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Nicklas überlegte die ganze Zeit, ob er Dr. Adler anrufen sollte und ihr davon erzählen sollte, aber er hatte Angst. Er hatte von dem Mord geträumt, bevor er überhaupt geschehen war und nochdazu war er in seinem Traum selbst der Täter gewesen.
Hatte er die Frau auch in Wirklichkeit umgebracht? Nein, er war kein Mörder! Aber woher sonst hätte er von dem Mord wissen können?
Nicole stand als Psychologin unter Schweigepflicht, also konnte er es ihr erzählen.Vielleicht konnte sie ihm heute einen extra Termin geben? Nicklas beschloss sie anzurufen.

"Dr. Nicole Adler Psychotherapeutische Praxis, was kann ich für sie tun?"

"Ich bräuchte einen Termin. Möglichst schnell, wenn es geht!"

"Nicklas? Ich schließe sofort, es ist fast acht Uhr! Was ist denn los?", fragte Nicole.

"Ich ...", Nicklas zögerte, "Ich will nicht am Telefon darüber sprechen."

"Montag öffne ich die Praxis wieder, aber wir haben doch Dienstag sowieso einen Termin. Kannst du nicht bis dahin warten?", schlug sie vor.

Nicklas tippte nervös mit den Finger auf sein Nachtschränkchen.

Schließlich seufzte Nicole und meinte: "Pass auf, morgen habe ich eigentlich einen freien Tag, aber wir können uns in dem Café gegenüber von meiner Praxis unterhalten, da ist nie viel los."

"Okay. Vielen Dank!", sagte Nicklas und verabredete sich mit Nicole für ein Uhr.

Dann legte er sich schlafen, allerdings lag er bis halb Sechs wach, weil er Angst hatte wieder von dem Mord zu träumen. Dass es wirklich passiert war, machte es noch viel beängstigender als der Traum vorher schon gewesen war. Als er endlich einschlief, wachte er schon eine halbe Stunde später wieder auf, weil der Albtraum wieder anfing und er hochschreckte, bevor er die Frau erstach.

Er spielte eine langweilige App auf seinem Handy, hörte Musik und versuchte sogar ein Kapitel aus dem Shakespeare Buch zu lesen, aber er konnte sich auf nichts konzentrieren.

Nachdem er in dem Handyspiel also mindestens hundert Mal gestorben war, die Musik ihm in den Ohren wehtat und er ein und dieselbe Zeile aus dem Buch zwanzig Mal gelesen hatte, ohne auch nur ein Wort zu verstehen, gab er es auf.
Er legte sich einfach auf sein Bett und versuchte, an nichts zu denken. Das war aber nicht so leicht wie er gedacht hatte, also wiederholte er einfach immer Shellys Namen. Doch irgendwann bemerkte er, dass er nicht mehr den Namen seiner Freundin sagte, sondern immer wieder "Amanda" murmelte.

Er stoppte sofort und setzte sich auf. Mit einem Schrecken bemerkte er, dass es bereits zehn Uhr war und lief nach Unten.

Er schnappte sich ein Brötchen und biss hinein, ohne es auch nur durchzuschneiden. Seine Familie beobachtete ihn misstrauisch und er sagte: "Ich geh nochmal weg!"

Schon war er aus der Haustür geschlüpft und nahm wieder JPs Porsche, auch wenn er dafür sicher später Ärger bekommen würde.

Als er das Café erreichte, saß Nicole bereits an einem Tisch und laß in der Zeitung.

Er betrat das Café und Nicole lächelte ihn freundlich an. "Hast du schon gefrühstückt? Möchtest du irgendetwas bestellen?"

"Nein, danke", erwiderte Nicklas.

Er setzte sich Nicole gegenüber und bemerkte den Artikel auf dem Titelblatt. Es ging um die ermordete Frau, deren Name jetzt offenbar bekannt war. Amanda Warren.

"Ich lege die Zeitung weg, dann kannst du mir erzählen was los ist", sagte Nicole, als sie Nicklas Blick bemerkte.

Nicklas überlegte eine volle Minute lang, wie er anfangen sollte und Nicole wartete geduldig. Schließlich sagte er: "Ich hatte wieder einen Traum."

"Okay", meinte Nicole, "Aber das hast du jede Nacht, nicht wahr?"

"Schon, aber das ist das erste Mal, dass ich einen Traum immer wieder träume. Schon seit mehreren Tagen, es ist immer derselbe."

Nicole kramte in ihrer Handtasche nach einem Block und einem Kulli, dann notierte sie sich etwas. "Was für ein Traum?"

"Eine Frau wird umgebracht", erzählte Nicklas. Er schluckte und erzählte Nicole den ganzen Traum und schließlich auch davon, dass er aus Versehen Amandas Namen gemurmelt hatte.

Nicole sah ihn danach lange an und fragte: "Du hattest diesen Traum also schon bevor er bekannt wurde?"

"Schon bevor er überhaupt passiert ist!"

Nicole sah ihn wieder lange an, dann wollte sie wissen: "Kanntest du diese Frau irgendwoher?"

"Nein. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen!"

"Vielleicht sieht sie einer bestimmten Person ähnlich, die du mal als Kind kanntest, oder so. Dann hat sich dein Gehirn im Traum an sie erinnert und ... vielleicht hattest du eine sehr enge Beziehung zu der Frau. Manchmal spüren Mütter, wenn mit ihren Kindern etwas nicht stimmt und du hast nun gespürt, dass diese Frau in Gefahr war", überlegte Nicole.

"Aber ich würde mich doch an die Frau erinnern, wenn ich ihr nahe gestanden hätte", warf Nicklas ein.

"Nicklas, du bist doch adoptiert, oder?", fragte Nicole.

"Ja ...", antwortete Nicklas zögerlich.

"Was ist mit deinen richtigen Eltern passiert?"

Nicklas überlegte. Eigentlich hatte er Melissa und Michael nie so genau danach gefragt. Kaithy hatte zwar mal eine Phase gehabt, in der sie nach ihren richtigen Eltern suchen wollte, aber die waren gestorben. Soweit Nicklas wusste, lebten JPs Eltern zwar noch, aber sie waren in Australien oder so. Nicklas wollte seine richtigen Eltern nie kennenlernen, denn entweder waren sie tot, dann wollte Nicklas das lieber gar nicht erst wissen, oder sie hatten ihn weggegeben, dann wollte Nicklas erst recht nichts mit ihnen zutun haben. Er fühlte sich bei Melissa und Michael wohl und die beiden würden immer seine richtigen Eltern bleiben.

"Ich weiß es nicht ...", Nicklas zuckte mitden Schultern.

"Okay. Das ist nicht schlimm, diese Frau muss nichtunbedingt etwas mit dir zutun haben. Es kann auch einfach Zufall sein, du hast doch gesagt, dass du jede Nacht von irgendwelchen Verbrechen träumst, da kann es doch schonmal vorkommen, dass eins davon auch passiert. Es sind schließlich Verbrechen, die täglich irgendwo auf der Weld verübt werden."

"Und jetzt? Ich kann nicht schlafen, ich werde immer wieder von diesem Traum geweckt!"

Nicole holte einen Rezeptblock aus ihrer Tasche und erklärte: "Ich verschreibe dir ein Schlafmittel, bitte ruf mich morgen noch einmal an und sag mir, ob es etwas gebracht hat!"

Sie überreichte Nicklas das Rezept und rief die Bedienung, um ihr Frühstück zu bezahlen. Nicklas stand auf und verabschiedete sich von ihr, dann fuhr er mit dem Porsche weg.

NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt