Kapitel 4

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Morgenröte

Kapitel 4

„Du willst mich behalten?" Der Kleine war auf einmal sehr kindisch freudig. Mir gefielen seine explosiven Gefühle, die das Gegenteil von mir widerspiegelten, doch wollte ich nicht wissen wie er war, wenn er wie ich in tiefe Melancholie verfallen würde.

„Ja!" Ich lachte.

„Verdammt! Ich lache seit einem Jahr das erste Mal!" Etwas geschockt sah er mich an.

„Ein Jahr?" Ich nickte stumm, packte meinen Penis wieder in die Boxer und zog die Jogginghose darüber.

„Das ist verdammt lang." Niedergeschlagen schaute er auf den Boden.

„Hat dich deine Frau besucht?" Langsam lehnte ich mich wieder, wie er, auf meine Arme und sah ihn leise lächelnd, trotz der Tatsache, an.

„Baker sagt sie dürfe nicht." Still nickte Chester.

„Ich hätte nicht erwartet, dass du schwul bist?"

„Danke.", lächelte Chester.

„Und du bist eher bisexuell, richtig?" Ich nickte. Ich hatte mich früher nicht geoutet und den ganz normalen Mike Shinoda gespielt. Ich war hetero, hatte eine wunderbare Frau mit der ich mich perfekt verstand, eine kleinen Sohn und einen gut bezahlten Job. Letzteres jetzt sicher nicht mehr. Wer würde einen depressiven und suizidalen Mitarbeiter brauchen? Niemand!

„Ich hab immer versucht perfekt zu sein, was mich schließlich hierher gebracht hat." Chester nickte wieder.

„Hast du versucht dich umzubringen?",sah er mich zwischen den Bergen aus Büchern an. Ich nickte nur gepeinigt. Wenn dieses Gefühlschaos ohne Gefühle weiterhin so gehen würde, dann würde ich mich dazu gezwungen fühlen es noch einmal mit Erfolg zu tun.

„Ich war sechszehn. Mein Dad hat mich zum Glück im letzten Moment gefunden. Ich Idiot hatte vergessen, dass ich ihm wichtig bin. Deshalb trage ich das Spinnennetz an meinem Ellenbogen, um mich daran zu erinnern. Ich hätte mich fast umgebracht." Ich nickte. So viel wie ich wusste war dieses Element eher unter verurteilten Mördern in Haft verbreitet. Er bereute es sehr, dass er versucht hatte sich umzubringen.

„Ich habe es mir jedoch erst dann stechen lassen, als ich es noch einmal versucht hatte. Heroin und Alkohol waren noch nie eine gute Mischung." Als der letzte Satz über seine Lippen kam, lächelte er.

„Du gehst mit so etwas so einfach um... Ich versteh das nicht." ,gab ich offen zu. Das einzige, was mir wieder in meinem Kopf herumschwirrte, war das jeder das aus einem Tag machen kann, was er daraus macht. Jeder Tag kann Gutes bringen.

„Ein Mann sagte einmal, dass man nicht viel über die Vergangenheit nachdenken solle, weil es nur von der Realität ablenken würde. Man müsse daraus lernen, damit man die Zukunft nicht so gestaltet, wie man sie in der Vergangenheit versaut hat." Ich nickte still und sah ihn wieder an. Der Spruch war nicht dumm. Doch auf mich passte er nicht. Ich saß längst tief in meiner Scheiße vergraben. Ich war an Anna gebunden und Chesters Gefühle könnte ich nicht mit nach draußen nehmen. Wenn ich es trotzdem wollte, dann müsste ich einen ernsthaften Plan haben.

„Ich kann das nicht." Etwas belanglos zuckte Bennington nur mit den Schultern. Er gab wohl gerade genauso wie Scott und Baker auf.

„Als ich dich das erste mal gesehen habe..." Er stockte und griff sich eines der Bücher. Er schlug es auf, blätterte es durch, vielleicht suchte er einige Bilder, die er sich ansehen konnte. Bei dem Roman würde er nicht fündig werden.

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