Akt 10

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Sobald Mia aus der Tür verschwunden war, erhob ich mich ruckartig und eilte ihr nach kurzer Wartezeit hinterher.

Ich und besorgt?
Nicht doch.
. . . Na gut, vielleicht etwas.
Oder ich werde paranoid.
Letzteres klingt für mich zumindest um einiges logischer.

Ich folgte ihr auch nicht direkt, sondern ließ den Wind für mich sehen.
Ziemlich praktische Fähigkeit, sag ich euch.
Enttäuschenderweise war ich selbst damit nicht in der Lage, alles vollends zu überblicken.
Ein Grund, wieso ich also hier durchs Gebüsch streunerte wie ein überfürsorglicher Wachhund.

Das Ereignis von eben hatte mich für einen Moment komplett aus der Bahn geworfen.
Ich wollte ihr nur einen kleinen Schrecken einjagen, aber nicht so, dass sie dann am ganzen Leibe zitterte wie Espenlaub.
Oder gar weinte.

Ich kannte den Grund für ihr Verhalten nur zu gut.

Ich war ihr Grund.

Trotz ihrem taffen Verhalten von früher, als ich mürrisch in ihr Zimmer geplatzt war, konnte ich deutlich spüren wie sie jede einzelne Sekunde, in der ich in meiner wahren Gestalt vor ihr stand, vorbei wünschte.

Ich war ja selbst schuld daran.
Warum musste ich auch meine manieren vergessen.
Ich wollte sie nicht beißen, so etwas hatte ich nie geplant gehabt, aber ich habe es dennoch getan.
Warum, war mir selbst ein einziges Rätsel.
Und darüber nachzudenken macht es auch nicht ungeschehen.

Ich schüttelte einmal den Kopf, denn priorität hatte jetzt, dass sie sicher nachhause kam.
Vergiss das nicht, Vlad!

Sobald ihr Haus in Sichtweite kam, blieb ich jedoch stehen und beobachtete sie einfach die restliche Strecke über.
Sie hatte die ganze Zeit irgendetwas vor sich hin geflüstert und war irgendwie angespannt, so als würde sie erwarten, dass sie jeden Moment jemand oder etwas aus den Schatten heraus anspringt.

Wer von uns ist nun paranoid?
Na ja, auch egal.
Sie war wieder sicher Zuhause, bedeutet, dass ich mich jetzt meinen eigenen Problemen annehmen konnte.

Also trat ich den Rückweg ins Schloss an.
Man mag sich fragen, wieso ich mich um Mia sorgte.
Meine menschliche Seite, Nils, hätte damit geantwortet, dass sie Freunde sind und sie ihm sehr wichtig ist.
Und was meine andere Seite, Vlad dazu sagt?
Sie ist eine nette Abwechslung zu meinem Alltag.
Solange sie ihren praktischen Nutzen erfüllt, habe ich ein Auge auf sie.
Sobald sie mir jedoch zu langweilig wird oder zu sehr zur Last fällt, habe ich keine Skrupel davor, sie einfach zu töten.

In diesem Moment erinnere ich gerne daran, dass ich kein schlagendes Herz besitze.

Zurück zu den wichtigen Dingen.

Etwas in meinem Hinterkopf rüttelt an seinen Unsichtbaren Wänden.
Ein Gedanke macht sich in mir breit, aber ich schaffte es nicht, ihn zu fassen.
Als öffne ich ein Buch, dessen Seiten leer sind.
Ich versuche im Moment etwas zu lesen, was nicht existiert, was ich nicht sehen kann, was ich mit rationalem Denken nicht begreifen kann.

Darüber könnte ich den Kopf schütteln, würde das alles an seinen Platz rücken?

Was weiß ich, für den Anfang dränge ich diesen Gedanken zurück in die dunkle Leere.

Es reichte, nur einen Fuß auf das veraltete Grundstück zu setzten, und alle hier wussten, dass ich zurück war.

Wo ich stets hinzugehen pflegte, kannten nur die Wenigsten.
Und dies machte es zu einem weit umstritten Thema, dessen Theorien absurder und komischer nicht sein konnten.

Aber es war amüsant, weshalb ich nicht beabsichtige, es in absehbarer Zeit aufzulösen.
Seit der Sache jedoch, als ich Mia auf Händen tragend hier her gebracht hatte, fühlte ich eine gewisse Missgunst.
Solche Fragen, Verwirrung, teilweise Enttäuschung glaubte ich wahrzunehmen, aber das war mir in diesem einen Moment vollkommen egal gewesen.

Kehrt der Einzig wahre zurück zu seinen Wurzeln?

Vermisste er das sterbliche?

Warum brachte er Leben in dieses Heim?

Wieso tötete er sie nicht einfach?

Sei er verweichlicht?

Dies waren Dinge, die hier in letzter Zeit wie ein Lauffeuer kursierten.
Ein Funke.
Die Flamme entzündet sich.
Dann verzehrt sie ohne Reue und Grenzen alles auf seinem Wege.

Ich bestätige, dass Worte immer noch schmerzhafter sein konnten als Taten.
Aber ich interessierte mich nicht dafür, denn ich bin immer noch mehr ein Mann der Taten.
Alles was ich tue, tue ich aus freien Stücken.
Alles beugt sich meinem Willen.
Alles liegt ausgebreitet vor mir, präsentiert auf einem Silbertablett.
Und doch suchte ich nach dem Horizont, etwas, was niemals endete.

In diesem Moment, als ein Engel vor mir stand und seine rot-goldenen Federn zu Boden segelten, glaubte ich zum ersten mal die Sonne zu sehen.
Den Tag zu verstehen, in seiner ganzen Pracht.

Ein weiterer, unnützer Gedanke, den ich nie laut aussprechen dürfte.
Und als ich die großen Hallen entlang ging, begann ich zu summen.

Ich hatte dies alles aufgebaut.

Ich halte dies am Leben.

Ich herrschte über die Nacht.

Mein Wort war hier Gesetz.

Ich hatte mir all dies verdient.

Jeden einzelnen Ziegelstein.

Ich hatte kaum den Thronsaal betreten, und schon stand Wilhelm wieder an meiner Seite.

Er verbeugte sich tief.

So sollte es sein.

Genau so.
Somit ließ ich mich auf den güldenen Thron sinken und stütze abermals meinen Kopf.

Kurz schloss ich meine Augen.
Ein Zeichen der Schwäche, welche ich nur Wilhelm zeigen konnte.
Wer würde auch so dumm sein, sich mit Vampiren anzulegen?

Wilhelm reichte mir einen Brief, sein Blick war steif nach vorne gerichtet.

»Von wem ist das?«

Er räusperte sich kurz, schien passende Worte zu suchen.

»Von den Wölfen.«

Entgegnete er, weiterhin, ohne mich direkt anzusehen.
Ich hob ungläubig eine Augenbraue, nahm den Brief entgegen und öffnete ihn.

Es stimmte, sofort schoss mir der Geruch von Wolfspelz in die Nase.
Ein wahrlich ätzender Geruch.

Ich rümpfte angewidert die Nase, begann aber trotzdem zu lesen.

Mit jeder einzelnen Zeile wurde mein Unglaube größer.
Wurde mir tatsächlich von Hunden gedroht?

»(. . .) Vermeiden sie es deswegen, in jedwelder Weise die Überschreitung dieser Grenzen. Sonst sehen wir uns gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen. Der Befehl steht bereits, dass jeder, der sich unbefugten Zutritt erlaubt, aus welchem Grund auch immer, sofort aus dem Land gejagt oder auch getötet werden darf. (. . .)«

Ich schnaubte, etwas erstaunt über die Dreistigkeit dieser Köter.
Sie stellen es so dar, als könnte ich jeden einzelnen Vampir überwachen.

Somit reichte ich Wilhelm ohne ein einziges Wort wieder den nun geöffneten Brief und gab ihm mit einer lockeren Handbewegung zu verstehen, dass er nun gehen sollte.

Als er mich schließlich alleine zurückließ, summte ich amüsiert die begonnene Melodie weiter.

»Je t'aime, je t'aime toujours. . .«

Rotwein und MondblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt