Hannah:
Hannah war zusammen mit ihrer Mutter und Stefan unterwegs zu einem weiteren Comicshop. Hannah selber war sich schon von Anfang an unsicher gewesen, ob diese Mission ein Erfolg werden würde. Aber darauf kam es schließlich nicht an. Ihre Mutter hatte ihrer Tochter versprochen, dass sie für sie das Stickeralbum vervollständigen würde. Und sie war sich sicher, dass ihre Mutter keine Sekunde ruhen würde, bevor sie diesen letzten Sticker nicht finden würde. Warum Stefan jedoch dabei war, war Hannah ein Rätsel. Sie verstand ja, dass Stefan Maya geliebt hatte und sich deswegen verbunden gefühlt hatte. Außerdem war er es, der Maya überhaupt erst auf die Idee gebracht hatte. Und es war das Album von ihm und seinem Vater. Aber trotzdem wirkte Stefan die ganze Zeit wie das fünfte Rad am Wagen. Irgendwie wollte er nicht ganz in die Gruppe hineinpassen. Hannah hatte den stillen Verdacht, dass Stefan noch einen anderen Plan verfolgte. Irgendetwas heckte er aus, da war sich Hannah ganz sicher. Und sie würde es heraus bekommen. Sie befürchtete, dass diese ganze Mission bald in einer Selbstmordmission enden würde, wenn sie nicht alle mit offenen Karten spielten.
Das einzige was Hannah wirklich aufregte war, dass sie ausgerechnet eine Karte von Ronaldo finden mussten. Ronaldo war nun wirklich so ziemlich der einzige Fußballer, den sie ganz und gar nicht leiden konnte. Wenn der Typ schon Anlauf zu einem Freistoß nahm, dann bekam sie zu viel. Und dann diese völlig fehlerhafte Selbsteinschätzung. Bei der Wahl zum »Weltfußballer des Jahres 2012« fragte ihn ein kleiner Junge: „Wie kann ich eines Tages so gut werden wie du?" Ronaldo sagte: "Bleib bescheiden." Hannah konnte sich sogar jetzt noch darüber aufregen. Dabei stand Ronaldo das gleiche Ende bevor, wie allen anderen Menschen. Da würde ihm auch sein ganzes Geld nicht mehr helfen. Oder sein Sixpack. Das sie nun Mal nicht allzu schlecht fand. Hannah fragte sich, was Ronaldo jetzt wohl machte. Ob er sich dachte: Ich habe nur noch wenige Wochen zu leben, dann werde ich wohl jede freie Sekunde Fußball spielen. Immerhin war das ja seine Leidenschaft. Noch vor dem Tag der Katastrophe war Hannah immer von der Idee besessen, dass sie, wenn sie wüsste, wann sie sterben würde, sich nur noch ihrer Leidenschaft hingeben würde. Dann hatte sie darüber nachgedacht, was eigentlich ihre Leidenschaft war. Und schnell wurde ihr klar – sie hatte eigentlich keine wirkliche Leidenschaft. Nicht einmal ein Hobby. Zumindest keins, das sie so sehr liebte, so dass sie ihre restlichen Tage damit verbringen wollte. Sicher, sie liebte es, anderen Menschen zu helfen. Desweggen hatte sie ja auch ihre „Sterbebegleitung" ins Leben gerufen. Aber war das nun ein wirkliches Hobby? Sie hatte einmal bei Wikipedia nachgeschlagen:
„Ein Hobby (deutscher Plural: Hobbys) ist eine Freizeitbeschäftigung, die der Ausübende freiwillig und regelmäßig betreibt, die dem eigenen Vergnügen oder der Entspannung dient und zum eigenen Selbstbild beiträgt, also einen Teil seiner Identität darstellt. Das Wort „Hobby" ist vom englischen hobby horse abgeleitet, das mit „Steckenpferd" in beiden Bedeutungen – Kinderspielzeug und Freizeitbeschäftigung – übersetzt wird. Das hölzerne Steckenpferd trägt seinen Reiter nirgendwohin, weil es in den Händen gehalten wird, entsprechend erwirtschaftet das Hobby kein Einkommen und ist kein Beruf."
Wikipedia zum Thema Hobby
Also jemanden beim Suizid zu begleiten war zumindest für sie nicht grade eine Freizeitbeschäftigung, sie sie zur Entspannung und dem eigenen Vergnügen betrieb. Oder etwa doch? Es ist schwer sich selbst Dinge einzugestehen, die moralisch eigentlich verwerflich sind. Denn wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann bereitete es ihr Vergnügen. Und es war ihr Steckenpferd. Bei dem Wort musste Hannah lachen: „Steckenpferd". Ihr Schwester Maya hatte immer „Steppenpferd" gesagt und war davon überzeugt, dass es tatsächlich so hieß. Einmal hatte sich Katharina über Maya lustig gemacht, indem sie ihr ein „Steckenpferd" zu Weihnachten geschenkt hatte. Und Maya musste Lachen. So war sie – sie hatte sich selbst nie wirklich ernst genommen. Die Dinge waren so wie sie waren. Hannah vermisste Maya.
Katharina und Stefan blieben stehen. Sie studierten die Karte in ihren Händen.
„Noch 2 Straßen weiter südlich, dann sind wir da" sagte Stefan. Doch Katharina hörte nicht auf die beiden. Sie ging einfach weiter. Zuvor war sie zu sehr in Gedanken vertieft, um zu erkennen, wo sie waren. Doch jetzt erkannte sie die Straße. Und das Cafe'.
Langsam ging sie auf den Eingang zu. Das Cafe war geöffnet, es kamen gerade ein paar Kunden heraus. Sie hatten alle einen riesigen Coffee-to-go Becher in der Hand. Und sie lächelten. Tatsächlich, sie lächelten. Meine Güte, wie lange hatte Hannah schon kein Lächeln mehr gesehen. Das muss nahezu eine Ewigkeit her sein. Menschen die lächelnd aus einem Laden kamen. Glücklich machender Konsum.
Kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, versagten ihre Kräfte. Hannah wollte, konnte aber nicht weiter gehen. Sie wollte nichts lieber als das kleine Cafe „Weidenhafen" zu betreten. Aber die Erinnerungen, die Guten wie die Schlechten, überwältigten sie. Hier hatte sie nahezu ihr ganzes Studium verbracht. Hier hatte sie später sogar gejobbt. Und hier hatte sie sich verliebt. In Maurice ---
--- der in diesem Augenblick aus dem Cafe heraustrat und direkt auf Hannah zu ging. Hannah sah Maurice und musste zugeben, dass er sich nicht im geringsten verändert hatte. Er hatte immer noch die gleichen langen Haare, zu einem Zopf, einem Männerdutt, zusammengebunden. Er trug ein jeans-Hemd und eine schwarze Jeanshose. Sein Markenzeichen. Soweit Hannah sich zurück erinnern konnte trug Maurice immer nur schwarze Jeans
„Wenn das nicht Hannah ist!" sagte Maurice freudestrahlend und nahm Hannah in den Arm. Hannah war viel zu perplex. Sie war es nicht mehr gewohnt so freundlich behandelt zu werden. Und Umarmungen war sie schon gar nicht mehr gewohnt. Vor allem keine Umarmungen, nach denen sie sich jahrelang verzehrt hatte.
„Mann. Du siehst blenden aus. Komm doch rein!"sagte Maurice und zog Hannah an ihrer Hand in das Cafe.
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Apokalypse Berlin
Science FictionIn genau 52 Wochen wird die Erde zerstört sein. Alles Leben ausgelöscht. Und niemand kann diesem Schicksal entkommen. Ein riesiger Asteroid wird ausgerechnet an Sylvester die Erde treffen. Doch wie damit umgehen? Diese Frage stellt sich auch die woh...