Kapitel 2

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Die Sonne blendet mich, als ich zur Tür hinausgehe. Es ist richtig warm. Vor allem dafür, dass es Frühling ist. Die Jacke werde ich wohl nicht gebrauchen.
Ich gehe um das Haus herum. Alles ist still. Als ich hinten angekommen bin, quetsche ich mich durch das Gebüsch, das das Hausgrundstück vom Wald trennt. Das ist der schnellste Weg, in den Wald zu gelangen.
Ich gehe ein paar Schritte in den, mir vertrauten, Wald, bis ich den Trampelpfad finde, der später zu einem Weg führt.
Als ich ein paar Schritte dem schmalen Pfad gefolgt bin, fällt mir plötzlich etwas auf. Nur ein kleines Detail, aber trotzdem...
An der rechten Seite ist ein Ast umgeknickt, als ob jemand hier abgebogen ist. Normalerweise bin ich die Einzige, die herkommt. Wie gesagt, hier spucken imaginäre Monster herum.
Ich beschliesse, der Richtung des abgeknickten Astes zu folgen. Nach wenigen Schritte schon erkenne ich weitere Merkmale, die darauf hindeuten, dass hier vor Kurzem jemand war. Ich gehe immer weiter, folge den Spuren, die manchmal nahezu unsichtbar sind.
Einmal sehe ich sogar ein paar rostrote Flecken, die irgendwie verdächtig nach Blut aussehen. Aber vielleicht täusche ich mich ja. Hoffentlich.
Nach etwa einer Stunde lichtet sich der Wald und ich trete hinaus, auf eine vollkommen runde Fläche. In der Mitte ist ein kleiner Wasserfall, der in einen glasklaren Teich führt. Überall auf der Lichtung wachsen wunderschöne Blumen. Diese Lichtung sieht so aus, wie ich mir immer das Paradies vorgestellt habe.
Doch als ich genauer hinsehe, entdecke ich eindeutige Kampfspuren. Vielleicht Tiere? Keine Ahnung. Auf jeden Fall werde ich hier noch eine Weile bleiben. Ich muss den Ort hier einfach zeichnen.
Ich mache es mir auf einem Stein gemütlich und beginne zu zeichnen.
Nach einer Weile werde ich von einem plötzlichen Geräusch erschreckt. Hastig schaue ich mich um und entdecke einen kleinen Vogel. Ein Rotkehlchen?
Ich lege ganz leise und sachte meine Zeichnungssachen beiseite und nähere mich vorsichtig dem Tier. Es scheint keine Angst zu haben.
Als ich schon ganz nah bin, meine ich zu sehen, wie die Augen kurz in einem dunklen rot aufblitzen. Doch als ich blinzle, sind seine Augen wieder grau, wie zuvor. Wahrscheinlich Einbildung. Muss ja so sein.
Dann, auf einmal, wendet sich der Vogel abrupt ab und fliegt schnell davon. Komisch.
Ich gehe wieder zu meinem Platz und zeichne bis am späten Nachmittag weiter. Dann mache ich mich auf den Weg zurück.
Ich gehe schon eine Weile summend vor mich hin als ich plötzlich ein Rascheln hinter mir höre. Ich fahre erschrocken herum und halte überrascht den Atem an. Da steht ein Junge. Etwa in meinem Alter. Braune Haare, braune Augen, gross muskulös.
«Hi», sagt er.
«Hi», sage ich und will mich schon wieder zum Gehen wenden als er die Hand hebt.
«Wer bist du? Sonst kommt kein Mensch in diesen Wald», sagt der Junge.
«Dasselbe könnte ich dich fragen. Es soll schliesslich Monster in diesem Wald geben», sage ich spöttisch. Die Augen des Jungen blitzen kurz belustigt auf.
«Ach, ja?»
«So erzählt man es sich hier im Dorf. Bist wohl nicht von hier, was ?» , frage ich erstaunt. Dieser Junge schien wirklich nichts zu wissen. Sonst wäre er schon längst auf den Gedanken gekommen, dass ich ja dieses Mädchen sein könnte, das von allen so angestarrt wird sobald es auf die Strasse geht.
«Und ob ich von hier bin. Ich wohne hier. Aber normalerweise gehen Menschen mir aus dem Weg und ich gehe ihnen aus dem Weg. Mein Volk mag die Menschen nicht sonderlich»
«Dein Volk?»
«Naja. Ja. Mein Volk. Und jetzt hör schon auf Fragen zu stellen.»
Ich ignoriere seinen Einwand bezüglich den Fragen. «Wer bist du?»
«Ich? Das solltest du ja wohl am besten Wissen». Die Miene des Jungen nimmt für einen Moment einen gequälten Ausdruck an, dann sagt er: «Tut mir leid. Ich bin Tai. Tairomarraiters Amer Fermarraires. Und du?»
«Komischer Name. Ich heisse Amelie. Amelie of Harrowby.»
Die Augenrauen des Jungen zucken erstaunt nach oben.
«Amelie. Klingt ein bisschen wie Amalia, findest du nicht? Schöner Name. Hoffnung. Das ist immer gut»
«Woher kennst du die Bedeutung?»
«Mein Volk spricht eine sehr alte Sprache. Wir kennen Ausdrücke, die die Menschheit schon längst vergessen hat.»
«Kannst du mal etwas auf deiner Sprache sprechen?», frage ich neugierig.
«Amaliadü arrir durre drua bärkarr vierre», sagt der Junge Ausdruckslos.
«Was heisst das?», frage ich überrascht darüber, dass ich ihn nicht verstehe.
«Ich warte hoffnungsvoll, dass das alte wieder kommt.»
Irgendetwas in seinem Blick sagt mir, dass er nicht die ganze Wahrheit sagt, aber ich hake nicht weiter nach.
In diesem Moment höre ich die Kirchenglocke. Überrascht werfe ich einen Blick auf den Display meines Handys. Mist. Kein Akku mehr. Also zähle ich die Glockenschläge mit. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben.
Schon sieben Uhr!
«Ähm sorry... Tai... ich muss nach Hause. Ich komme schon jetzt zu spät», sage ich.
«Schon okay. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder»

Tanze im Feuer, das Wunder des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt