Kapitel 22

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Am Samstagmorgen klopft es an meiner Tür. Ich springe auf, lege das Buch, in dem ich gerade gelesen habe zur Seite und öffne die Tür. Ella und ich haben ja heute zusammen abgemacht um shoppen zu gehen. Mit ausdrücklicher Erlaubnis von Charlotte, wenn ich anmerken darf. Naja... ein bisschen Überredungskunst hat es schon gebraucht. Und... ja gut, ich musste ihr versprechen, dafür anschliessend mich den ganzen Sonntag auszuruhen. Was zwar ziemlich blöd ist, aber man muss manchmal eben Opfer bringen.
Aber statt Ella steht da vor der Tür Jake.
„Was machst du denn hier?", frage ich mürrisch. Ich mag ihn noch immer nicht richtig und das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Denn Jake hat bisher noch kein einziges nettes Wort zu mir gesprochen. Keines. Nicht mal Hallo kann er normal sagen.
„Bist ja gut gelaunt", bemerkt Jake trocken, drückt mich zur Seite und tritt ins Zimmer. Seht ihr, was ich meine? Diese Begrüssung ist echt unglaublich nett. War ein Scherz, ironisch gemeint, für diejenigen, die es nicht begriffen haben. Schon alleine der Ton hätte jedem Idioten klargemacht, dass es KEINE freundliche Begrüssung ist.
„Ich hab dich was gefragt", sage ich, ohne weiter auf seine Bemerkung einzugehen (wie ich es mir in den vergangenen Tagen angewöhnt habe), «Und ausserdem, was hast du in meinem Zimmer zu suchen?»
„Ja und ich weiss nicht, ob ich mich dazu herablassen und dir antworten soll", sagt Jake (immer noch in einem nicht allzu netten Ton. Und das ist die glatte Untertreibung des Jahrhunderts!), „ Aber sagen wir es mal so: Ella ist krank und hat mich gefragt, ob ich dich statt ihrer begleiten könne. Sie hat genaue Masse für ihr Kleid gegeben und gesagt, wir sollen ihr eines aussuchen. Ich habe um ihretwegen zugestimmt. Allerdings hätte ich schon ein wenig mehr Freude deinerseits erwartet." Der letzte Satz hat so einen leicht sarkastischen Unterton.
Ich seufze: „Na toll."
Jake sieht mich stirnrunzelnd an: „Deine Begeisterung hat mich ja glatt um." Erneuter Sarkasmus.
„Ja ich weiss, ist so eine meiner Begabungen", sage ich (und imitiere damit perfekt seinen sarkastischen Ton), „Ich weiss einfach nicht, wie ich sie zurückhalten kann. Ich meine hallo?! Wer würde schon nicht davon träumen mit jemandem shoppen zu gehen, der einem hasst?" Ich drehe mich ab. Den letzten Satz wollte ich eigentlich nicht sage, aber schon zu spät. Manchmal könnte ich mich echt für meine lose Zunge umbringen.
„Ich hasse dich nicht", sagt Jake in einem Tonfall, als wolle er sich selbst davon überzeugen. Sehr witzig. Echt, total. Und mit dem soll ich den ganzen Tag in London verbringen?
„Ach ja? Weisst du, ich würde es bei dem lassen, wenn du es einfach zugegeben hättest, aber nein, du musst auch noch lügen", fauche ich und drehe mich wieder zu ihm um.
„Es liegt nicht an dir", sagt Jake mit Nachdruck, „Ich kann Ti nicht ausstehen, okay? Und ich kann dir deswegen auch nicht trauen."
„Ach glaubst du, ich renne sofort zu ihm und sage ihm weiss nicht was, nur um dich zu ärgern? Hast du das Gefühl, wir stecken unter einer Decke? Oder, warte, vielleicht gehöre ich ja zu ihnen? Ist es das? Weil wir Zimmernachbarn sind? Ich meine, ja, warum nicht? Schliesslich konnte ich ja einfach so hier reinspazieren, und sagen, dass ich mit dieser und dieser Person ein Zimmer will. Verdammt, hast du denn nicht gecheckt, dass man sich das Zimmer nicht aussuchen kann? Und hast du das Gefühl, mich interessiert euer Fireschoolscheiss?", frage ich ihn spöttisch.
„Hör mal", sagt Jake wütend, „Es liegt nicht an dir. Er... Wir verstehen uns einfach nicht besonders. Und... Nein, stopp: Was meinst du mit dem Fireschoolscheiss?"
«Vielleicht kann ich Ti ja doch trauen, hm? Er ist der einzige, der mir hier überhaupt was sagt. Deshalb habe ich wesentlich mehr Grund, ihm zu trauen als dir, findest du nicht auch? Denn es ist kein tolles Gefühl, wenn alle von einer bestimmten Sache sprechen, du selbst aber keine Ahnung hast, was sie damit meinen»
Jake sieht alarmiert aus. «Was meinst du damit? Mit dem Erzählen?»
Ich schnaube. «Ach hör schon auf. Ich weiss, dass du drin bist. Genauso wie deine nette Clique»
«Ich werd ihn umbringen...»
«Damit ihr noch jemanden zu beklagen habt? Damit es noch mehr Krieg gibt?»
Jake schaut mich wütend an. «Hör auf. Du weisst nichts. Also tu gefälligst nicht so, als ob dies der Fall wäre»
«Und ob ich was weiss. Ihr seid doch alle... keine Ahnung. Aber menschlich ist was Anderes», sage ich zornig. Und als ich es ausgesprochen habe wird mir klar, dass es genauso ist. Sie sind keineswegs Menschen. Sie können es nicht sein. Nicht nachdem, was ich gehört habe. Nicht, wenn ich meiner inneren Stimme glauben will. Aber was sind sie dann?
«Ach ja? Was sollen wir denn deiner Meinung nach sein? Aliens?», fragt Jake spöttisch.
«Vielleicht Blutsaugervampire. Das finde ich einen guten Anfang. Allerdings kannst du mir gerne dabei behilflich sein, weitere Begriffe zu finden».
Jake schaut mich erschrocken an. Ernsthaft erschrocken, ohne jede Spur von Spott. «Wie kommst du auf Blutsauger?»
«Frag doch deinen Kumpel Ti», sage ich wütend. Es ist mir so was von egal, ob er jetzt mit ihm befeindet ist oder nicht. Klingt ja sowieso richtig kindisch und doof. Befeindet. Was soll das Ganze?
«Warte... Zeig mir deine Hände», befiehlt Jake.
«Nein», erwidere ich stur und bereue das mit dem Blutsauger. Vielleicht ist ja nur Ti' s... Familie so. vielleicht sind ja Ella und so anders? Ach scheisse, warum können sie es mir nicht einfach sagen?
«Hast du etwas zu verbergen?»
«Nein. Ich will nur nicht, dass du mich anfasst».
«Du machst dich lächerlich. Als ob ich dich freiwillig anfassen würde».
«Achtung: Kindergartenniveau im Anmarsch», sage ich und verziehe den Mund dabei spöttisch. Vielleicht klappt Ablenkung ja. falsch gedacht.
In diesem Moment macht Jake einen Satz auf mich zu und packt meine Hände. Ich versuche, sie ihm zu entreissen, doch er ist einfach zu stark. Er dreht sich blitzschnell nach oben und lässt sie dann urplötzlich los, als ob er sich verbrannt hätte.
«Du bist so naiv», sagt er dann.
«Weshalb? Weil ich es mir nicht gefallen lasse wenn mir alle etwas verheimlichen?», frage ich.
«Nein. Du bist naiv, weil du es zulässt, dass dieser Dämon an dir rumpfuscht».
„Ja, wenn ihr mich mal einweihen würdet in eure geheimnisvollen Geschichten, dann würde ich mir ja vielleicht sogar die Mühe machen, dir das Gegenteil zu beweisen. Aber wie soll ich so denn wissen, was falsch und was richtig ist? Und ausserdem: Was meinst du mit Dämon?", sage ich laut.
„Ich vertraue dir vielleicht nicht. Und das Dämon kannst du dir ruhig merken. Denn genau das ist dein dreckiger, kleiner Freund", sagt Jake verschlossen.
„Ich sags doch", schnaube ich, „Du hasst mich doch. Und er ist nicht mein Freund. Und ich glaube auch nicht an Dämonen, sind doch bloss Geistergeschichten, also hör auf mit dem Scheiss"
„Nein, ich hasse dich nicht", beharrt Jake, „Aber die Geschichte ist nichts für Sterbliche. Und vielleicht solltest du anfangen, an Geistergeschichten zu glauben. Denn dieses Internat deckt so manches auf"
„Ach, nichts für Sterbliche? Und du bist unsterblich, oder wie? Vielleicht doch Vampir? Aber nein... warte, ich hab's gleich! Vielleicht Superman?", frage ich spottend. Ich nehme mir fest vor, nachher nochmal auf das Thema Geistergeschichten zurückzukommen.
Jake schaut weg und sagt dann gepresst: „Weisst du, du machst es einem echt nicht leicht. Klar, wir verschweigen dir etwas, genau wie du uns nicht alles erzählst. Aber wieso vertraust du Theodor? Es hat eine Geschichte. Eine sehr lange Geschichte, die vor mehreren Millionen Jahren geschehen ist. Von da kommt mein Hass auf Ti. Da hat alles angefangen"
„Ich sag doch: Superman", sage ich.
„Scheisse Mann, das ist nicht witzig. So werde ich dir ganz bestimmt nichts erzählen! Ella hat mich eigentlich gebeten, dir alles zu erzählen und ich hätte es auch fast getan", faucht Jake, wobei seine Stimme immer lauter wird.
„Ich glaube nicht, dass du das vorhattest. Denn sonst hättest du es ernsthaft versucht, oder? Und wieso kann sie es mir nicht selbst erzählen?", frage ich.
„Weil sie", beginnt Jake und versucht seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben, „nicht befugt ist. Ich bin höher als sie. Ich darf mehr als sie."
„Superman und Oberboss zugleich oder wie? Uuhhhh, langsam wird es ja wirklich kritisch", sage ich. Ich kann einfach nicht damit aufhören, wenn ich mal so richtig in Fahrt bin. Und dieser Typ hier macht mich rasend vor Wut. Und dieser verleihe ich Ausdruck, in dem ich ihn wütend mache, was mich dann noch wütender macht und immer so weiter.
Einen Moment sieht Jake so aus, als würde er mich schlagen wollen, aber dann lässt er die Hand sinken.
„Du hast verdammtes Glück mit mir, weisst du? Bei meinem Cousin hättest du weniger gehabt. Dann wärst du jetzt weg", sagt er langsam.
„So wie Ellas Schwester?", frage ich. Doch ich glaube, diesmal bin ich echt zu weit gegangen. Fuck. Weshalb muss ich immer so unüberlegt sprechen?
Jake funkelt mich an: „Du kapierst es einfach nicht. Red nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst. Und sie war übrigens auch meine Schwester."
„Dann seid du und Ella Geschwister?", frage ich erstaunt nach und vergesse für einen Moment meine Wut.
„Halbgeschwister. Ich war der Zwillingsbruder von Le, der Schwester, die Ella erwähnt hat. Ich sage nicht ihren vollständigen Namen, das ist ihr Spitzname. Und bitte, hör auf, so über sie zu sprechen", antwortet Jake und scheint sich zu beruhigen.
„Kannst du mir erzählen, was los ist?", frage ich Jake bettelnd, nachdem er einige Minuten geschwiegen hat.
„Nein, ich glaube nicht. Ich kann dir versuchen, die Geschichte mit Ti zu erzählen, wenn du mit deinem Gespött aufhörst. Aber alles... es würde dich parteiisch machen, das ist nicht gut. Obwohl du das nach deiner Aktion mit Ti wahrscheinlich sowieso schon bist. Du musst zuerst wissen, was du bist. Denn du gehörst weder zu uns, noch zu ihnen. Aber ein Mensch bist du auch nicht. Du musst es selbst entscheiden, verstehst du? Ich weiss, ich sage nichts Gutes über sie, und sie sagen dasselbe über uns. Doch... verdammt, warum muss immer alles so kompliziert sein? Ich vertraue Ti, was dich betrifft. Du musst deine eigene Entscheidung treffen und zuvor darfst du niemandem sagen, dass du nicht menschlich bist. Denn wie gesagt, du musst unbedingt unvoreingenommen bleiben, bis du dich erinnerst", sagt Jake.
„Wieso redest du immer so, als wärt ihr keine Menschen? Das beweist doch gerade, dass ich recht habe, meinst du nicht? Und was ist mit mir und meinen Erinnerungen?", frage ich.
„Nicht jetzt", sagt Jake herrisch, wartet dann einen Moment und beginnt zu erzählen: „Vor langer Zeit – Damit meine ich wirklich lang – als meine Schwester noch gelebt hat, kam sie mit Ti zusammen. Ich der Erste, dem sie davon erzählt hat, schon lange, bevor die anderen es erfahren haben. Ich war wütend und eifersüchtig auf Ti. Denn ich liebte meine Schwester und nicht nur auf diese Art, wie sich Geschwister lieben. Wie sie es sollten" Jakes Miene verhärtet sich unmerklich. „Sie war sehr lange fort, ich habe mich verliebt in sie, als sie wiederkam. Aber sie liebte ihn, nicht mich. Und ich akzeptierte das, weil er sie glücklich machte. Aber dann eines Abends kam sie zu mir und sagte, ihre Albträume werden immer schlimmer und sie habe Angst um ihr Leben. Sie blieb bei mir, weil sie nicht allein sein wollte. Irgendwann küsste ich sie. Sie hat mich nicht fortgestossen, wie man es annehmen sollte, sondern sie hat den Kuss erwidert. Aber dann hat sie sich plötzlich weggedreht und ist fortgerannt. Ich habe noch so knapp verstanden, dass sie zu Ti wollte. Ich sah sie nie wieder. Am nächsten Morgen war sie fort."
„Oh", sage ich, ehrlich betroffen, „Aber hat dann Ti...?"
„Ich glaube nicht, dass er sie umgebracht hat, auf jeden Fall nicht mit Absicht", sagt Jake kopfschüttelnd, „Er hat sie geliebt, ich habe es in seinen Augen gesehen. Deshalb vertraue ich ihm ja auch, bis zu einem gewissen Grad. Und ich hasse ihn nicht mehr ganz so... weisst, wenn einem der Hass angeboren wird ist es nicht leicht, sich dagegen zu wehren. Ich will sie ja gar nicht bekämpfen.... Nein, wieder zurück zur Geschichte: Sie hat mich mal zu einem heimlichen Treffen mitgenommen um uns einander vorzustellen. Ich glaube, dass ihr etwas ganz Anderes zugestossen ist. Denn als ich Ti gefragt habe, hat er gesagt, dass er sich in dieser Nacht gar nicht mit ihr verabredet hätte. Also hat sie wahrscheinlich ihren Mörder getroffen. Die Frage ist nur, wer das ist."
„Weshalb hasst du Ti dann?", frage ich.
„Weil er sie bekommen hat. Weisst du, ich habe es lange abgestritten, aber ich war verdammt eifersüchtig, bin es immer noch. Ich hasse ihn dafür, dass sie ihm ihr Herz geschenkt hat, statt mir. Er haut immer ab, wenn die Situation brenzlig wird. Und ich darf auch aus familiären Geschichten nicht freundschaftliche Gefühle für ihn hegen. Aber.... Es ist nicht nur das. Ich werde es dir ein ander Mal erklären. Am Dienstagabend warst du nicht krank. Du hast dich mit ihm getroffen. Ich habe euch bis zum Keller verfolgt. Nur das mit dem Blut... ich hätte nie gedacht, dass er das macht", sagt Jake und krallt die Fingernägel in seine Handflächen.
„Was?", frage ich empört.
„Es tut mir leid. Ich wollte wissen, auf welcher Seite du bist. Ob du eine von ihnen bist", sagt er entschuldigend.
„Weisst du, was wir gemacht haben?», frage ich und bin plötzlich besorgt, dass er uns vielleicht beobachtet hat. Wobei... es ist ja nichts wirklich schlimmes passiert, oder? Schliesslich scheint er ja sowieso schon ziemlich viel von Ti zu wissen.
Jake schüttelt den Kopf und sagt: „Dieser Arsch. Ist abgehauen mit dir».
„Aber wir waren doch im Keller ", sage ich erstaunt.
„Nein, ihr wart in seinem Hauptquartier ", antwortet Jake, dann sagt er, „Aber komm, wir müssen gehen. Ella wird wütend, wenn sie heute Abend noch kein Kleid hat." Er lächelt.
„Wie kommen wir eigentlich nach London? Fahren wir mit dem Bus?", frage ich plötzlich besorgt, da ich noch nie einen Bus hier vorbeifahren gesehen habe.
Jake schüttelt den Kopf und grinst. „Hast du Harry Potter gelesen?"
Ich schüttele den Kopf und schaue Jake fragend an. Vielleicht ist er ja doch ganz okay. Vielleicht.
„Egal. Auf jeden Fall haben sie dort ihre Art zum von einem Ort zum anderen zu gelangen. Telepathie." Er zwinkert mir verschwörerisch zu.
«Wie?», frage ich.
«Egal. Akzeptiere vorübergehend einfach, dass wir Dinge können, die andere nicht können. Bist du weisst, was Sache ist. Du wirst es schon noch früh genug erfahren. Gib mir deine Hand."
„Wieso?", hake ich nach, reiche ihm aber meine Hand ohne zu zögern.
„Du weisst nicht wie. Ich helfe dir. Also, jetzt lege deine andere Hand auf mein rechtes Schlüsselbein", sagt Jake und legt seine Hand auf mein rechtes Schlüsselbein.
„Wie kannst du das denn allein machen? Was du jetzt vorhast, meine ich?", frage ich neugierig.
„In dem du einfach die Hand auf dein eigenes Schlüsselbein legst. Aber dazu braucht es viel Übung", antwortet Jake, „Also, jetzt schliess die Augen und stell dir vor, du bist in einem Tunnel. Vor dir gehe ich und du folgst mir immer."
Jake schliesst die Augen und ich tue es ebenfalls. Ein schwarzer Tunnel erscheint vor meinen Augen und ich sehe Jake, der sich zu mir umdreht und wartet. Dann geht er weiter und ich folge ihm. Ich fühle mich schwerelos und auf eine Art schmerzfrei, aber irgendwie doch erfüllt mit Schmerz. Am Ende des Tunnels erscheint ein Licht. London.
Als ich die Augen wieder aufmache, sind wir mitten auf einer belebten Strasse. Ich war bisher noch nie in London, doch ich habe viele Bilder davon gesehen. Daher weiss ich ziemlich sicher, dass es London ist.
„Wie hast du das gemacht? Das ist Magie!", sage ich verwundert.
Jake schüttelt den Kopf: „Ist es nicht. Es ist... bloss Vorstellungskraft. Du wünschst dir was und es geschieht, wenn du nur daran glaubst und hoffst, dass du nicht enttäuscht wirst, verstehst du?"
„Aber wieso reisen denn nicht alle so?"
„Die Menschen sind viel zu einfältig dazu. Sie glauben nicht an Hoffnung. Für sie stimmt nur das, was ihre Technik beweisen kann. Für sie ist die Hoffnung längst gestorben. Das ist das, was uns von ihnen unterscheidet."
„Aber dann hätten sie doch zumindest sehen müssen, dass wir aus dem nichts aufgetaucht sind, aber niemand starrt uns an", werfe ich ein.
„Wie gesagt, die Menschen sind zu einfältig dafür. Sie sehen nur das, was sie sehen wollen. Und Leute, die aus dem nichts auftauchen, gehören nicht dazu. Selbst wenn uns jemand gesehen hätte, würde er es niemandem erzählen, weil er sonst als verrückt erklärt würde."
„Klingt einleuchtend. Also könnte ich das gleiche wie du tun?", frage ich nach kurzem Überlegen.
„Ja, aber nur, weil du eine von uns bist. Zumindest ein Teil von dir. Du bist kein Mensch, sonst wärst du gestorben, als wir versucht haben so zu reisen."
„Aber du hast doch gesagt, Menschen könnten das auch", sage ich und dann wird mir klar, was er eben gesagt hat, „Was?! Du... Das heisst ich hätte dabei draufgehen können? Einfach so aus einer Laune heraus?"
„Ja", sagt Jake unbewegt, „Aber wenn du gestorben wärst, dann hätte es keinen Unterschied gemacht." Er hebt die Hand, als ich ihn wütend unterbrechen will. „Hör mal. Ich bin auch nicht der höchste in der Gesellschaft - ich hatte einen Befehl. Und der lautete: Finde heraus, was sie ist. Ist sie keine Guardia, muss sie von der Bildfläche verschwinden. Du kannst froh sein. Ich hätte dich sonst sowieso umgebracht. Ich hätte dich umbringen müssen, hätte keine andere Wahl gehabt. Tut mir leid, echt. Und das Reisen zeigt, dass du eine von uns bist und kein Mensch oder ein Dä... einer wie Ti. Deshalb wollte ich mich dir zuvor auch nicht allzu sehr annähern. Ich habe schon genug Freunde verloren, manche sind sogar durch meine Hand gestorben."
„Ach ja, und dann denkt man mal, versuchen wir's einfach, wenn sie draufgeht, ist auch egal, so muss ich sie wenigstens nicht erledigen?", frage ich.
„Warum nicht, es wäre wesentlich schmerzloser gewesen, als die Methoden, die wir haben, um einen wie Ti umzubringen. Oder die Menschen, für die gibt es auch sehr schmerzvolle Methoden. Aber auch egal. Menschen können nicht so reisen, weil sie nicht mehr an die Hoffnung glauben, eines Tages wird das sie sowieso alle umbringen. Und die D... die, die wie Ti sind, die haben eine zu schwarze Seele, um so was zu machen."
„Und was ist denn Ti? Nachdem du gesagt hast, dass ich eine von euch bin, kannst du mir ja wenigstens auch sagen, zu welcher Sekte ich jetzt gehöre."
„Es ist keine Sekte. Es ist, eine Organisation, die die Menschen vor solchen wie Ti beschützt. Wir sind auf der Welt, um alle, die wie Ti sind, zu vernichten."
„Dann seid ihr also Mörder?", frage ich trocken.
„Nein. Stell es dir wie ein Krieg unter Göttern vor. Nur etwas grösser und im Verborgenen. Naja, wenn man an Götter glaubt, was natürlich totaler Schwachsinn ist. Wobei die Götterlegenden doch von uns kommen... Aber ist ja auch egal. Es ist, wie es ist. Gut gegen Böse. So was halt. Wir haben andere Regeln als die Sterblichen. Entweder man tötet oder man wird bestraft."
„Was soll jetzt dieser Ausdruck schon wieder bedeuten?", fauche ich.
„Okay, ich gebe auf", sagt Jake und hebt die Hände, „Ich werde es dir erzählen. Aber im Gegenzug musst du dich mit meinem Vater treffen."
„Erst will ich alles wissen, erst dann stimme ich deiner Bedingung zu. Sonst kannst du es gleich vergessen", sage ich bestimmt.
„Na gut. Aber erst gehen wir die Kleider besorgen. Gehst du eigentlich an den Ball? Ich meine, musst du auch ein Kleid haben?"
„Ich weiss nicht. Mal schauen."
„Okay, aber jetzt lass uns gehen."


Tanze im Feuer, das Wunder des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt