Thirty-Nine

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Das unverkennbare Geräusch von Papier, welches hin und her geblättert wurde, und das gelegentliche

„Hm, hm“

der beiden Greens waren die einzigen Laute, die man hören konnte. Für Gewöhnlich war es Niall fast egal, dass er nichts sehen konnte, doch jetzt hätte er gerne gewusst, welchen Gesichtsausdruck die beiden machten. So aber wuchs die Ungeduld langsam in ihm. Er saß auf dem Sofa, direkt neben Lini. Er vernahm ihre leisen Atemzüge, doch er beachtete sie kaum. Er war nur gespannt, was die Anwälte zu dem umfangreichen Vertragswerk anzumerken hatten.

Plötzlich durchfuhr es ihn heiß, als sein Bein das von Lini berührte. Es geschah unbeabsichtigt und er zog es schnell wieder weg. Doch kaum hatte sich sein Herzschlag wieder etwas beruhigt, als er merkte, dass sich die Beine erneut berührten. Da er seines ganz ruhig gehalten hatte, konnte dies nur eines bedeuten. Lini suchte seine Nähe. Oder war dies nur in seiner Fantasie so? Bildete er sich das ein, weil er es sich im Inneren so sehr wünschte? Er verwarf den Gedanken wieder und glaubte lieber, dass Lini auch etwas für ihn empfand.

Menschliche Berührungen waren eine seltsame Sache. Das erkannte Niall jetzt ganz deutlich. Es gab Berührungen, die waren angenehm, wie die Umarmung seiner Mutter, das anerkennende Schulterklopfen seines Vaters, der warme Händedruck von Jonathan. Es gab Berührungen, die waren eher unangenehm. Angerempelt werden, ein Schlag, oder wenn gewisse Tanten kamen, die meinten, er begrüße es, an ihren fülligen Körpern erdrückt zu werden. Okay, sie meinten es nicht böse und er würde es ihnen wohl niemals sagen, aber das war alles andere als angenehm.

Und dann gab es eine neue Art von Berührung: Die mit Lini. Es war keine Umarmung, es war keine Liebkosung und es war weit davon entfernt, wie ein Kuss zu sein, doch es war – unbeschreiblich. Sein Herz pochte, seine Beine fingen an zu zittern und er merkte, wie seine Handflächen feucht wurden. Nicht nur die, sondern er fing richtiggehend an zu schwitzen.
Einige Male hatte er sich schon vorgestellt, sie zu küssen. Nur auf die Wange, oder auch nur ihre Hand, doch wie sollte das gehen, wenn schon die leichteste Berührung der Beine eine solche körperliche Reaktion hervorrief. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es sein sollte, sollten jemals seine Lippen die zarte Haut ihrer Wangen berühren.
Als er sie angesehen hatte, mit seinen Fingern, hatte er diese Reaktion nicht gespürt. Wie immer waren seine Hände da trocken und warm gewesen. Doch da war sie auch nur ein Mädchen, welches zu Besuch kam. Jetzt aber – ja, was war sie jetzt? Konnte er sich einbilden, dass es jetzt mehr war? Er wusste nicht, was er für sie war, doch er wusste, was sie für ihn war. Und da gab es das Bein, welches zwar still stand, nichtsdestotrotz aber eng an seinem anlag. Wenn er genau fühlte, merkte er auch bei ihr ein leichtes Zittern. Doch er traute sich nicht, Hoffnung in sich aufkeimen zu lassen, wo es vielleicht gar keine gab.
Er war blind! Er wusste, dass dies alles schwerer machen würde, vielleicht sogar ganz verhindern konnte. Er wusste auch, zumindest aus Büchern, dass nicht jede Beziehung, egal welcher Art, auf Ehrlichkeit beruhte. Es gab ganz verschiedene Beweggründe, die Nähe eines anderen Menschen zu suchen. Und schließlich berührten sich ja auch Freunde gelegentlich.

Freunde. Konnte er wenigstens dieses Wort in den Mund nehmen, ohne sich etwas vorzumachen? Ein neuer Gedanke durchflutete ihn und erschreckte ihn. Hatte er nicht in vielen Geschichten gelesen, dass es da so etwas wie das Krankenschwestersyndrom gab. Dass sich ein Mädchen, oder eine Frau nur um einen kümmerte, weil dieser krank war, verletzt, oder sonst wie schutzlos? Und Niall war krank, oder schutzlos. Zumindest in den Augen der meisten Menschen. Er wollte nicht schutzlos sein und krank war er auch nicht. Er konnte nichts sehen – gut, aber er konnte manch anderes und das war wichtiger, als das alberne Sehen.
Oder war sie nur ein Fan? Jemand, der seine Musik mochte und deshalb seine Nähe suchte?

Es machte ihn ganz unruhig. Solchen Gedanken nachzuhängen, machte ihn fast krank und es machte ihn schutzlos, wehrlos und ängstlich. All das, was er nicht sein wollte.

„Das Licht wird nie erlöschen, der Gedanke nie vergeh´n“

Die Textzeile eines seiner Lieder kam ihm plötzlich in den Sinn. Es gab ihm Trost und Zuversicht. Dass man diese Zeile auch anders verstehen konnte, ignorierte er vollkommen. Es war ihm egal, er wollte nicht verzweifeln, nicht einmal zweifeln wollte er, er wollte positiv in die Welt blicken.

„Hoffnung stirbt niemals“

war eines seiner Lieder und in diesem Moment beschloss er, dies zu seinem allumfassenden Lebensmotto zu machen, oder sollte er sagen zu seinem Liebesmotto? Er lächelte, als er sich dessen bewusst wurde, was er gerade gedacht hatte. Lebensmotto, Lieblingsmotto, Liebesmotto.
In diesem Moment sagte Mrs Green:

„Na, das sieht doch gar nicht so übel aus.“

Feel With The Hearts Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt