Kapitel 30

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Als ich am nächsten Morgen aufwache denke ich an den seltsamen Traum zurück. Wieso sollte Ti mich küssen? Und es sollte sich auch noch gut anfühlen! Manchmal begreife ich meine Träume wirklich nicht ganz.
Zum Glück habe ich mich mit Ti, als wir gestern in London waren wieder versöhnt. Er kennt sich da echt gut aus. Hat mir alles gezeigt.
«Zeit zum Aufstehen», ruft dieser gerade in dem Moment.
«Ja, ja», sage ich. Ich hasse früh aufstehen. Aber dieses Internat scheint ein echter Fan davon zu sein. Also stehe ich auf und gehe ins Bad.
«Gut geträumt?», ruft Ti mir nach.
«Warum? Ich habe gar nicht geträumt», erwidere ich, obwohl das eine glatte Lüge ist. Aber es wäre ziemlich peinlich ihm zu erklären was genau ich geträumt habe.
«Und wie du hast. Sonst hättest du nicht so glücklich ausgesehen», gibt Ti zurück.
Ich ignoriere ihn und schliesse die Türe hinter mir. Ich und glücklich? Bei so einem Traum?
Aber ist ja auch egal.

«Wo warst du denn gestern?», fragt Ella mich, sobald ich in Hörweite bin. Ich ziehe eine Grimasse und setze mich auf den Platz neben sie. Das Frühstück ist bereits in vollem Gange.
«Kann ich nicht mal absitzen?», frage ich, zwinkere aber, damit sie es nicht zu ernst nimmt. «Ich war mit Ti in London unterwegs, warum?»
«Mit Ti?» Elle sieht mich verwundert an «Warum gerade mit ihm?»
«Er ist mein Zimmernachbar», sage ich schlicht. Klar ist er das. Und Ti hat gestern so nett gefragt.
«Aber... dir ist schon bewusst, dass er... was hat er dir erzählt?»
«Nichts. Wir hatten einfach nur einen schönen Tag miteinander verbracht», sage ich und meine es ernst. Da ist nichts grosses dabei.
«Ist noch Platz da?», fragt in diesem Moment eine Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um. Jake. Ich habe seit dem Dienstag nicht mehr richtig mit ihm gesprochen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass zwischen uns was kaputtgegangen ist.
«Ja klar», sage ich und rutsche ein Stück zur Seite.
Als Jake Platz genommen hat sagt er: «Wir müssen reden».
«Warum?»
«Weil es viel zu besprechen gibt»
«Zum Beispiel?»
«Vater will dich am nächsten Mittwoch sehen»
Erleichtert lehne ich mich zurück. Ich dachte schon, er will über den Kuss mit seiner Freundin reden. Und auf das hab ich echt keine Lust.
«Und was ist daran so schlimm?», frage ich.
«Am Tisch ist kein guter Ort um über so etwas zu sprechen».
«Ja, aber...»
«Komm mit» Jake steht auf und zieht mich hoch.
«Wohin?»
«Komm einfach». Jake zieht mich hinter sich her nach draussen. Dort nimmt er auf einer Sitzbank Platz und deutet auf den Platz neben sich. Widerwillig setze ich mich.
«Was ist?», frage ich, sobald ich sitze.
«Es geht nicht nur um Vater. Ich wollte auch mit dir allein reden».
Ich seufze. War ja klar.
«Und was kommt zuerst?», frage ich.
«Über Vater gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Können wir reden?».
«Kommt drauf an. Über was willst du sprechen?», frage ich vorsichtig.
Jake schaut mich durchdringend an.
„Mir ist schlecht", murmele ich, um vom Thema wegzukommen.
Letzte Nacht ist eine Veränderung vorgegangen. Ich weiss nicht was, aber da ist so ein Gefühl. Und Wissen. Ein Wissen, das ich noch nicht besitze aber bald haben werde.
Jake schnaubt. „Hör auf mit deinen Ausreden. Du gehst mir ja ständig aus dem Weg."
„Tu ich nicht. Und mir ist wirklich schlecht!"
„Und ob!"
„Also, was gibt's denn so?", frage ich gelangweilt.
„Wir müssen reden."
„Du wiederholst dich."
„Über Montagabend. Das war nicht meine Freundin. Und hör auf mit deinem gespielten Desinteresse"
„Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Es ist mir egal was du so treibst. Und mit wem." Das letzte rutsch mir raus.
„Aber mir ist es nicht egal."
„Du kommst erstaunlich früh mit deinen Ausreden. Willst du mir sagen, euer Kuss war ein Versehen?"
„Ja! Nein. Eigentlich nicht."
„Also was dann?"
„Ich dachte, es interessiert dich nicht?"
„Tut es auch nicht." Ich hefte den Blick fest auf das Fenster.
„Es war kein Versehen. Aber es gab einen Grund für den Kuss."
„Ach ja? Soll das eine Entschuldigung sein? Zählt nicht. Es gibt keine Entschuldigung, weil es mich ja nichts angeht."
„Es sollte dich aber was angehen", sagt Jake zornig.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Ach, ja? Es würde mich was angehen wenn ich deine Freundin wäre"
„Willst du das denn? Nein. Sorry. Manchmal verwechselt man Wünsche mit der Wirklichkeit."
„Was wünscht du dir?"
„Dass du gleich fühlst."
Ich drehe den Kopf und schaue ihn an.
„Wie soll ich den fühlen?", frage ich.
„Wie ich." Jake beugt sich vor.
„Was fühlst du denn?", flüstere ich.
In diesem Moment senken sich seine Lippen auf meine. Ganz sanft küsst er mich.
Ich drehe den Kopf widerwillig ab.
„Ich fühle Liebe. Zu dir. Ich... ich glaube, ich verliebe mich in dich", sagt Jake leise.
„Nenn mir einen Grund, weshalb ich dir glauben sollte. Und weshalb ich zuhören soll", sage ich und schaue ihn wieder an.
„Vertrau mir."
„Ich kann das nicht. Du hast meine Gefühle zerstört, als du sie geküsst hast. Mein Vertrauen in dich gibt es nicht mehr."
„Das heisst...", Jake schluckt, „Du erwiderst meine Gefühle."
„Du hast mich verraten. Und du weisst es."
„Damals wusste ich nicht, dass ich dich verletzen könnte."
„Aber damals hattest du schon Gefühle für mich", sage ich.
„Ja... Aber...."
„Warum hast du jemand anderen geküsst?"
„Ich musste auf andere Gedanken kommen."
„Und du erzählst mir was von Ausreden?"
„Ich... es stimmt. Bitte. Ich mag dich wirklich."
Jake zieht mich in den Arm und ich lasse ihn gewähren.
Nach einer Weile vergrabe ich den Kopf an seiner Brust. Als er mir zwei Finger ans Kinn legt und meinen Kopf sanft, aber bestimmt, hochzieht, sieht er die Tränen in meinen Augen.
„Was ist denn?", fragt er.
„Ich... weisst du, es fühlt sich nicht wie einfach nur Gefühle an. Es fühlt sich wie Liebe an. Ich will dir ja vertrauen."
„Dann gib mir eine Chance!"
Ich senke die Augenlider, starre auf meine Füsse.
Jake hebt wieder sanft mein Kinn.
„Okay?", fragt er.
Ich nicke.
Er kommt noch näher an mich ran und legt seine Lippen wieder auf meine. Diesmal drehe ich mich nicht ab. Nach einigen Sekunden erwidere ich seinen Kuss. Ich spüre sein Grinsen an meinen Lippen und drücke mich noch fester an ihn.
Nach einer Weile löse ich mich sanft von meinem Kuss und flüstere: „Lass es uns versuchen."
Jake zieht mich noch fester in seine Umarmung.

«Und dann hat er dich einfach geküsst?», fragt Ella.
Ich nicke.
«Und er hat gesagt, dass er mit dir zusammen sein will?»
Ich nicke wieder.
«O mein Gott. Das hat es seit Jahren nicht mehr gegeben. Jake und ne Freundin! Vor einem Monat noch hätte ich das nie geglaubt!», flötet sie.
Ich lasse mich auf mein Bett fallen.
«Warum ist das so komisch?», frage ich.
«Weil Jake seit Le nie mehr mit jemandem zusammen war. Er hat viele Mädchen verarscht oder ausgenutzt, aber er hat es nie ernst gemeint. Er war nie mehr mit jemandem zusammen, bis jetzt».
«Du machst mir ja Mut», sage ich ironisch.
«Ja eigentlich schon. Weil das heisst, du musst ihm echt was bedeuten. Und zwar wirklich».
Es ist Donnerstagabend. Und ich habe Ella eben von den Ereignissen vom Morgen erzählt. Und so wie es aussieht glaubt sie es kaum.

In den folgenden Tagen bis zum Mittwoch passiertnicht mehr sehr viel. Das einzige nennenswerte ist, dass sie das mit mir undJake wie ein Lauffeuer im ganzen Internat ausgebreitet hat. Sogar die Lehrerscheinen davon zu wissen. Die Lehrer!
Ti behandelt mich ganz nett. Vielleicht können wir ja Freunde werden. Der fieseJunge vom Anfang ist er auf jeden Fall nicht mehr.

Tanze im Feuer, das Wunder des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt