Akt 38

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Vlad
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»Es ist egal, wer ich bin.
Wollen wir uns nicht einfach eine Weile hinsetzten um ein Glas Wein zu trinken?«

Sie lächelte auf ihre eigene Art und Weise unschuldig, während sie eine Flasche mit roter Flüssigkeit hoch hielt.

Etwas skeptisch betrachtete ich sie, nicht wissend, was ich davon halten sollte.
Vergiften konnte sie mich nicht, also was wollte sie damit erreichen?

»Nun schau doch nicht so. Wenn du so unbedingt wissen willst, was ich für Pläne habe, dann setzt dich endlich. Mir wird ganz flau im Magen, wenn du mich so todernst anstarrst.«

Mit einem seufzen ließ ich mich auf den Stuhl ihr gegenüber nieder und beobachtete, wie sie das Getränk in unsere beiden Gläser goss.

Zögerlich führte ich den Wein an meine Lippen und kostete, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen.

»Also, ich bin aus keinem bestimmten Grund hier. Du kamst mir einfach interessant vor, weshalb ich mit dir reden wollte.«

Ungläubig musterte ich mein gegenüber; wie sie da saß, mit ihren dunkelblonden, glatten Haaren, welche an den Spitzen heller wurden. Mit ihrem etwas rundlichen Gesicht und den etwas dichteren Augenbrauen, welche aber keineswegs störend wirkten. Nicht zu vergessen ihre Augen, welche eine seltsame Mischung aus Grün-Braun-Grau waren. Um ihre Pupille breitete sich ein grüner Kreis aus, der nach außen hin von Braun bis hin zu Grau wechselte. Eine interessante Augenfarbe.

»Irgendwie klingt das nicht gerade überzeugend.«

Sie grinste breit.

»Glaub was du willst, aber ich hätte nichts gegen einen 'Drinking-Buddy'.«

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Ich saß hier schon seit einer Woche und sortierte irgendwelche Papiere auf meinem Schreibtisch.

Die Langeweile erdrückte mich und ich hatte schon vier Selbstmordversuche hinter mir, bei denen ich, zu meinem Leidwesen, immer wieder zu den untoten Lebenden zurückkehrte.

Seit der Sache, als ich mich raus geschlichen hatte, um Mia zu suchen, sah ich mich gezwungen, mich entweder von meinen Subklassen mit Fragen durchlöchern zu lassen, oder aber mich hier im Büro zu verbarrikadieren und mich durch die ganze Bürokratie zu fressen.

Ich und verbittert?
Verzweifelt wohl eher.
Außerdem sterbe ich vor Langeweile.
Ich kann zwar nicht sterben, aber ich sterbe einen psychischen Tod.
So etwas ist um einiges schmerzhafter.

Seufzend haute ich meinen Kopf auf den Tisch.

»Ich bin nützlich. Ich bin nützlich. Ich bin nützlich . . .«

Wiederholte ich dabei wie ein Mantra.

Um ehrlich zu sein, war es mir egal, ob ich einen Nutzen brachte; aber so fühlte ich mich zumindest, als würde ich irgendetwas produktiveres als rumsitzen machen.

Ich hasste es.

Seit einer Woche hatte ich nichts interessantes mehr zu tun.
Außerdem rinnt mir jetzt Blut die Stirn hinunter, weil beim letzten Aufprall mit meinem Kopf, das Holz des Tisches ein wenig gesplittert ist.

Mein Blick schweifte zur Decke, als ich mich wieder in meinem Sessel zurück lehnte.

Tatsächlich, ich hatte ihre Erinnerungen gelöscht, anstatt sie zu töten.
Bei mir sind wohl alle Sicherungen durchgebrannt, dass ich sie einfach so gehen lasse.

Unbewusst wandern meine Finger zu meinen Lippen und dieses eklige ziehen machte sich wieder bemerkbar.
Ich muss unbedingt Wilhelm darauf ansprechen, ob er sich das erklären kann, wenn ich es nicht vergesse.

Selbst die Erinnerung an Nils habe ich ihr genommen, da ich ihr nicht wieder unter die Augen treten wollte, egal, in welcher Gestalt.

Man könnte meinen, ich bin verweichlicht, aber wisst ihr was?, da werde ich noch nicht einmal widersprechen.
Wäre mir ja so oder so zu anstrengend.

Es klopfte wieder an meiner Tür und Wilhelm brachte mir meinen Wein, wie er es jeden Mittag tat.
Mein Glas mit der Flasche stellte er auf einen leeren Platz auf meinem Tisch, an welchen ich problemlos ran kam.

Das Glas mit der Flasche von gestern stellte er auf ein Silbertablett, ging aber nicht sofort wieder, wie es eigentlich üblich ist.

»Junger Herr? Fühlt ihr euch nicht wohl?«

Ich seufzte nur resigniert als Antwort und setzte mich wieder gerade hin, sah dabei aber, dass er mehr von mir erwartete, also sprach ich drei knappe Worte:

»Es geht schon.«

»Wenn ich anmerken darf, ihr wirkt blasser als sonst. Außerdem habt ihr euren Wein nicht ausgetrunken.«

»Was, sorgst du dich etwa?«

Neckte ich ihn, war aber auch neugierig, ob er bejahen würde.

»Ihr Verhalten ist wahrlich besorgniserregend. Wie wäre es, wenn ihr etwas frische Luft schnappen geht und einen Spaziergang im Garten unternehmt?«

»Und die anderen?«

Er verbeugte sich leicht.

»Ich werde dafür sorgen, dass sie euch nicht belästigen werden, junger Herr.«

So kam es also, dass ich nach einer Woche wieder dazu in der Lage war, das Sonnenlicht zu erblicken.

Ich konnte zwar ein zischen nicht unterdrücken, als die Sonne wieder meine Haut berührte, aber weitergehend war da nichts mehr.

Was ich wahrscheinlich noch nicht erwähnt hatte:
Ich liebte Blumen.
Leider war ich aber nicht in der Lage dazu, jederzeit irgendwelche Blumen in dieser Gestalt anzufassen, weil sie sonst verwelkten.

Etwas widersprüchlich, sagt ihr?

Nun, um es mal kurz zu erklären, so kann ich normale Blumen nicht anfassen, was an meiner Ausstrahlung liegt.

Solange die Blumen einen gewissen Grad an Magie besitzen, können sie dem allerdings widerstehen.

Der Grund, warum ich als Nils Pflanzen anfassen kann, liegt darin, dass ich in dieser Gestalt meine Aura unterdrücke.

Dies ist zwar sehr anstrengend, aber über einen gewissen Zeitraum funktioniert es, also brauch ich mich auch nicht beschweren.

Manchmal wünsche ich mir jedoch, dass ich problemlos eine Rose in meine Hand nehmen kann, ohne ihr beim sterben zusehen zu müssen.

Ich ließ mich auf einer Marmorbank nieder und beobachtete die Blütenblätter, wie sie vom Wind getragen wurden.

Wann auch immer ich meine Augen schließe, höre ich jedoch Mias Worte.
Und diesen Worten folgen dann die Erinnerung aus einer längst vergangegen Zeit, bei welcher ich mich frage:

Was wäre, wenn alles anders gekommen wäre?
Säße ich dann immer noch hier, von all den Rosen umzingelt?
Wäre ich dann immer noch ein König, der auf seinem güldenen Thron sitzt und sowohl Freund als auch Feind wie Marionetten beherrscht?
Wären Vampire und Werwölfe immer noch verfeindet?
Und wäre ich dann jetzt in der Lage, die Rosen, welche ich so sehr liebe, sorgenfrei zu berühren?

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Just cause.

Rotwein und MondblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt