„Aber Sie sagten, es wäre eine Freundin!?“
Sie waren mittlerweile in die Sitzecke gewechselt und hatten es sich dort bequem gemacht. Niall saß auf einem Sessel, nach vorne gebeugt, direkt dem Arzt gegenüber. Mr Horan saß auch auf dem Sofa, auf dem Jonathan Meyer saß und Mrs Horan hatte sich den Hocker herbeigezogen und beobachtete die Szene lächelnd.
„Ja, sie war immer meine Freundin. Durch dick und dünn ist sie mit mir gegangen, hat mich getröstet, wenn ich traurig war, hat mit mir gelacht, geweint, gescherzt. Wenn keiner da war, sie war es immer.“
„Aber eine Gitarre kann doch nicht lachen.“
„So? Kann sie nicht? Dann hör mal zu.“
Er nahm das Instrument, umschlang mit der linken Hand den schmalen Hals und drückte einige Saiten. Die Rechte ließ er in schneller Folge über die Saiten über dem Klangloch zupfen. Heraus kam ein Geräusch, das tatsächlich an ein Lachen erinnerte.
Niall sperrte den Mund auf.„Und das Weinen?“
Schnell griff der Arzt andere Saiten und änderte den Rhythmus. Heraus kam ein weinender Ton, der ans Herz ging.
Nialls Gesicht wurde traurig, seine Hände zitterten leicht und er hob die linke Hand, wie um dem Geräusch Einhalt zu gebieten. Doktor Meyer hielt inne.„Wie hast du dich gefühlt, als ich hier ankam? War es ungefähr wie diese Melodie gewesen?“
„Ja...“
Es war eher gehaucht als gesagt.
„Lass uns ein Spiel spielen. Ich spiele ein paar Takte und du sagst mir, was für ein Gefühl das ist.“
Der Junge sagte nichts, er nickte nur.
Was nun folgte, fanden auch die Eltern faszinierend. In schneller Folge änderte Jonathan Meyer die Melodien. Traurig, lustig, melancholisch, ernst. Jedes Mal wusste Niall sofort, welches Gefühl gemeint war und konnte gar nicht erwarten, das nächste Stück zu hören.
Dann änderte sich die Stimmung und der Junge hatte plötzlich Tränen in den Augen.„Das Stück sollte aber nicht traurig machen.“
„Ich weiß, es ist nur...“
„Was ist es? Habe ich etwas gespielt, das dich an was Trauriges erinnert hat?“
„Nein, das ist es auch nicht.“
„Willst du es mir verraten?“
Niall schien mit sich zu kämpfen, schließlich gab er sich einen Ruck.
„Gitarre spielen ist schön.“
„Soweit kann ich dir folgen.“
„Aber...“
„Aber?“
„Aber ich würde es gerne selbst können, aber das wird wohl nichts werden.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Haben Sie es vergessen? Ich kann nichts sehen.“
„Und? Was hat das mit der Gitarre zu tun?“
„Wie soll ich es denn lernen, wenn ich die Saiten nicht sehen kann?“
„Du musst die Saiten nicht sehen. Du musst sie hören. Und Du kannst sie fühlen. Jede Saite hat eine andere Stärke und dadurch einen eigenen Klang.“
„Aber wie soll ich wissen, wohin ich greifen muss?“
„Das wird vielleicht nicht einfach, aber mit ein bisschen Übung und dem richtigen Lehrer... ich bin mir sicher, du wirst es lernen – wenn du es wirklich willst.“
„Wollen ist nicht das Problem, Doktor Jonathan, woher soll ich einen Lehrer bekommen? Wer unterrichtet denn schon einen blinden Jungen?“
„Also ganz zufällig kenne ich einen, dem es völlig egal ist, ob einer was sieht, oder nicht. Gitarre spielen kann er auch. Unterricht hat er schon mal gegeben und er würde den Job gerne haben.“
„Aber... das ist bestimmt teuer und... Sie haben ihn schon gefragt?“
„Ja! Und er hat ja gesagt, wenn du ihn willst und deine Eltern einverstanden sind.“
„Aber ich kenne den doch gar nicht, was wenn ich ihn nicht leiden kann, oder er mich?“
„Da besteht keine Gefahr.“
„Was macht Sie denn so sicher?“
„Nun, du kennst ihn schon und verträgst dich bisher recht gut mit ihm.“
„Ich kenne...Sie?“
„Wenn du mich willst und deine Eltern einverstanden sind.“
„Aber... aber... ja, ja, ja... ich will. Darf ich? Erlaubt ihr es? Bitte, bitte, bitte.“
Mr und Mrs Horan hatten den letzten Teil des Gespräches überrascht verfolgt. Mrs Horan antwortete zuerst.
„Ihr Angebot ist wirklich großzügig, aber Sie haben doch genug im Krankenhaus zu tun.“
„Das wäre kein Hinderungsgrund. Sicherlich könnten wir keinen festen Wochentag ausmachen und müssten flexibel sein, aber es wäre kein Problem. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung haben Ärzte hin und wieder doch frei.“
„Aber...“
„Mami, bitte...“
„Wir könnten nicht viel bezahlen.“
„Wie wäre es mit einem Essen pro Monat?“
„Mami, bitte...“
„Ich denke, wir sollten es versuchen“,
sagte Mr Horan.
„Nun bei Drei gegen Eins – da habe ich natürlich keine Chance. Danke, Doktor Meyer.“
„Eine Bedingung habe ich aber noch. Doktoren mag man mit Titel und Nachnamen ansprechen, Gitarrenlehrer spricht man mit Du und dem Vornamen an – ich bin Jonathan.“
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Feel With The Hearts
FanfictionNiall ist das gewünschte, über alles geliebte Kind der Familie Horan. Alles verläuft wie im Märchen, das Glück ist vollkommen, doch dann bekommen die Eltern eine niederschmetternde Diagnose: Niall wird erblinden. Doch aus Asche wird Feuer geschlag...