beine hielt, war ein Türke. Thorsten musste unfreiwillig Lachen. Vielleicht gab es ja wirklich noch Hoffnung für die Menschen. Doch plötzlich übermannte ihn wieder dieses starke Gefühl. Wenn nicht einmal ein Autounfall im Stande war, ihn dieses Gefühl vergessen zu lassen, war wirklich etwas geschehen. Als die Männer Thorsten auf die Beine geholfen hatten, versuchte dieser aufzustehen. Er musste nach Hause. Doch seine Beine versagten ihren Dienst und Thorsten stürzte zu Boden. Unzählige Hände griffen sofort nach ihm, halfen ihm auf. Einige Helfer forderten auch, dass er sich hinlegen sollte und auf einen Krankenwagen warten sollte, was wirklich blauäugig war. Krankenwagen kamen schon seit Wochen nur noch in den seltensten Fällen. Doch Thorsten musste nach Hause. Und dieses Mal funktionierten seine Beine. Er blieb stehen, wenn auch nur auf wackeligen Beinen. Und dann rannte er los. Niemand hielt ihn auf, alle schauten nur überrascht. Einige schrien, er solle stehen bleiben. Dass er verletzt wäre. Was mit seinem Auto geschehen soll?

Doch all das interessierte ihn nicht. Thorsten musste nach Hause. Er musste zu seiner Familie. Er musste wissen, was geschehen war. Und deswegen rannte er. Doch je weiter er rannte, desto unsicherer wurde er. Er erkannte die Straßen um sich herum nicht. Konnte das sein? Gab es wirklich noch eine Straße in Berlin die er nicht kannte. Und dann noch so eine große? Thorsten wurde langsamer, je unsicherer er wurde. Schließlich blieb er stehen und blickte sich um. Er erkannte nichts. Er wusste nicht wo er war. Thorsten atmete tief ein. Jetzt galt es sich zu beruhigen, vielleicht war sein Kopf nur durch den Unfall vorübergehend unfähig sich zu konzentrieren. Vor Jahren hatte er sich einmal den Kopf gestoßen und wollte dann an einem Geldautomaten Geld abholen. Doch er hatte seine PIN vergessen. Und je mehr er sich anstrengte, desto weniger schien er sich an die Nummer zu erinnern. Also versuchte Thorsten sich jetzt nicht zu stark zu konzentrieren, er musste an etwas anderes denken. Er musste seinen Kopf frei machen, dann würde ihm schon wieder einfallen wo er war und wie er nach Hause kam.

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