Feel With The Hearts

Twenty-One

Jonathan dachte immer, ein recht guter Spieler zu sein, doch vieles, was Niall ihm zeigte, verstand er nicht und auch wenn er die Griffe hinbekam, es klang bei ihm immer anders.

Nialls Art, die Saiten zu bearbeiten, war so, als sei es ein Teil seines Körpers. Mit ein und demselben Griff konnte er eine ganze Palette verschiedener Töne hervorzaubern. Es war unbegreiflich und faszinierend.

Manchmal hörte der Arzt einfach nur zu. Bei jedem Besuch hatte Niall neue Melodien komponiert. Seine Lieder waren wie eine Offenbarung und er hatte gelernt, jedes Gefühl, zu dem ein Mensch fähig war, in Töne zu fassen.

Bei einem Besuch spielte Niall eine Kaskade von schrillen Misstönen. Aber nicht, weil er die Griffe nicht beherrschte, sondern weil er genau das spielen wollte.

„Ärger in der Schule?“

Ein ärgerlicher Akkord bestätigte das.

„Was ist passiert?“

„Blöde Lehrer!“

„Was haben die denn Blödes getan?“

„Gemeckert haben sie – zumindest einer.“

„Worüber?“

„Meine Finger!“

„Deine Finger? Was ist damit?“

„Noch nichts, aber Mr Klugscheißer meinte, ich würde in spätestens einem Jahr nicht mehr lesen können.“

„Hu – und wie kommt er darauf?“

„Er hat gesehen, dass ich Schwielen an den Fingern habe.“

„Jetzt verstehe ich. Ja, wer regelmäßig Gitarre spielt, bekommt so was. Lass mal sehen.“

Widerwillig, fast ärgerlich streckte Niall seine Hände dem Arzt entgegen. Dieser untersuchte die Finger kurz und gab die Hände dann wieder frei.

„Er hat mit einem Recht, man sieht, dass du spielst. Gut, lass uns etwas ausprobieren.“

Er stand auf und ging zum Bücherbord, zog willkürlich ein Buch heraus, ging zurück zu Niall, schlug eine Seite auf und sagte:

„Lese mir doch bitte mal was vor.“

Der Junge nahm das Buch mit einem Ruck und legte die Finger auf das Blatt. Ohne zu stocken las er einige Zeilen vor.

„Also, noch scheint es ja zu gehen mit dem Lesen. Und deine Finger sind auch nicht so mit Schwielen belastet, dass ich befürchte, du könntest in nächster Zeit deine Fingerfertigkeiten verlieren.“

„Sag das nicht mir. Ich lese jeden Abend etwas und hatte noch nie Probleme, ein Wort zu entziffern.“

„Gut! Soll ich Dir ein ärztliches Attest schreiben?“

„Ha! Mit welchem Inhalt?“

„Weiß ich auch nicht, mir wird schon was einfallen.“

„Und was soll das nützen?“

„Eigentlich hast du Recht. Außerdem ist es so, dass es deinen Lehrer solange nichts angeht, bis deine schulischen Leistungen nachlassen. Das tun sie doch nicht, oder?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Dann ist doch alles okay, oder?“

„Jawohl!“,

sagte die Gitarre.

„Und? Hast du außer diesem Weltuntergangslied etwas Neues, was du mir vorspielen könntest?“

„Denke schon. Was hältst du davon...?“