Kapitel 35

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«Kannst du mir bitte das Kleid zubinden?», frage ich Ella, woraufhin sie angehopst kommt und das Kleid zuschnürt. Ich stehe auf und betrachte mich. Es sitzt perfekt. Und es betont genau an den richtigen Stellen.
Ella ist wirklich eine begnadete Friseurin und Schminkerin. Sie hat beides so gemacht, dass es perfekt mit dem Kleid übereinstimmt.
Meine Lippen hat sie golden angemalt, der Lidschatten ist grün. Die Augen hat sie ansonsten dramatisch schwarz geschminkt, und auf die Wangen hat sie einen leichten Goldglanz aufgetragen. Meine Haare sind hochgesteckt, das Band hineingeflochten.
«Jetzt kommt nur noch die Maske», flötete sie.
Stirnrunzelnd betrachte ich die Maske. Wie soll die eigentlich halten? Sie hat gar nichts dran um sie zu befestigen! Doch Ella streicht mit einer Hand darüber und sie beginnt auf eine Art zu schweben. Dann setzt Ella sie mir auf. Passt wie angegossen.
«Wie hast du das gemacht?», frage ich erstaunt.
«Wunschmacht. Wirst du alles noch lernen».
«Ich kann es kaum erwarten», sage ich.
Ella lacht. «Die Macht, das Wünschen zu kontrollieren ist das schwierigste. Denn jetzt stell dir mal vor du bist wütend auf jemanden sagst: Ich wünschte du wärst dort, wo der Pfeffer wächst. Und dann passiert es einfach, obwohl du es nicht so wörtlich gemeint hast. Deshalb ist Kontrolle einer der wichtigsten Faktoren».
«Na gut», sage ich, «Aber jetzt kommst du dran».
Ella hat ihr Kleid schon angezogen, doch ihre Frisur muss noch gemacht werden. Schminken, hat sie gesagt, will sie sich selber.
Ich flechte ihre langen, dicken Haare zu einem Zopf, wobei ich darauf achte, dass die Strähnen gut sichtbar sind.
«Du bist ein Schatz», sagt Ella und umarmt mich.
«Schon klar», sage ich lachend.
Ella lacht auch, dann sagt sie: «Ich muss jetzt gehen. Mike wartet schon».
«Okay, na dann: Viel Spass. Ich denke aber wir werden uns noch sehen, diesen Abend. Nein, warte kurz: Mit wem geht Jake eigentlich?».
Ella schaut mich kurz an. «Vergiss ihn. Du machst es ihm auch nicht leichter, wenn du ihm deine Gefühle immer noch zeigst».
Ich schaue zu Boden. «Ich weiss. Aber es ist so verdammt schwer. Ich kann es nicht und ich will es auch nicht».
«Denkst du, du könntest für Ti etwas empfinden?»
«Keine Ahnung. Vielleicht».
«Jake gibt dir diese Chance, also nutze sie. Er will, dass du glücklich wirst».
Ich nicke.
«Und Jake kommt heute Abend nicht. Er ist schon im Hauptquartier. Er hat gesagt, dass er es dir nicht noch schwerer machen will, als es ohnehin schon sei».
«Oh», sage ich nur. Ich kann nicht mehr sagen, da ich sonst zu weinen begonnen hätte. Warum muss das gerade mir passieren?
«Aber versprich mir, dass du Ti wenigstens eine Chance gibst».
«Ti ist dir doch egal».
«Nein. Er hat es verdient»
«Ich werde mir Mühe geben». Ich weiss, dass es sinnlos wäre, zu fragen, was Ella dazu verleitet hat, zu sagen, dass Ti das verdient hätte. So wie ziemlich viele Fragen meinerseits sinnlos zu stellen wären.
«Also ich muss jetzt wirklich los. Ich wünsche mir, dass du einen ganz schönen Abend hast», sagt Ella und umarmt mich nochmal kurz. Dann ist sie weg.
Zum ersten Mal, seit ich Ti so gut kenne, wünschte ich mir, wir wären nicht im selben Zimmer. Ich bin so schrecklich nervös und komme mir so dumm vor, hier im Badezimmer zu warten, aber im Zimmer wäre es auch nicht anders.
Ich hole tief Luft und betrete das Zimmer.
Ti wartet schon auf mich. Er sieht in seinem Anzug verdammt gut aus. Und die Maske lässt seine Züge noch mehr hervorstechen, was aber nicht etwa schlecht aussieht, sondern eher das Gegenteil.
«Hi», sagt er.
«Hi».
Er hält mir eine Hand hin. «Bist du nervös?», fragt er.
Ich überlege einen kurzen Moment zu lügen, doch dann entschliesse ich mich, doch die Wahrheit zu sagen.
«Ja, schon ein bisschen», gebe ich zu.
«Ich auch».
«Aber du hast das ganze schon oft erlebt».
«Aber ich war noch nie mit jemandem auf dem Ball, der mir was bedeutet hätte».
«Bedeute ich dir denn was?»
«Eine ganze Menge. Aber jetzt komm».
Wir gehen zusammen hinaus in den Flur, die Treppe runter, und dann zum Ballsaal.
Er ist wunderbar eingerichtet, man sieht, dass echt viel Arbeit dahinter steckt.
«Wer hat denn das gemacht?», frage ich und bestaune den Saal.
«Wir Dämonen werden wie Sklaven gehalten. Die schwächeren zumindest. Es gibt gewisse Formeln um uns zu bannen. Ich bin zu stark für die bisher existierenden Formeln. Aber vor allem die Erdler sind beliebte Skalven. Wir können praktisch alles im Handumdrehen erledigen. Natürlich mögen die das. Selbst Menschen halten uns teilweise gefangen. Sogenannte Magier, die aber nicht wissen, wie gefährlich das sein könnte», sagt Ti leise.
«Was kannst du eigentlich alles machen?», frage ich, mir wird bewusst, dass ich eigentlich nichts über Dämonenmagie weiss.
«So ziemlich alles», sagt Ti grinsend, «Alles ausser Wassermagie. Und diese Kunst ist mit Lilith und ihrer Tochter verschwunden. Wasser ist das stärkste aller Elemente, und heute weiss niemand mehr, zu was Wasserwesen alles fähig sind. Ich beherrsche Erde, Luft und Feuer. Erdler sind vor allem Heiler, manchmal auch Gärtner, doch das tun sie sowieso. In ihrer Gegenwart beginnt jede Pflanze automatisch zu wachsen. Sie können kleinere bis mittlere Wunden heilen, die grösseren, wie zum Beispiel einen Arm nachwachsen lassen, sagt man, war die Kunst der Wasserwesen».
«Aber ihr könnt euch doch verwandeln. Und dann könnt ihr doch noch mal einen Arm dazu erscheinen lassen.»
«Das ist ja das Problem. Wenn du ein Körperteil verlierst, hast du es in jeder Gestalt verloren. Aber ja, sowas geschieht nur sehr selten. Windreiter... ja das ist schwierig. Sie können hauptsächlich schweben lassen. Und andere Dinge, die zu kompliziert sind, um sie zu erklären. Natürlich kann jeder Dämon das eigene Element beherrschen».
Als er nicht weiterspricht, frage ich: «Und Feuer?».
«Ich hatte gehofft, dass du das nicht fragst».
«Weshalb?»
«Feuer ist schrecklich und schön zugleich. Feuer ist eine mächtige Kriegswaffe. Eine wirklich Mächtige. Man kann schreckliches damit tun. Aber auch schönes. Feuer ist... ich glaube, es wäre besser, wenn es dieses Element nicht gäbe. Feuer ist das, was am meisten Schaden anrichtet».
Ich nicke. «Und über Wasser weisst du nichts?»
«Nur was erzählt wird. Es ist alles. Wenn man Wasser beherrscht. Ist alles möglich, denn Wasser ist der eigentliche Herrscher der Welt. Wasser kann heilen und zerstören gleichermassen, es kann Leben nehmen und geben. Es ist überlebenswichtig und tödlich für die Menschen. Wasser steckt in jedem Ding, es ist die Lebenskraft von allem. Verstehst du, weshalb wir sagen, Wasser ist das stärkste Element? Es bestimmt über Leben und Tod».
Ich nicke.
«Aber komm, lass uns tanzen. Lass mich für einen Abend nicht über den Krieg sprechen, über die Dinge, die uns unterscheiden».
Ich nicke und sage dann etwas verlegen: «Ich muss dir was gestehen. Ich habe noch nie getanzt».
Ti grinst. «Echt nicht? Da hast du aber was nachzuholen. Komm, ich bring's dir bei».
Und bald schon wirbeln wir über die Tanzfläche. Es macht Riesenspass.
«Machen wir mal eine Pause», sagt Ti ein paar Lieder später.
Ich nicke und Ti zieht mich hinaus auf die Terrasse.
«Ist das Tanzen so schwer?», fragt Ti.
«Nein, sieht schwieriger aus, als es ist».
«Siehst du». Ti lächelt mich an.
Ich nicke und lächle zurück.
«Ist es so, wie du dir den Abend erhofft hast?».
«Besser».
Ti sieht mich eine Weile an, dann sagt er: «Du siehst wunderschön aus».
«Danke», sage ich. Ich weiss nicht, was ich sonst sagen könnte.
Ti nimmt mir vorsichtig die Maske ab und beugt sich zu mir.
«Ist das okay?», fragt er.
Ich schaue ihn an und nicke dann. Ti beugt sich noch weiter vor und legt dann seine Lippen sanft auf meine.
Plötzlich durchfährt mich ein stechender Schmerz. Alles schmerzt, ich kann kaum mehr atmen. Es tut so weh, so verdammt weh. Ich kann nichts mehr fühlen ausser den Schmerz. Diesen verdammten Schmerz. Ich sehe eine Haus, höre Schreie, das Haus brennt. Ich erkenne es. Das Haus. Es ist mein Zuhause. Mein Haus brennt. Katharina brennt. Überall Feuer. Alles brennt. Ich sehe Flammen. Mein ganzer Körper schmerzt.
Ich schlage die Augen auf. Meine Sicht wird allmählich scharf. Ich liege am Boden.
«Was hast du?». Ti's Stimme dringt wie aus weiter Ferne zu mir. Sie ist laut. So laut. Und ein Echo, dass die Worte ständig wiederholt. Das nicht still sein will. Mein Kopf dröhnt. Alles brennt. Brennt und brennt immer weiter, immer mehr, immer fester.
«Meine Eltern», flüstere ich.
Alles verschwimmt vor meinen Augen, als ich mir vorstelle, ich wäre dort. Ich will dorthin, ich muss es.
«Amelie, bleib hier», sagt Ti und hält mich fest.
Ich schaue auf meine Hände. Sie beginnen sich aufzulösen.
Ich schüttele den Kopf. «Ich kann nicht», sage ich, dann löst sich die Umgebung um mich herum endgültig auf. Verschwimmt, wirbelt umher. Ein buntes Gemisch aus Farben, doch ich beachte sie, die Farben nicht. Ich kann nur an Katharina denken, an Zuhause.
Als meine Umgebung wieder klar wird, bin ich zuhause. Im Garten. Und das Haus brennt. Hitze schlägt mir entgegen. Schon fast schmerzhaft. So wie die Erinnerung an den Schmerz von eben. Um mich herum sind Feuerwehrleute. Doch sie können gegen den Brand nichts ausrichten. Sie sind doch nur Menschen, sie können ja nichts wissen, nicht.
Ich höre einen Schrei. Katharina. Sie lebt. Sie lebt noch! Und sie brennt verbrennt lebendig. Sie ist im brennenden Haus, sie lebt. Aber nicht mehr lange, wenn sie da drinbleibt. Denn es ist so heiss! Ich schaue mich um, doch ich kann sie nirgends entdecken. Es ist dunkel, die Nacht ist schon lange hereingebrochen, doch ich sehe alles so gut, wie wenn es Tag wäre.
Eine Polizistin kommt auf mich zu.
«Der Platz ist gesperrt. Kommen sie bitte mit».
«Nein», sage ich, «Meine Familie».
«Dann ist das Ihr Haus?».
Ich nicke.
«Es tut mir Leid. Wir können hier nichts mehr machen».
In diesem Moment wird es mir schlagartige bewusst. Ich weiss, dass sie nichts für Katharina machen werden. nichts machen können. Sie ist im Haus. Sie wird verbrennen, bei lebendigem Leib.
«Katharina ist da drin», sage ich.
«Kommen sie jetzt bitte weg. Es ist gefährlich», sagt die Polizistin und will mich wegzerren. Doch ich wehre mich. Ich muss Katharina da rausholen. Ich bin die Einzige die das kann. Ich reisse mich von der Polizistin fort. Renne auf das Haus zu.
Aus dem Augenwinkel erkenne ich eine Gestalt, die die Arme zum Himmel hebt. Ti.
Er verschafft mir Zeit.
Ich stürze mich in die Flammen. Ich höre ihn schreien, doch ich muss Katharina finden.
Es ist heiss, so heiss. Ich kann nicht mehr atmen, es brennt in meiner Lunge. Meine Lunge brennt, scheint zu brennen. So heiss. So viel Schmerz.
Ich renne weiter. Alles tut weh. Doch es ist mir egal. Ich muss sie finden. Sie finden. Unbedingt.
Der Schmerz. Es ist gut, dass er da ist. Er hält mich bei Bewusstsein. Sagt mir, was ich tun soll. Wegen wem ich es tun soll.
Ich höre Katharina wieder schreien. Direkt vor mir.
Dann sehe ich sie. Doch sie ist nicht viel mehr als ein Haufen Knochen. Sie ist tot. Das weiss ich mit plötzlicher Sicherheit. Sie ist tot. Sie hat nicht geschrien. Sie ist tot. Tot. Nein. Das kann nicht sein. Doch. Tot.
Ich lasse mich zu Boden sinken. Flammen umzüngeln mich, ich brenne. Es ist mir egal. Ich werde sterben. Nein, ich kann nicht sterben. Und wenn doch?
Ich will sterben. Ich kann nicht ohne Katharina leben, sein.
Es ist egal. Alles.
Und ich werde sterben, das fühle ich. Mein Körper steht in Flammen und auf eine Art und Weise fühlt es sich gut an, richtig. Voller Schmerz. Nichts anderes mehr. Tod und Schmerz.
Plötzlich ist der Schmerz weg. Ich fühle nichts. Ich nehme alles wahr, aber nicht mehr richtig, ich sehe alles wie durch eine Wand. Als wäre nicht ich diejenige, die in Flammen steht. Und es fühlt sich so gut an, dieses Nichts.
Nichts kann mir noch was anhaben. Ich werde sterben. Und der Tod ist die Erlösung. Von allem. Ich werde befreit sein. Beschützt. Beschützt und befreit. Frei.
Und plötzlich erinnere ich mich an etwas. Ich klammere mich an diesen einen Gedanken und ich denke, dass es gut ist, wenn ich tot bin. Dass dann alles gut ist. Für alle. Alles. Für immer. Dass es gut ist, weil ich anderen schon zu viele Schmerzen zugefügt habe. Zu viele. Viel zu viele. Überall Schmerzen. Elende Schmerzen. Wenn ich endlich wirklich tot bin, werden sie loslassen können. Wenn sie meine Leiche sehen werde sie wissen, dass ich jetzt wirklich tot bin. Dass sie mich endgültig loslassen können, müssen. Nicht so wie letztes Mal. Nicht so wie immer. Sie werden die Hoffnung verlieren. Für immer. Das ist gut. Wirklich gut. Sehr gut. Sie werden loslassen. Sie werden es glauben. Es wird so sein. Ich werde sie nie mehr wieder verletzen. Nie.
Dann verliere ich das Bewusstsein.
Und die Klarheit, dieser eine Gedanke begleitet mich und wird mich nie wieder verlassen. Nie.
Denn Ti hatte Recht. Er hatte Recht in so vielem, doch vor allem in einem. Ich weiss, weshalb ich das Gefühl habe, Jake und Ti zu lieben. Diese Liebe ist so uralt, dass sie nicht mehr zerbröckeln wird, nie. Sie wird mich in den Tod begleiten. Ti hatte so Recht, wie Ad falsch lag. Mein Name ist nicht Nuria. Mein Name ist Amalia.
Ich bin die Schwester, die das Herz zweier Jungen zerstört hat. Und jetzt werde ich es mit meinem Tod erneut tun, aber diesmal endgültig. Und ich werde nicht wiederkommen. Endgültig.

ENDE

Tanze im Feuer, das Wunder des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt