Kapitel 3

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Nick:

„Irgendwo muss er doch sein" sagte Nick laut zu sich selber. Er war mitten auf einer der belebten Straßen in Berlin Mitte. Doch ob man in dieser Zeit mit dem Himmel, einem Freund oder zu sich selbst sprach, interessierte keinen mehr. Genaugenommen interessierten die Menschen sich nicht mehr füreinander. Ob sie das jemals überhauptwirklich getan hatten bezweifelte Nick. Der Unterschied zur jetzigen Situation war, dass die Menschen sich auch nicht mehr die Mühe machten Sympathie oder Interesse auch nur vorzutäuschen. Die Menschen hatten die Masken der Freundlichkeit abgelegt und schrien sich nun ihre gegenseitige Abneigung ins Gesicht. Und warum auch nicht. Das Schlimmste, das einem passieren konnte war, dass man getötet wurde. Und in dem jetzigen Fall war das lediglich eine Abkürzung ins Jenseits. Jenseits war das Stichwort, das Nick wieder auf die Straße der Realität zurück holte.

Zu seiner Überraschung bemerkte Nick, dass Berlin von Tag zu Tag attraktiver wurde. Als ob die Menschen sich die Stadt von den Städteplanern langsam zurückholten. Ungefähr so, wie Pflanzen sich verlassene Häuser nach einiger Zeit wieder holten. Um Ihnen dann neues Leben einzuhauchen. Und zwar die Art Leben, die von der Natur vorgesehen war und nicht wie irgendwelche reichen Stadträte mit dem Geschmack eines Pavianarsches entschieden hatten. Das war auch immer was Nick so an der Graffiti Kultur interessierte. Menschen, die versuchten die Stadt nach ihrem Bild zu gestalten, Rebellen der Straße, die gefragt werden wollten, an was für einem Ort sie lebten. Und jetzt holten sich diese Freidenker die Stadt zurück. Überall wurden kleine Buden aufgebaut, die Häuser wurden verschönert, die Straßen angemalt. Man pflanzte an alle möglichen Ecken irgendwelche Kräuter, Gräser und Blumen. Und an jeder Ecke hörte man Musik. Bands, Straßenmusiker und Alleinunterhalter. Und jeder spielte, was er wollte. Einige Menschen tanzten dazu, andere weinten. Es war wirklich ein kleines Paradies. Nur komisch, dass erst die Zivilisation untergehen musste, bevor diese echte, reine Zivilisation entstehen konnte. Man merkte, dass die Welt schon immer wunderschön war und lediglich von den großen Konzernen klein gehalten worden war. Aber jetzt waren die Menschen befreit von den Fängen der kapitalistischen Gesellschaft. Und das Beste war, die Drogen gab es umsonst dazu. Was wollte man mehr?

Früher war Nick oft stundenlang durch die Straßen geschlichen und hatte nach angerauchten Joints gesucht. Zwei bis drei angerauchte Joints ergaben eine wundervolle Tüte. Dann begann er sich für härtere Drogen zu interessieren. Und die fand man eben nicht auf der Straße. Und teuer waren sie dazu auch noch. Also begann er zu stehlen. Eines Tages klaute er dann etwas in so einem kleinen Handyladen. Doch der Besitzer hatte ihn erwischt und ihn in ein Hinterzimmer gesperrt. Zusammen mit seinem Sohn. Tarik.

Wenn man das erste Mal auf einen anderen Menschen trifft, dann weiß man oft relativ schnell intuitiv, ob man sich „riechen" kann, ob man sich versteht. Und Nick und Tarik verstanden sich auf Anhieb. Schnell stellte sich heraus, dass sie auf der gleichen Schule waren und dasselbe Mädchen liebten. Und da beide von einem starken Geltungsdrang beherrscht waren, machten sie eine Wette. Sie wollten zu dem Mädchen gehen und sie fragen, wen sie besser fand. Ihn Nick, oder Tarik. Würde Nick gewinnen, dann würde er frei kommen, wenn Tarik gewann, dann würde Nick sich freiwillig der Polizei stellen. Also brachen sie zusammen aus dem kleinen Raum aus und liefen zu dem Mädchen. Das war jedoch nicht da und so warteten sie bis spät in die Nacht, doch das Mädchen kam nicht zurück. Wie sich dann herausstellen sollte, war sie an dem Tag von einem LKW angefahren worden. Sie starb noch an der Unfallstelle. Nick und Tarik waren sich sicher, dass das was zu bedeuten hatte. Was, wussten sie selber nicht so genau, aber von diesem Tag an waren die beiden Freunde.

Und jetzt war Nick unterwegs zu Tarik. Er brauchte seine Hilfe. Nick hatte nämlich einen großen Fehler begangen. Auf der Suche nach Drogen war Nick zusammen mit den Zwillingen zu einem ihm unbekannten Dealer gegangen. Ein wirklich mieser Typ, mehr so Typ Tuco und weniger Walter White. Er fühlte sich dabei nicht gut, aber in diesen Zeiten konnte man nicht wählerisch sein. Man nahm, was man bekommen konnte. Und die Droge der Apokalypse war HdA – Herz der Apokalypse, eine Mischung aus Extasy, Amphetaminen und irgendwelchen anderen Glücklichmachern. Und wenn man das Zeug nahm, dann fühlte man sich wie eines dieser viel zu zufriedenen Glücksbären aus dem Fernsehen. Man konnte quasi positive Energie aus seinem Bauch schießen und die ganze Welt glücklich machen. Und das konnte die Welt zurzeit auch gebrauchen. Einige seiner Kumpels, die nicht an den Weltuntergang glaubten, sondern an eine riesengroße Verschwörung, behaupteten, dass HdA von der Regierung hergestellt wurde, um die Menschen glücklich in den Untergang gehen zu lassen. Nick hielt das für gequirlte Scheiße, warum sollten sie das machen? Dazu gab es natürlich auch verschiedene Theorien, aber die gängigste war, dass die Mächtigen und Reichen erkannten, dass die Menschen sowieso im Begriff waren, sich gegenseitig umzubringen. Man denke nur an die ganzen heißen Konflikte und Kriege im Nahen Osten oder an die Erderwärmung und die Bevölkerungsexplosion. Man konnte an jeder Ecke diesen zivilisatorischen Selbstmord erkennen. Also behaupteten die Verschwörungstheoretiker, dass die Reichen und Mächtigen den Menschen nur einen kleinen Anstoß in die richtige Richtung gaben. Und bis zum Tage des Aufpralls würden sich schon genügend Menschen umgebracht haben, so dass man mit dem Wiederaufbau beginnen konnte. Nick interessierte sich nicht für diese bescheuerten Theorien. Man konnte den Asteroid zwar nicht mit bloßem Auge sehen, aber im Fernsehen zeigten sie dauernd Aufnahmen von diesem riesigen Steinklumpen. Und er kannte Leute, die den Asteroiden auch schon durch ihr Teleskop gesehen hatten.

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