Flüssigkeit

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Während ich die restlichen Mahlzeiten austeilte und immer wieder aufs Neue Getränke auffüllte, huschten meine Blicke nervös im Raum umher. Nein, ich hatte mich wirklich nicht geirrt, es waren nur 7 Menschen am Tisch (Hellen mit eingerechnet). Unauffällig betrachtete ich die Gäste genauer und wusste schon noch der 1. Runde nachschenken wer fehlte.

Es war der junge Mann mit dem kantigen, Sommersprossen übersäten Gesicht der fehlte. Wo war er nur? In welchem Teil des Hauses hielt er sich wohl auf? Wieso war er hier? Meine Gedanken rasten so schnell durch meinen Kopf, dass ich für kurze Zeit nicht aufpasste wohin ich den Wein goss.

„Was tust du denn da Mädchen!?", schrie der fette Mann aufgebracht. Mein Herz setzte aus und sofort riss ich den Krug weg, damit nicht noch mehr Flüssigkeit die Hose des Mannes tränke.

„Oh Gott! Das tut mir wirklich leid! Ich hole sofort ein Tuch für Sie!", ungeschickt stolperte ich mit klopfenden Herzen in die Küche. Hektisch und mit zitternden Händen zog ich ein Geschirrtuch aus der Schublade und eilte sofort zurück zu meinem Wein Opfer. Die restlichen Gäste waren nun still geworden und beobachteten kopfschüttelnd wie ich panisch an der Hose des Mannes herum tupfte um diese trocken zu bekommen.

„Ach, gib schon her! Selbst zum trocken wischen bist du zu blöd!", mit einer groben Handbewegung entzog mir der Fette das Tuch und wischte sich nun selbst die Hose ab. Sein Gesicht war ganz rot vor Zorn und auch Hellen blickte mich nicht gerade fröhlich an. Angst stieg in mir hoch und Bilder von möglichen Bestrafungen huschten in meinem Kopf umher.

„Arme Hellen, mit so einem Mädchen ..."

„Gott sei Dank ist meine Anna nicht so ..."

„Was für ein Taugenichts, wirklich zu blöd um ... "

Getuschel breitete sich über den Tisch aus und trieb mir die Schamesröte ins Gesicht. Gedemütigt senkte ich meinen Kopf und versuchte mein rotes Gesicht so gut es ging mit meinen Haaren zu bedecken. Da räusperte sich Hellen vom Kopf des Tisches aus laut und das Gerede verstummte.

„Wie wäre es wenn du Simon suchen gehst? Das Kochen hat dich anscheinend ermüdet. Leg dich etwas hin und Ruh dich aus", ihre Stimme war sanft doch ich wusste, dass jedes Wort gelogen war.

Schnell nickte ich und verließ mit großen Schritten den Raum in dem nun lobende Worte über Hellens Gutmütigkeit und Geduld vielen. Erst als ich den Gang erreicht hatte beruhigte sich mein Herzschlag etwas und ich konnte endlich tief einatmen. Wie blöd konnte ich denn nur sein? Jetzt kann ich heute erst recht in der Kammer schlafen wenn nicht sogar schlimmeres durchleben!

Selbsthass strömte durch meine Adern und zauberte ein bitteres Lächeln auf meine Lippen. Verärgert schlug ich mir mit meinen Fäusten auf den Kopf. Immer fester und fester hämmerte ich auf meinen Kopf ein, bis mir schon ganz schwindelig wurde und ich müde die Hände fallen ließ. Nein, mich selbst zu schlagen würde nun auch nichts nutzen.

Müde ließ ich den Blick durch den Gang wandern bis er bei etwas hängen blieb. Am Ende des Ganges, dort wo er eine Ecke nach rechts machte und weiter zu den Schlafräumen führte, war etwas am Boden zu sehen. Verwirrt ging ich näher an die Kreuzzug der zwei Gänge und erkannte, dass es kein Ding war, sondern eine Flüssigkeit die aus dem rechten Gang um die Ecke schwamm.

In mir breitete sich ein flaues Gefühl aus und eine böse Vorahnung benebelte meine Sinne. Alles in mir schrie wieder zurück zu Hellen zu gehen, doch meine Füße trugen mich immer näher an die Gabelung. Jeder Schritt fiel mir schwerer und als ich dann direkt über der Flüssigkeit, nur ein Hauch von dem Gang zu den Schlafzimmern entfernt stand, erkannte ich was es war.

Dunkelrotes, dickflüssiges, Blut.

Entsetzt riss ich die Augen auf und wollte zurück weichen, doch meine Füße gehorchten mir nicht. Wie in Zeitlupe tat ich den letzten Schritt in den Gang hinein und drehte meinen Kopf nach rechts. Und da sah ich es. Die Ursache für die Flüssigkeit am Boden.

Dort, einen Meter von mir entfernt lag Simon mit zertrümmerten Schädel am Boden und starrte mit toten Augen an die Decke.

Schrei für mich, VögelchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt