Twenty

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2 Jahre später

Jonathan und Niall erfanden eine eigene Art, sich zu unterhalten. Einer spielte einen Satz Töne und der andere antwortete. Es war eine seltsame Art der Kommunikation, aber sie funktionierte.

Es waren keine komplizierten Sätze möglich auf diese Art, aber sie konnten Stimmungen ausdrücken, aufgreifen und sogar verändern. Beiden machte es riesigen Spaß, sich auf diese Art zu unterhalten.

Niall lernte alles, was man ihm beibrachte und er brachte sich selbst auch noch eine Menge bei. So kam der Tag, als der Lehrer nichts mehr wusste, was er seinem Schüler hätte vermitteln können. Als Jonathan dies Niall sagte, griff er in seine Gitarre und entlockte ihr ein

„Nein!“

„Aber Niall, du kannst jetzt alles, was ich kann und noch einiges mehr.“

Niall zupfte die Saiten.

„Ich verstehe nicht.“

Noch einmal dieselbe Tonfolge, diesmal aber energischer.

„Lerne?“

„Genau!“,

sagte die Gitarre.

„Du meinst, wir sollten die Rollen tauschen?“

„Genau!“

„Ein interessanter Gedanke. Aber ich weiß nicht, ob ich mir das leisten kann.“

„Ha, ha, ha“,

machte die Gitarre.

„Wer hat dir nur das mit der Gitarre gezeigt?“

Niall legte den Kopf schräg und grinste sein Gegenüber an. Dabei richtete er die Augen so gezielt auf seinen Lehrer, dass dieser hätte schwören können, er sehe ihn an.

„Ja, vielleicht kannst du das tatsächlich. Nicht das Äußere, aber bis in den Grund der Seele“,

dachte der Arzt bei sich.

„Das heißt aber, dass ich fortan kein Essen mehr bekomme.“

„Nein.“

Niall lachte.

„Das werde ich vermissen.“

Niall legte die flache Hand auf die Saiten seiner Gitarre.

„Jonathan, ich glaube, du solltest wissen, dass du zur Familie gehörst. Du wirst immer etwas von Mom zum Essen bekommen.“

„Aber ich bin doch nur dein Arzt.“

„Guter Witz. Du warst immer viel mehr wie…, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, ein Onkel, ein großer Bruder? Auf alle Fälle ein Freund.“

„Es bedeutet mir viel, was du da sagst.“

„Jedes Wort ist wahr und so gemeint. Bitte gehe nicht. Übe mit mir, oder lerne meine seltsamen Töne.“

So nannten sie beide die Griffe, die man in keinem Buch fand.

„Doch lass mich nicht alleine.“

„Weißt du, kleiner Bruder – der Gedanke gefällt mir übrigens – ich will gar nicht gehen. Ich hatte nie solch einen Freund wie dich, und es hätte mir sehr leidgetan, wenn das alles jetzt zu Ende gewesen wäre.“

„Und ich hatte nie einen großen Bruder. Eltern sind was Feines, aber ein Bruder ist was ganz anderes.
Es ist etwa so:“

Niall spielte eine Melodie, die Jonathan noch nie zuvor gehört hatte. Sie war voll Harmonie, Traurigkeit und Frohsinn in einem. Er konnte nicht lange zuhören, ohne dass sich eine Träne auf den Weg über die Wange zu seinem Kinn machte. Doch er war so gefangen worden in dieser Musik, dass er es nicht einmal merkte. Die Melodie führte ihn an Orte, die er noch nie gesehen hatte, die Töne stiegen in die Höhe und fielen von dort wie Blütenstaub herunter. Tausende von Farben hatten sie und sie hüllten ihn ein, hoben ihn auf und trugen ihn an noch entferntere Orte. An Orte, die noch nie ein Mensch gesehen hatte, außer vielleicht der Junge, der sie hervorzauberte. Niemals hatte eine einfache Gitarre solch eine Klangvielfalt gezeigt, niemand sonst konnte diesem einfachen Instrument, solche Töne entlocken.

Angelockt von dieser Melodie kam Nialls Mutter und lauschte. Sie war überzeugt gewesen, dass Jonathan spielte. Nun versank auch sie in dieser Melodie.

Als Niall endete, „sah“ er wieder zu Jonathan.

„Verstehst du, was ich meine?“

Der Arzt hatte Probleme, nicht zu schniefen und seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Letzteres gelang ihm nur unzureichend.

„Ich verstehe, oder glaube es zumindest zu verstehen. Ich...ich... weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich kann es auch nur mit Worten tun: Ich liebe Dich auch.“

Niall nickte.

„Du hast verstanden.“

Feel With The Hearts Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt