Niall strich sich über die Kleider, die er anhatte. Nicht weil er befürchtete, sie könnten faltig sein, oder gar schmutzig, sondern einzig und allein, um ein Gefühl für sie zu bekommen. Das war etwas, was er immer tat, wenn er neue Klamotten bekam und diesmal war alles neu, was er anhatte.
Das Hemd, welches er trug, fühlte sich flauschig an. Der Stoff schmeichelte seinen Fingern. Die Hose war weit geschnitten und bei Weitem nicht so flauschig, wie das Hemd, aber dennoch angenehm. Die Schuhe drückten etwas, aber das war normal, wenn er sie das erste Mal trug. Alles in allem fühlte er sich zwar wohl, aber auch ein bisschen wie eine Schaufensterpuppe, die neu ausstaffiert war. Zumindest stellte er es sich so vor, wer weiß schon genau, wie sich eine Schaufensterpuppe fühlte.Er unterdrückte das Verlangen, sich durch die Haare zu fahren. Er hatte es wiederholt getan und seine Mutter war von dieser Angewohnheit wenig begeistert. Kaum hatte er seine Hand sinken lassen, als sie auch schon mit der Bürste durch seine Haare fuhr.
Er war nervös und seine Mutter anscheinend auch. Sein Vater stand irgendwo in der Nähe, hielt sich aber zurück. Lini war auch da. Das hatte er sich gewünscht. Er war über sich selbst erstaunt gewesen, als er den Wunsch geäußert hatte, doch weder sein Vater noch seine Mutter erhoben Einwände dagegen. Lini selbst schien es zu freuen, dass er diesen Wunsch geäußert hatte. Ihn selbst gab es etwas Ruhe und Sicherheit, soweit dies in dieser Situation überhaupt möglich war.
Die letzten Tage waren turbulent gewesen. Sie flogen nur so an Niall vorbei. All diese letzten Vorbereitungen, das Einkaufen, die aufgeregten Gespräche. Oft hatte er nach der Hand seiner Mutter gegriffen und sie gedrückt. Das war der einzige Beistand, den er ihr geben konnte. In dieser Zeit verfluchte er seine Blindheit. Gerne hätte er ihr den einen oder anderen Handgriff abgenommen, doch meist konnte er nichts tun, als still dabeizusitzen. Nur an den Gesprächen konnte er teilnehmen und durch die wurde ihm erst bewusst, dass er wirklich bald auf einer Bühne stehen und vor Publikum seine Lieder vortragen sollte.
Mit der Zeit war etwas wie Angst in ihm entstanden, dann ging die Angst wieder und machte Panik Platz. Er hatte versucht, sie zu unterdrücken, doch es war ihm nicht gelungen. Nur eines hatte er fertig gebracht: Sie vor seiner Mutter zu verstecken.
Lini kam auch nicht, ihn zu besuchen, nur Jonathan hatte nach ihm gesehen und sie hatten ein langes, ernstes Gespräch geführt. Danach war es etwas besser geworden. Schließlich kam der Tag und nun stand er hinter der Bühne und kämpfte mit sich selbst.
Was, wenn sie seine Lieder nicht mochten? Das war seine zweite Frage gewesen, seine erste war, Befürchtung und Wunsch in einem, das überhaupt keiner kommen würde. Doch diese Hoffnung wurde schnell zerschlagen, als vor zwei Tagen Mr Payne kam und von den Zahlen des Vorverkaufs berichtete. Die Stadthalle war fast ausverkauft. Woher kamen nur all die Menschen? Die Stadthalle! Sonst spielten da die tollen Bands, wurden Theaterstücke aufgeführt und fanden kleine Kongresse statt. Er war doch nur ein blinder Junge, der ein bisschen Gitarre spielte und sang. Wer waren all diese Leute?
Also blieb die Frage: Würden sie die Lieder mögen, oder würden sie ihn ausbuhen. Vielleicht würden sie einfach aufstehen und gehen. Sein Herz schlug mindestens zweimal so schnell wie üblich. War das das Gefühl, das man Lampenfieber nannte, oder war es eine vernünftige Einschätzung seiner Erfolgschancen?
„Wie spät haben wir?“
Er hielt es nicht mehr aus, diese Ungewissheit.
„Fünf Minuten, mein Schatz. Gleich ist es soweit.“
„Und du bringst mich wirklich raus, Mom?“
„Was denkst du denn? Klar bringe ich dich raus.“
„Die Gitarre?“
„Steht links neben deinem Stuhl.“
„Auch die Richtige?“
„Jonathans alte, wie du es wolltest.“
Er hatte überlegt, welches Instrument er nehmen sollte. Doch er war sich schnell klar darüber, dass nur die Gitarre, mit der er angefangen hatte, die Richtige sei.
Noch einmal strich er über das Hemd. Dann erhob er seine Hand, doch seine Mutter war schneller.
„Wenn du jetzt noch einmal durch deine Haare fährst, haue ich dir welche auf die Finger und dann ist es aus mit dem Klampfe spielen.“
Er ließ die Hand wieder sinken. Niemals hatte seine Mutter ihn geschlagen. Würde sie auch nicht, doch er wollte lieber kein Risiko eingehen.
„Komm jetzt, es ist soweit.“
Niall schluckte, stand aber auf und hakte sich bei seiner Mutter unter.
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Feel With The Hearts
FanfictionNiall ist das gewünschte, über alles geliebte Kind der Familie Horan. Alles verläuft wie im Märchen, das Glück ist vollkommen, doch dann bekommen die Eltern eine niederschmetternde Diagnose: Niall wird erblinden. Doch aus Asche wird Feuer geschlag...