Akt 35

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Ich wusste nicht warum, aber dieses mal war es anders als letztes mal.

Vielleicht lag es auch an dem Kuss, aber ich spürte keine Schmerzen, als er mich biss.
Nein, es gefiel mir sogar, wenn auch auf eine komische Art und Weise.

Mein Blut kochte und dieses warme Gefühl der Geborgenheit wollten nicht weichen und machten mich schier wahnsinnig, je länger dieser Moment sich zog.

Als sich sein Griff um meine Schulter verstärkte, biss ich mir auf die Unterlippe und krallte mich an seinem Rücken fest.

Auch wenn alles in mir zu brodeln schien und mich mit Glückseligkeit erfüllte, versuchte ich, mich nicht diesem Gefühl hin zu geben, da mir langsam die Sicht zu verschwimmen begann.

Ich musste ihm jetzt sagen, dass es genug war, aber dies stellte sich als schwieriger heraus, als Gedacht, da mein Körper mir den Dienst verwehrte und sich, statt ihn von mir weg zu drücken, ihn näher an mich presste.

Wie kann es sein, dass etwas, das eigentlich so falsch ist, sich so richtig anfühlt?

Ich wusste darauf keine Antwort, aber dennoch, meine Vernunft meldete sich wieder zu Wort, dass ich mich wehren sollte.
Jedoch wollte mir weder mein Körper, noch meine Zunge mehr gehorchen, aber wie sollte ich es ihm sonst mitteilen?

Mit der Unsicherheit kam die Angst und ich schrie mich innerlich an, dass ich mich bewegen sollte, etwas sagen sollte, aber nichts geschah.

Das einzige, was ich in dieser Stille heraus hörte, waren die Trinkgeräusche von Vlad, welcher mich anscheinend nicht gehen lassen wollte, so sehr hielt er mich fest.

Es muss doch einen Weg geben, um sich mit ihm zu verständigen, denk nach!

Gerade jetzt brauchte ich einen Gedankenblitz, welchen ich auch bekam, als der Wind sanft meine Wange streifte.

Natürlich, er kann Gedanken lesen!
Wird er mich hören können, wenn ich mich stark genug auf ihn konzentriere?
Nun, einen Versuch war es alle Fälle Wert, also kniff ich die Augen zusammen und konzentrierte mich nur auf ihn, darauf, dass er mich hören sollte.

Ich schrie in Gedanken meine ganze Angst heraus, meine Unsicherheit, meine Verzweiflung, und als ich kurz davor war, meine Besinnung zu verlieren, spürte ich, wie er inne hielt.

Hatte er mich gehört?
Hatte er meine Hilferufe vernommen?
Ach was, das war jetzt auch egal, denn solange er von mir abließ, konnte ich damit leben.

Vorsichtig, als könnte ich jeden Moment zerbrechen, öffnete er seinen Mund, zog seine Reißzähne aus meinem Hals und lehnte sich wieder zurück, um mich anzusehen.

Um seinen Mund war mein Blut verschmiert, sein Blick wirkte etwas träge, als wäre er gerade erst aus einer Trance erwacht, aber seine Augen glühten trotzdem in einem grellen rot-Ton.

In demselben rot wie an diesem einen Schicksalhaften Tag.

Bei diesem Anblick bekam ich Gänsehaut und als hätte er es gespürt, wanderte er mit der Hand zu seinem Mund, um mit dem Handrücken die letzten Blutreste abzuwischen.

Erst da hellte sich sein Blick etwas auf, als würde ihn die Erkenntnis treffen, was denn nun gerade hier passiert war.

Je mehr es ihm bewusst wurde, desto schuldbewusster glänzten seine Augen, bis er vollkommen den Blick abwandte und zu Boden richtete.

Um ehrlich zu sein, fand ich diese Geste irgendwie niedlich, da er mir anscheinend nicht zu nahe treten wollte und nun in der Zwickmühle saß, wie er das Ruder noch herumreißen konnte.

Erwartungsvoll blickte ich ihn an und ich glaube, ich brauche gar nicht erst zu erklären, was ich denn von ihm verlangte.

»Ich, es . . .«

Bevor er weiter sprechen konnte, krümmte er sich und fing an zu husten.
Er hielt sich dabei zwar die Hand vor dem Mund, aber als ihn ein erneuter Hustanfall packte, konnte es auch nicht das Blut aufhalten, welches jetzt auf den Boden tropfte.

»Vlad? Hey, was ist los? Vlad? VLAD!«

Er fiel zu Boden und rollte sich dabei ein, sein Gesichtsausdruck wurde gequält und er hustete weiterhin Blut, während er sich dieses mal den Hals hielt.

Panisch bückte ich mich über ihn, wusste aber nicht, wie ich ihm helfen konnte.

»Wieso? Vlad, sag mir, wie kann ich dir helfen?«

Er röchelte, seine Augen waren zusammen gekniffen und er schnappte verzweifelt nach Luft, konnte mir aber nicht antworten.

Hektisch sah ich mich um und suchte nach etwas, womit ich irgendetwas tun konnte, damit es ihm besser ging; zu meiner Enttäuschung jedoch, fand ich nichts und sah deswegen wieder zu ihm.

Erst jetzt bemerkte ich, wie das Tatoo unter seinem Auge angefangen hatte, rötlich zu glühen und jetzt verstand ich gar nichts mehr.

Lass . . . mich einfach.
Gib mir . . . etwas Zeit.

Seine Augen öffneten sich einen Spalt breit und es lag schon so etwas wie eine Stumme Bitte darin.

»Spinnst du? Ich kann dich in deinem Zustand doch wohl kaum hier einfach so liegen lassen! Wir finden eine andere Lösung, da bin ich mir-«

»Tu wenigstens einmal, was ich dir sage!«

Ich zuckte bei seiner harschen Aussprache dieser Worte zusammen.
Es war das erste mal, dass er mich so richtig angeschrien hatte.

Jetzt wollte ich mich auch schon wieder aufraffen und etwas erwidern, aber da packte ihn ein weiterer Anfall und die Wut wich der Sorge.

»Bist du dir sicher?«

Er biss die Zähne zusammen und nickte leicht zur Bestätigung.

»Na gut . . . aber ich will dann, dass du mir alles ganz genau erklärst, haben wir uns Verstanden?«

Wieder nicken, dann schloss er die Augen und verfiel in einen tiefen Schlaf.

Mit einem seufzen gab ich mich geschlagen und lehnte mich an die Felsenwand, um ihn besser im Auge zu behalten.

Warum er wohl zusammen gebrochen ist, ist für mich ein Rätsel, aber sobald es ihm wieder besser gehen sollte, wird er mir alles bis ins kleinste Detail erklären, dafür werde ich schon noch persönlich Sorgen.

Meine Finger fuhren über die Bissspuren an meinem Hals, den Blick behielt ich bei ihm.

Wenn ich ihn so betrachtete, wirkte es so, als wäre er ein kleines Kind.
Seine Gesichtszüge entspannten sich mit jeder Minute, die verging und bald hatte er auch diesen unschuldigen Ausdruck auf dem Gesicht, wobei sich mir die Frage stellte:

Hatte er jemals eine Kindheit, oder wie ist er so geworden, was er jetzt war?

Rotwein und MondblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt