Akt 36

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Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn sobald ich meine Augen öffnete, war es erst früher Morgen, was ich daran erkannte, dass die Sonne noch nicht einmal aufgegangen war.

Das nächste was ich bemerkte, war, dass ich mit einem weißen Hemd zugedeckt war.
Vlads weißes Hemd.
Was, beim zweiten Betrachten, nicht mehr ganz so weiß war.
Es sah eher so aus, als wären darin jemand gestorben, so Blut-durchtränkt waren die Ärmel.

Mein Blick schweifte suchend umher, in der Hoffnung, Vlad zu entdecken, was ich auch tat.

Er saß etwas weiter vor mir, dort, wo der Schatten das Licht berührte, und sah womöglich sehnsüchtig zum Horizont.

Muss ich hier erwähnen, dass er oberkörperfrei nur ein paar Meter vor mir hockte?
Er hatte mir zwar den Rücken zugedreht, aber ich schämte mich dennoch irgendwie, ihn die ganze Zeit über wie eine Besessene anzustarren.

Zugegeben, er war zwar nicht sonderlich durchtrainiert, aber er musste das alles auch nicht verstecken.
Ich wette, dass er theoretisch (und auch praktisch) jede haben könnte, wenn er es wollen würde.

»Du bist wach.«

Es war eine Feststellung und keine Frage, bei welcher er es aber nicht für nötig hielt, mich anzusehen.

Träge erhob ich mich, nahm das Hemd vorsichtig in die Hände und taumelte noch etwas benommen zu ihm hinüber, um mich neben ihm nieder zu lassen.

Nun nahm ich mir die Zeit und musterte sein Seitenprofil.
Ich sah wieder diese allgegenwärtige Trauer in seinen Augen aufblitzen, so, als wäre er tief in Gedanken versunken, als würde er in Erinnerungen schwelgen, welche ihn zutiefst traurig stimmten.

»Woran denkst du?«

Ich hatte mir vorgenommen, ihn mit Fragen zu löchern, nahm mir aber die Freiheit heraus, sein Hemd noch ein bisschen länger zu behalten.
Falls ich es mal wieder brauchen könnte, natürlich.

»Der Sonnenaufgang.«

Waren seine Worte, woraufhin ich seinem Blick zum Horizont folgte.
Tatsächlich, der Himmel war in einem warmen rot getaucht und langsam erhob sich die goldene Sonne wieder zum Himmelszelt.

Um ehrlich zu sein, war dies nicht das erste mal, dass ich einen Sonnenaufgang beobachten konnte. Aber in genau diesem Moment, im Schatten des Felsvorsprungs, mit Vlad zu meiner Rechten, wirkte dieses Ereignis nahezu magisch auf mich.

Sobald das Licht des hellstens Sterns den Schatten des Gesteins vertrieb und auf meine und Vlads haut fiel, ließ mich das Aufsteigen von Rauch meinen Blick zu Vlad schweifen.

Und tatsächlich: er rauchte förmlich im Sonnenlicht.

Würde er jetzt zu Staub zerfallen?
Er hatte sich zwar schon mal unter das Tageslicht getraut und nichts war passiert, aber ich machte mir immer noch Sorgen um ihn.

»Geht es dir gut?«

Er streckte einen Arm aus und tat so, als würde er versuchen, die Sonne zu greifen.

»Ich habe mich schon mal besser gefühlt, wenn ich ehrlich bin.«

Endlich begegnete er meinem Blick und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, das ehrlicher gar nicht sein konnte.

Kurz war ich verzaubert von diesem Anblick, erinnerte mich aber sofort wieder daran, was ich eigentlich fragen wollte.

»Warum bist du zusammen gebrochen?«

Zu meinem Unglück verschwand dieses Lächeln wieder aus seinem Gesicht und machte einer undurchdringlichen, emotionslosen Maske Platz.

»Lange Geschichte.«

»Ich habe Zeit.«

Er seufzte und wandte sich wieder ab.

»Ich bin eigentlich nicht dazu aufgelegt, lange Geschichten der Vergangenheit zu erzählen. Aber um es kurz zu halten:
Ich bin nicht in der Lage dazu, Blut anderer zu trinken.
Sollte ich es dennoch probieren, passiert so etwas, was du als Zusammenbruch bezeichnest.«

Ungläubig sah ich ihn schweigend an.
Ein Vampir, der kein Blut verträgt?
Das muss man erst einmal gesehen haben.

»Du musst wissen . . . diese Narbe ist eigentlich ein Fluch.«

Mit den Fingern fuhr er über die Narbe, von welcher ich vorher angenommen hatte, dass sie eigentlich ein Tatoo war.

»Es geschah vor knapp dreihundert Jahren, als ich mich, völlig geschwächt, in ein Dorf verirrte, in der Hoffnung, endlich wieder an frisches Blut zu kommen.

Nun, dort auf den Straßen bin ich wohl zusammen gebrochen, denn als ich erwachte, hatte mich jemand in ein Bett gelegt.

Wie sich später herausstellte, war es eine ansässige Lady, welche mit ihrem Mann, dem Landlord, in einem kleinen Anwesen residierte und mich anscheinend gerettet hatte.

Sie kümmerte sich um mich und das war das erste mal, als ich in meinem ganzen Leben ein anderes Getränk außer Blut und Tee getrunken hatte:
Da handelte es sich nämlich um Rotwein.«

Er schmunzelte bei dieser Erinnerung, welche ihm anscheinend sehr viel bedeutete.

»Es kam heraus dass ein Vampir, also ich, im Anwesen hauste und schon bald suchten Landleute und der Lord nach mir, um mich zu vertreiben, voraussichtlich zu töten.

Alles kam jedoch anders:
Die Lady, die von dieser Aktion Wind gekriegt hatte, eilte zu mir um mich zu warnen.
Ich wusste, wenn sie mir helfen würde, zu fliehen, würde man sie als Hexe abstempeln und höchstwahrscheinlich sogar hinrichten.

Hier muss ich einwerfen, dass ich immer einen Gefallen zurückzahle, also tat ich das einzige, woran ich in diesem Moment denken konnte:

Ich ließ alles so aussehen, als hätte ich sie überfallen und sie wäre einfach nur ein Opfer gewesen.
Um dies glaubwürdig dazustellen, hatte ich keine andere Wahl, als sie zu beißen.«

Sein Blick wurde trüb, aber er fing sich schnell wieder.

»Dabei wurde ich jedenfalls vom Lord erwischt, er hat mit seinem Schwert ausgeholt und nach mir geschlagen.
Dadurch entstand diese Narbe, welche durch den Hass dieses Mannes zu einem Fluch mutierte und sich nie mehr richtig schloss.
Seitdem bin ich nicht mehr in der Lage, anderes Blut als meines zu trinken, weil mich sonst der Fluch trifft.«

Beendete er seine Erzählung und blickte mich nun erwartungsvoll an.

Ich brauchte eine Weile, bis das Gesagte überhaupt bei mir ankam, aber sobald es ratterte, weiteten sich meine Augen.

»Warum hast du dann darum gebeten, mein Blut zu trinken, wenn es dir doch so sehr schadet?«

Er schloss nachdenklich die Augen, zuckte dann aber nur mit den Schultern.

»Ich muss wahrscheinlich lebensmüde geworden sein.
Ach, und weil ich die Frage in deinen Augen lesen kann:
Meine Haut brennt, weil ich nicht mehr genug Kraft habe, um einen schützenden Schild vor dem Sonnenlicht zu erschaffen.
Ich werde zwar nicht zu Asche zerfallen, aber unangenehm ist es allemal.«

Ein kleines, amüsiertes grinsen schlich sich auf seine Lippen.

»Und bezüglich meines Hemdes . . . Du kannst es ja für ne Weile ausleihen, aber ich hätte es dann gerne wieder.«

Ich errötete und wich ertappt seinem Blick aus.

»Es gibt andere Gründe, als die, welche du dir einzureden versuchst, Kleine.«

Daraufhin fuhr er sich durchs Haar, was um ehrlich zu sein, ziemlich heiß aussah.

»Fanservice. Mia, du tust es für den Fanservice.«

Dann streckte er sich und erhob sich.

»Ich hab zwar nichts dagegen, aber wir sollten das an einem anderen Ort machen . . . wenn du verstehst.«

Letztendlich schenkte er mir noch ein anzügliches Lächeln, womit mein Herz beinahe wie Butter in der Sonne schmolz.

Rotwein und MondblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt