Kapitel 23

15 1 3
                                    

JUSTUS:

„Das schaffen wir niemals!" flüsterte Tammy. Doch Justus antwortete ihr nicht. Er suchte die Mauer nach einer Schwachstelle ab. „Schlimmer als damals zu Ostzeiten..." fügte Tammy hinzu. Auch das ließ Justus unkommentiert.

„Wir finden einen Weg!" sagte er schließlich.

Und Justus würde einen Weg finden. Er war unter keinen Umständen so weit gekommen, um jetzt wieder umzudrehen. Alleine diese ganze Scheiße mit dem KaDeWe hatte ihm viel zu viel Kraft gekostet. Auch wenn die Zeiten sich inzwischen geändert hatten, Justus hatte mehrere Menschen getötet, um so weit zu kommen. Außerdem waren jetzt nicht nur diese beschissenen religiösen Faschistenärsche hinter ihnen her, sondern höchst wahrscheinlich auch die Privatpolizei dieser durchgeknallten Bonzenirren. Und vor denen hatte er wirklich Schiss. Und das nicht nur, wegen dem was sie mit den armen Kids gemacht hatten, sondern vor allem, da es immer noch Söldner gab, die für Geld arbeiteten. Das wollte einfach nicht in Justus Kopf. Wer brauchte heute denn noch Kohle oder ne Altersversicherung? Also blieb nur eine Erklärung – diese Typen töteten andere Menschen aus purem Spaß. Und er hatte es gesehen. Hatte gesehen, wie sie diese armen Kids aus dem zwanzigsten Stockwerg warfen und anschließend noch lachten. Doch was Justus wirklich widerlich fand, war, dass einer von Ihnen, währenddessen eine Pizza aß. Diese Kids waren eingebrochen, weil sie wahrscheinlich seit Tagen nichts zu essen hatten und deshalb mussten sie streben. Und während sie starben, sahen sie ihre Mörder was Essen.

„Ich gehe nicht zurück! Niemals... ich will aus dieser verfluchten Stadt raus!" sagte Justus.

„Und was, wenn es da draußen noch schlimmer ist?" fragte Tammy.

„Dann ist das so." und damit beendete Justus das Gespräch. Er schlich sich weiter vorwärts. Als er sich umdrehte sah er, dass Tammy immer noch zögerte, nur einen kurzen Augenblick, doch dann kam sie schließlich doch. Und auch wenn sie die meisten Menschen meiden mussten, so war er dennoch perfekt vorbereitet. Er hatte die drei wichtigsten Sachen, die man zum Überleben in dieser vorapokalyptischen Scheiße brauchte, um zumindest nicht direkt zu krepieren: An erster Stelle kam Alufolie. Alufolie kam immer an erster Stelle. Sie war zum einen der ideale Topf-Ersatz, da sie nicht verbrennt. Man konnte sie leicht zu einem Topf jeglicher Größe Formen oder die Lebensmittel sogar darin einwickeln. Außerdem bietet Alufolie die perfekte Isolation gegen Kälte. Ob als Unterlage zum Liegen, als Handschuhe oder sogar als Mütze – Alufolie isoliert bestens, lässt sich dabei auch noch leicht formen und ist Wasserdicht. Justus hatte nie so wirklich verstanden, woher Alufolie seinen schlechten Ruf hatte. Dann hatte er noch sein Schweizer Taschenmesser, für das ihn früher immer alle ausgelacht hatten. Sie hatten ihn für einen verfluchten Irren gehalten, als er es damals mit in die Schule gebracht hatte. Heute sind sie wahrscheinlich alle tot. Justus hatte eines dieser ganz speziellen, mit 50 verschiedenen Funktionen. Er liebte dieses Teil einfach. Und dann Feuerzeuge. Justus hatte drei davon. Man vergaß oft, dass Feuer wirklich eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit war. Mit Feuer hatte alles angefangen und mit Feuer würde wahrscheinlich auch alles enden. Auch wenn Justus mal in einem Survivalkurs gelernt hatte, wie man Feuer nur mit Stöcken und einem Stein machen konnte, so war das trotzdem langwierig und irgendwie bescheuert, wenn man einfach ein Feuerzeug mittragen konnte. Wenn man nicht rauchte und es nur ein bis zweimal am Tag benutzte würde es mehrere Wochen halten. Und dann hatte er natürlich noch eine Pistole. Nicht wegen irgendwelchen Tieren oder so, sondern wegen anderer Menschen. Menschen waren wieder die Bedrohung Nummer eins, aber das waren sie wahrscheinlich schon immer gewesen. Früher hätten sie einen verprügelt, heute wird man gehäutet und wahrscheinlich zu Gulasch verarbeitet.

„Dahinten... ich glaube da kommen wir durch!" sagte Tammy und deutete auf ein niedriges Stück Mauer.

„Wir werden dort rüber!" antwortet Justus. Er zeigte auf ein Stück Mauer, dass etwas weiter entfernt war. Und welches wesentlich höher war.

„Da kommen wir niemals rüber!" protestierte Tammy.

„Nein, da kommen wir nicht drüber, das ist ne Falle."

„Ne Falle? Wieso sollte das denn eine Scheiß Falle sein? Ne Falle wofür, für wen? Damit die Menschen in Berlin bleiben?"

„Nein, damit keiner nach Berlin reinkommt. Das ist unser Vorteil."

Tammy schüttelte ihren Kopf.

„Was ist bloß aus den Menschen geworden? Ich verstehe diese ganze Scheiße einfach nicht mehr."

Justus dachte noch darüber nach, was sie mit „dieser ganzen Scheiße" meinte, da hörten sie den ersten Schuss. Offensichtlich versuchten einige Menschen über die Mauer zu gelangen. Und genau wie Justus es vorausgesagt hatte, versuchten sie es genau an der Stelle. Und kamen nicht weiter. Sobald sie sich auf die Mauer gezogen hatten, eröffneten die Gewehre ihr Feuer. Und sie taten das, was Gewehre machten, nur noch präziser als man es erwartete. Innerhalb weniger Sekunden waren die Männer, Frauen und Kinder nur noch eine bleivollgepumpte leblose Masse. Doch der Ansturm an Flüchtlingen riss nicht ab und die Gewehre feuerten erneut.

„Jetzt!" schrie Justus.

„Aber die werden uns platt machen!" stotterte Tammy.

„Komm oder lass es sein..." sagte Justus und rannte los. Tammy überlegte einen Moment, dann rann sie hinter ihm her. Sie liefen direkt auf die große Mauer zu. Und sie kamen sehr gut vorwärts. Jeder Schritt brachte sie der Mauer näher und noch hatte niemand sie entdeckt. Sie waren nur noch wenige Schritte entfernt. Nur noch ein paar Schritte, dann hätten sie es geschafft. Sie hatten die Mauer grade erreicht, als ein ohrenbetäubendes Geräusch ihre Hoffnung auf Leben in Stücke riss. Wie ein zu fest gespanntes Trommelfell durch das ein Bleistift geschlagen wird, zerbarst die Mauer direkt neben Justus und Tammy. Ein LKW hatte sie durchbrochen. Wenige Sekunden später war die Hölle los. Schreiende Menschen, Gewehrschüsse, Explosionen.

Apokalypse BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt