Vergessenes Leben

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„Wo fahren wir eigentlich hin?", fragte ich Sam zum zwanzigsten Mal und erwartete dieses Mal eine Antwort. Er seufzte und bog rechts ab: „Das wirst du schon noch sehen. Entspann dich mal. Wir sind fast da." Steve starrte aus dem Beifahrerfensten und James, der neben mir saß, blickte auf den Boden. Manchmal sah ich ihn lächeln und manchmal sah ich Schmerz in seinen Augen. Ich lehnte meinen Kopf gegen das Fenster und versuchte ein wenig zu schlafen. Doch Sam fuhr über ein Schlagloch und mein Kopf fiel sehr fest gegen die Scheibe: „Verdammt! Kannst du nicht aufpassen? Du bringst mich ja noch irgendwann um." Sam lachte und wischte sich mit der linken Hand die Tränen aus dem Auge: „Nicht wenn du mich zuerst umbringst, Püppchen. Hey, kannst du dich eigentlich schon an irgendetwas erinnern?" Ich lächelte und sah, dass James mich auch ansah: „An Kleinigkeiten."
„Und die wären?", fragte Steve neugierig.
„Ich war verheiratet. Und ich hatte drei Kinder", antwortete ich und spürte, wie die ersten Tränen in meine Augen schossen.
„Du warst verheiratet?", schloss sich nun auch James an. Ich nickte und die erste Träne rollte schon über meine Wange. „Komm her", flüsterte er und zog mich auf seine Seite des Rücksitzes. Ich legte meinen Kopf auf James' Brust und er hielt meinen Oberkörper mit seinem Arm so nah wie möglich an seinem Körper. „Wann hast du geheiratet?", fragte Steve, der auf dem Beifahrersitz saß.
„Ich denke, ich war damals 15. Mein erstes Kind, Jerome, habe ich mit 16 bekommen. Alice mit 17 und David mit 18", flüsterte ich und schlief langsam ein. Mir war am Anfang garnicht bewusst, dass ich Kinder hatte und geschweige denn verheiratet war. „Warum hast du so früh geheiratet?", ergänzte Steve, „Ruth?"
„Meine Eltern wollten das", sagte ich im Halbschlaf und kuschelte mich noch ein wenig an James. „Ich schätze mal, dass unser Püppchen zu müde ist um an einem Verhör teilzunehmen", lachte Sam und sah in den Rückspiegel. „Steve, ich muss dich mal was fragen", begann Bucky.
„Klar, was ist denn los, Buck?", antwortete Steve ohne zu zögern.
„Ich ... nein, ist schon gut."
„Buck, was ist denn los?"
„Ich bin mir nicht sicher, ob ... ob ich das zulassen darf."
„Das mit dir und Ruth? Bucky, das hast du doch schon längst."
„Da hat er recht!", mischte sich Sam ein, „Sonst würde sie jetzt vermutlich nicht auf deiner Brust schlafen, oder?"
James sah zu mir hinab und lächelte: „Vielleicht habt ihr Recht."
Steve und Sam sahen sich an und lachten.
„Hört lieber auf zu lachen. Sonst muss ich euch noch umbringen", sagte ich ernst und setzte mich auf, „Wenn ich schlafe, höre ich trotzdem alles." Steve sah erstaunt zu uns nach hinten: „Ja, aber du redest auch im schlafn."
„Hört auf euch gegenseitig Morddrohungen zu machen. Wir sind da-a", unterbrach Sam unser Spiel.

Die letzten Sonnenstrahlen trafen meine Haut und der Wind wehte mir meine blonden Haare aus dem Gesicht. Eine kleine Welle brach genau vor meinen Füßen und das kühle Wasser  spritzte bis zu meinem Knöchel hoch. Mein weißes Shirt wehte hin und her. So etwas schönes habe ich noch nie gesehen. Ich hatte noch nie zu weinen begonnen, weil ich etwas schön fand. Über meine Wange rollte eine Träne und ich bekam Gänsehaut.
„Ruth", riss mich Bucky aus meinen Gedanken.
„James", erwiderte ich und wischte mir die Träne aus den Gesicht. Er stellte sich neben mich und legte seine Jacke über meine Schultern: „Ist alles in Ordnung?"
„Ja. Es ist nur ... ich kann es einfach nicht beschreiben", antwortete ich und weitere Tränen rollten über mein Gesicht. James drehte sich zu mir und legte seine Hände um mein Gesicht: „Versuch es."
Ich lächelte und blickte tief in seine blauen Augen: „Ich bin einfach nur glücklich."
Er lächelte und gab mir einen Kuss. Es war so anders, wenn er mich küsste. Mein ganzes Leben scheinte dadurch einen Sinn bekommen zu haben. Ein „Ich liebe dich" entfloh mir und ich bekam ein „Ich liebe dich auch" zurück.
„Ich zerstöre nur ungern die Romantik, aber ich glaube das müsst ihr euch ansehen", unterbrach uns Steve und wir folgten ihm.

„Seid ihr sicher, dass das David ist?", fragte ich unglaubig und starrte auf den Computer in Sams Hand. Steve nickte und holte tief Luft: „Wir haben ihn gefunden."
„Wo ist er? Steve, wo ist er?", fragte ich zuerst glücklich und danach wütend.
„Wir wissen es noch nicht. Sam kann versuchen ihn..."
„Ich will es jetzt wissen!", unterbrach ich ihn und währenddessen veränderte sich meine Stimme schlagartig. Sam holte seine Pistole aus der Tasche und richtete sie auf mich.
„Sam, was soll das?", fragte James erschrocken. Steve beobachtete wie sich meine Augäpfel schwarz färbten und mein Körper sich veränderte. „Verdammt scheiße", flüsterte Sam und ließ die Pistole fallen.
„Ruth", versuchte James mich zu beruhigen, „Ich bins, Bucky."
„Mein Name ist nicht Ruth!", erwiderte ich sirenenartig und ging näher an Steve ran, „Mein Name ist Ophelia. Und Ruth ist im Augenblick nicht zu sprechen. Auch, wenn sie mich gerade anschreit." Ich grinste dreckig und das war das Letzte, an das ich mich erinnern konnte.

„Was zum Teufel ist gestern passiert?", stöhnte Sam und hielt sich den Kopf.
„Das werden wir schon noch rausfinden", antwortete Steve, „Aber zuerst müssen wir Ruth finden."
„Steve, sie könnte überall sein", fügte James noch aufgebracht hinzu.
„An was könnt ihr euch noch erinnern?", fragte Sam und putzte sich den Sand von seiner Kleidung, „Ich weiß nur noch, dass sie sagte, ihr Name sei Ophelia."
„Dark Ophelia", nuschelte Bucky, „Ich kenne diesen Namen."
„Buck, weißt du auch zu was sie im Stande ist?", fügte Steve hinzu und warf James einen ernsten Blick zu. Er schüttelte seinen Kopf und blickte zu Boden. Ein schriller, lauter Schrei ließ ihn erschrocken aufblicken: „Das war Ruth!"
„Na, wenn er das sagt", fügte Sam sarkastisch hinzu und lief Bucky und Steve hinterher.

Ich starrte immer noch auf die blutleere Leiche neben mir. Was zum Teufel hatte ich getan? Was hatte Ophelia getan? Ich kauerte mich in eine Ecke und begann zu weinen, bis ich eine vertraute Stimme hörte.
„Ruth!", rief Bucky und ließ sich neben mir auf die Knie fallen, „Alles ist in Ordnung, okay? Geht es dir gut?" Steve sah sich währenddessen die Leiche an und war sichtlich erschüttert. Ich schüttelte meinen Kopf: „Nein, nichts ist in Ordnung und mir geht es auch nicht gut! Ich habe ihn umgebracht! Ich bin ein Monster!"
„Du bist kein Monster. Nicht für mich. Wir kriegen das hin, okay?", erwiderte Bucky und ich ließ mich in seine Arme fallen. Er hob mich hoch und brachte mich weg. Mir war egal wohin er mich brauchte. Hauptsache weg und Hauptsache er war bei mir.

Bucky setzte mich im Sand ab und warf sich neben mich: „Wir schaffen das."
„Wir?", fragte ich erstaunt.
„Ja, wir. Ich steh das mit dir durch", erwiderte er und legte seinen linken Arm um mich. Ich spürte das Metall, aber es störte mich nicht. Es war angenehm.
„Wenn das noch einmal vorkommt, will ich, dass du mich erstichst. Eine Kugel bringt bei Ophelia nichts."
„Ruth, das kann ich nicht machen."
„Versprich es mir! Ich muss nicht beschützt werden. Ihr müsst vor mir beschützt werden! Ich bin gefährlich."
„Du bist nicht gefährlich. Du bist ein Mädchen. Mein Mädchen. Und ich werde nicht zulassen, dass dir jemand wehtut."
„James", fing ich unter Tränen an zu sagen, „Ich muss dich beschützen. Ich darf nicht zulassen, dass dir etwas Schlimmes passiert. Auch, wenn ich das schlimme Ding bin."
„Ich liebe dich, Ruth. Wenn du mich umzubringen wolltest, hättest du es schon längst getan."
„Ich liebe dich auch, Sargent Barnes."
Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und schloss kurz meine Augen.
„Wir finden David. Das verspreche ich dir", fügte er noch hinzu und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Ich hatte Probleme damit, mir es wirklich einzugestehen, aber nun fügte ich mich meinen Gefühlen. Meistens jedenfalls.
Ich liebte James.
Mehr als ich mir jemals erträumt hatte.

Dark Ophelia (Bucky Barnes Fan-Faction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt