Kapitel 11 (part 2)

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                                                               Abigail

Ohne weiter auf Nolan, der immer noch wie eine undurchdringliche Wand zwischen mir und Raigan stand, zu achten, lief ich an ihm vorbei und auf Jesper zu. Bevor ich Jesper jedoch erreichen konnte um ihm zu helfen, wurde ich brutal und ruckartig durch einen festen Griff um meinen Oberarm zurück gerissen. Ich wurde herumgerissen und der Kelch wurde mir aus der Hand genommen. Ich prallte gegen eine breite Brust und wurde dort festgehalten. Wild um mich strampelnd, versuchte ich mich aus Raigans Griff zu befreien – ein verzweifelter Versuch, zu Jesper zu gelangen. Raigan ließ sich von dem nicht beeindrucken und deutet mit seinen Kopf in die Richtung von Nolan und Xenia um seinen Kumpanen anzuweisen, sich um sie zu kümmern.

»Schnappt euch die beiden anderen Kelche dort drüben in der Wand und kümmert euch um die Übrigen. Ich habe keine Verwendung mehr für sie. Sie haben uns bis hierher geführt, uns den Kelch gesichert und würden uns jetzt nur noch im Weg stehen. Also beseitigt sie.«

Mit dem Kelch in der einen Hand, und die andere um meinen Oberarm, ging er, mit mir im Schlepptau, auf den Ausgang zu. Im Augenwinkel erkannte ich, wie Nolan versuchte, dies zu verhindern, und wollte sich auf Raigan stürzen - blieb dann allerdings wie angewurzelt stehen.

Raigan hatte meinen Arm losgelassen und hielt mich nun, mir ein Messer an die Kehle drückend, vor sich fest. Ich schluckte schwer als ich die Spitze des Messers an meiner Haut spürte. Eine falsche Bewegung und schon würde er mir, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, die Kehle durchschneiden.

Wie betäubt, bekam ich alles nur am Rande mit. Alles schien sich in Zeitlupe zu bewegen und hinter einem Schleier stattfinden. Meine Gedanken kreisten um das scharfe Messer an meiner Kehle sowie um Jesper und die Blutlache die sich immer weiter unter seinem Körper ausbreitete und den Boden dunkelrot färbte. Wenn nicht bald jemand etwas unternahm, dann würde er verbluten.

»Wage es ja nicht näher zu kommen, oder das Blut deiner kleinen süßen Freundin hier wird ebenfalls den Boden tränken.«

Nolan zögerte. Sein Griff um sein Schwert war so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sin Gesicht zu einer Fratze verzogen. Sobald Raigan merkte, dass Nolan nichts tun würde, das mich in Gefahr bringen könnte, zog er mich weiter mit sich auf den Ausgang zu. Ich stolperte mehr, als das ich ging. Unbeholfen hing ich in seinen Armen und versuchte weiterhin, zu entkommen – immer darauf bedacht, dass sein Messer nicht noch tiefer in meine Haut einritzte. Als wir den Ausgang fast erreicht hatten, fing der Boden plötzlich an zu vibrieren. Steine bröckelten von den Wänden und fielen von der Decke und zerschellten auf dem Boden. Was geschah hier? Auch Raigan hielt kurz inne und blickte sich um.

Als mein Blick nach hinten in den Raum schnellte, sah ich, wie zwei seiner Kumpane gerade die Kelche aus den Löchern in der Wand entfernt hatten. Diese sahen sich ebenfalls verwirrt an und wussten offensichtlich nicht, was zu tun war. Ich konnte ein abschätziges Lachen dicht hinter mir hören und blickte nach hinten, nur um ein listiges Grinsen zu sehen.

»Idioten. Sie verdienen es nicht anders als hier mit euch zu sterben.« Was für ein Arschloch. Er hatte gewusst, was passieren würde, wenn sie die beiden Kelche entfernten und doch hatte er ihnen angewiesen genau das zu tun. Unsäglicher Hass und Abscheu kam in mir auf und richtete sich gegen Raigan.

Doch ich kam nicht mehr dazu, meinen Hass und meine Wut in Kampfkraft umzuwandeln, da links und rechts neben uns Regung aufkam. Die zwei Steinchimären, die ich bei unserer Ankunft genauer gemustert hatte und da schon für unheimlich befunden hatte, bekamen am ganzen Körper Risse. Sobald Raigan das bemerkte, stieß er mich fest von sich, so, dass ich stolperte und auf alle viere fiel, und lief davon. Zusammen mit dem Kelch. Wäre ich nicht so überwältigt von dem gewesen, was mir hier gerade zur Schau dargeboten wurde, wäre ich ihm wahrscheinlich nachgelaufen. Für den Moment, war ich nur froh darüber, noch am Leben zu sein.

Ich richtete mich genau in dem Moment auf, als die zwei Chimären sich ebenfalls von ihren Plätzen erhoben und sich schüttelten und streckten, als ob sie gerade von einem Nickerchen aufgewacht wären. Mit ihren Katzenartigen dunklen Augen, die nun nicht mehr aus Stein bestanden, scannten sie den Raum und sobald sie die Eindringlinge, die versucht hatten die beiden Kelche zu stehlen, am anderen Ende des Raumes entdeckt hatten, liefen sie los. Wie zwei große geschmeidige Katzen rannten sie um die Säulen und sprangen auf ihre Beute zu.

Ich wusste nicht, ob sie es nur auf die beiden Personen abgesehen hatten, die auch wirklich versucht hatten den Kelch zu stehlen oder ob sie keinen Unterschied machten und einfach alle angreifen würden die sie mit ihren Pranken erwischten.

»Nolan, Xenia, passt auf!«, schaffte ich gerade noch zu schreien bevor die beiden Chimären sie erreichten. Wie befürchtet, machten die beiden fabelhaften Wesen keinen Unterschied zwischen denen, die tatsächlich den Kelch entwendet hatten und jenen die einfach nur Zuschauer gewesen waren. Sie kannten keinen Unterschied zwischen Gut und Böse sondern taten nur das, wofür sie hier waren. Die Kelche beschützen vor jenen, die von Gier zerfressen waren.

Xenia parierte gerade einen weiteren Schlag eines der Mitglieder der Umbra, duckte sich unter dem Schwerthieb hindurch und schlug dann mit einer kleinen Klinge, die sie im Stiefel versteckt hatte, zurück. Den Schlag, den ihr Gegner an der Kehle getroffen hätte, musste sie jedoch mitten in der Luft abbrechen, da sich die weibliche Chimäre von der Seite anschlich und auf die beiden zuschoss. Nur mit knapper Not konnte Xenia ausweichen und den großen gefährlichen Pranken entkommen. Den Fremden erwischte es jedoch und so wurde er einige Meter über den Boden geschleudert. Dort blieb er reglos liegen.

Auch Nolan, der gerade von zwei Männern umkreist wurde, konnte nur knapp dem Angriff der männlichen Chimäre ausweichen.

Ich riss mich Notgedrungen von der Kampfszene los, in der Hoffnung, dass ihnen nichts passieren würde, und lief zu der Stelle, an der Jesper reglos auf dem Boden lag. Die Blutlache unter ihm war besorgniserregend groß. Meine Beine konnten mich nicht schnell genug zu ihm bringen. Ich stolperte einige Male über meine eigenen Füße bevor ich ihn endlich erreichte.

Sofort ließ ich mich auf die Knie neben ihn fallen. Er lag mit dem Kopf nach unten. Mein Herz raste.

Bitte. Bittebitte...

Behutsam drehte ich ihn auf den Rücken. Ein leises Stöhnen kam von Jesper was mein Herz einen Satz machen ließ – er war noch am Leben. Noch gerade so. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen bei seinem Anblick. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert und glücklich sein sollte, das er lebte, oder verzweifelt und traurig über seinen Zustand. Meine Gefühle übermannten mich. Bilder meiner Vision huschten in meinem Kopf umher, zeigten mir, was ich bereits befürchtet hatte was passieren würde, wenn ich nichts unternahm um ihm zu helfen.

Ich musste etwas tun! Es konnte nicht so enden wie ich es in der Vision gesehen hatte. Auf keinen Fall würde ich Jesper hier sterben lassen! Ich würde es nicht ertragen, ihn sterben zu sehen und zu wissen, dass ich vielleicht etwas hätte tun können um ihn zu retten. Es würde mich mein Leben lang verfolgen. Jesper hatte das hier nicht verdient. Er war nur wegen mir hier. Das war alles meine Schuld. Ich wäre nie mehr in der Lage seinen Eltern in die Augen zu schauen.

»Jesper. Kannst du mich hören? Bleib bei mir. Du musst durchhalten.« Wieder kam ein leises Stöhnen über seine Lippen, nicht mehr im Stande und nicht mehr genug Kraft übrig um mir zu antworten.

Eagsúlia - Macht der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt