Kapitel 18

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Nick:

„Oh Fuck!" war das erste was Nick von sich gab, als er zu sich kam. Schnell. Angewidert. Denn über sein Gesicht kroch in diesem Augenblick die kleine Ratte, die ihm noch vor kurzem das Leben gerettet hatte. Und jetzt – jetzt knabberte sie an seinem Ohrläppchen, während sie gleichzeitig ihren von Müll klebrigen Schwanz in sein Gesicht steckte. Nick schlug wild um sich. Genug war genug. Bis hier hin und nicht weiter.

Und in der Mülltonne entstand ein bizarrer Kampf zwischen Nick und der kleinen Ratte. Ein Kampf, dessen Sieger nach wenigen Minuten immer noch nicht feststand. Einen Kampf, in dem die Ratte mehrere Male die Oberhand gewann. Doch kurz bevor sie dann zum entscheidenden Schlag ausholen konnte, hatte Nick doch noch geschafft den kleinen Körper zu fangen. Nick öffnete die Mülltonne und schmiss die Ratte so weit weg wie er nur konnte.

„Jetzt sind wir Quitt!!!! Mein Leben für Dein Leben. Und komm ja nie wieder!" schrie Nick aus voller Lunge. Dann fing er an zu lachen und kletterte schnell aus der Tonne. Immer noch lachend. Nick bemerkte nicht, dass er dabei die ganze Zeit von einem kleinen Mädchen beobachtet wurde. Das Mädchen musste kichern, wie dieser nackte Mann aus der Tonne stieg.

Als Nick sie bemerkte, erschrak er so sehr, dass er rückwärts taumelte und direkt in eine große Pfütze fiel. Und zwar durch eine unglückliche Drehung seines Körpers so, dass er direkt mit den Händen und dem Gesicht in das dreckige Wasser fiel. Doch Nick drehte sich schnell um, rollte sich auf die Seite und suchte nach dem Mädchen. Die hielt sich die Hand vor den Mund.

„Haha. Sehr witzig!" sagte Nick, nachdem er die Gegend nach anderen Menschen abgesucht hatte. Aber das Mädchen schien allein zu sein. Aber heutzutage konnte man ja nie wissen.

„Wo sind Deine Eltern?" fragte Nick. Aber das Mädchen zuckte nur mit den Schultern.

„Und Deine Freunde? Verwandte? Brüder? Irgendwer?" wollte Nick dann wissen. Er war immer noch angespannt. Nach den Erlebnissen mit den durchgedrehten Vätern war sogar er vorsichtiger geworden. Doch das Mädchen zuckte wieder nur mit den Schultern.

„Du bist ganz alleine?" wollte Nick wissen. Das Mädchen nickte. „Das tut mir Leid!" sagte Nick. Nick wollte aufstehen, da wurde ihm bewusst, dass er nicht nackt vor einem jungen Mädchen stehen konnte. Sonst hatte er ja so keine Probleme mit Nacktheit, aber das – das ging dann doch ein wenig zu weit. Und irgendwie fühlte es sich auch gut an, wieder ein Charmegefühl zu besitzen.

Nick schaute sich um. „Kannste mir bitte die Zeitung von da vorne geben?" bat er das Mädchen. Die schaute zuerst misstrauisch. Dann zuckte sie wieder mit den Schultern, ging die Zeitung holen und gab sie Nick. Der versuchte völlig umständlich sich die Zeitung um seinen Körper zu wickeln, was irgendwie schief ging. Nick war immer noch so nass, dass sich das Zeitungspapier direkt wieder auflöste. Das brachte das junge Mädchen wieder zum Kichern. Sie gab ihm dann einen alten Müllsack.

„Danke!" sagte Nick. Er schaute das Mädchen nicht an. Die Situation war ihm ungefähr genauso peinlich wie damals beim Abiball, als er mit Miriam auf der Toilette vögeln wollte und ihr stattdessen auf die Haare und das Kleid gekotzt hatte. Kein Grund zu verheimlichen, dass aus dem Sex an diesem Tag nix mehr geworden ist.

„Ich hab noch ein paar Sachen, von meinem Bruder!" sagte das Mädchen.

„Deinem Bruder?" wiederholte Nick. Das Mädchen nickte vorsichtig. „Aber Du sagtest doch, Dein Bruder..:" Nick sprach nicht zu Ende. Er sah, dass der Gesichtsausdruck in dem Gesicht des Mädchens sich veränderte.

„Dein Bruder ist weg... das wusste ich nicht. Tut mir Leid." sagte Nick. Eine steife Entschuldigung, aber für andere klang sie überzeugend. Nach Jahren der Drogenabhängigkeit ging ihm jede Art von Lüge leicht über die Lippen. Da tat einem alles Leid, so lange man bekam , was man wollte.

Das Mädchen ging ein Stück weg.

„Wohin willst Du denn?" rief Nick ihr hinterher. Doch bevor sie um die Ecke bog, blieb sie stehen. Sie drehte sich nicht zu Nick um. Sie wartete einfach. Nick war unentschlossen. In seinem Kopf ging er die verschiedenen Optionen durch. Vielleicht lockte sie ihn in eine Falle. Er hatte Freunde in einem Club davon sprechen hören. Sie erinnerte ihn irgendwie an eines der Tiere aus Märchen, die ganz am Anfang der Geschichte der Heldin über den Weg liefen und diese folgte dann in den tiefen Wald, wo alle möglichen Gefahren auf sie lauerten. Oder an die Berichte über die Spieler von Augmented Reality Spielen, wie Pokemon Go oder Ingress. Dort sind die Spieler einer Fährte gefolgt und dann in einen Hinterhalt gezogen worden. Nick dachte sogar einen Augenblick, dass die wilden Väter hinter diesem Hinterhalt steckten. Auf der anderen Seite war das so ziemlich das Beste, was ihm in letzter Zeit widerfahren war. Nick wollte nicht weiter nackt oder mit einem Müllsack bekleidet – wieso war er eigentlich nicht selber auf diese Idee gekommen – durch die Straßen Berlins rennen. Früher oder später würde man ihn schnappen und dann wahrscheinlich als Perversling kastrieren. Auch hierüber gab es einige Geschichten, an die er aber jetzt lieber nicht denken wollte.

Das Mädchen wartete noch ein paar Augenblicke, dannging sie weiter. Nick musste sich jetzt entscheiden. Verdammt. Also gut. „Warte...Ich komm mit Dir!" schrie Nick und lief dann hinter ihr her!

Apokalypse BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt