Kapitel 12 (part 1)

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                                                            Xenia

Ungefähr zwei Wochen waren seit dem schrecklichen Vorfall hinter dem Wasserfall, bei dem uns der Kelch der Einigung von Raigan vor der Nase gestohlen wurde, vergangen. Zwei lange und anstrengende Wochen die mir wie eine Ewigkeit vorgekommen sind. Seitdem war so viel passiert. So viel Schreckliches an das ich gar nicht denken wollte. Trotzdem spukten die Gedanken kontinuierlich in meinem Kopf herum und versuchten mich zu brechen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass sie nicht mehr da waren. Wieso musste es so weit kommen?! Bei dem Gedanken drückten zum wiederholten Male Tränen hinter meinen Augen und wollten sich einen Weg über meine Wangen bahnen. Ich schluckte schwer und blinzelte heftig damit sie verschwanden. Ich hatte schon genug Tränen in den vergangen Tagen vergossen und helfen würde es sowieso niemandem mehr.

In dem kleinen quadratischen Raum, in dem ich mich gerade befand, war es recht dunkel. Nur eine spärliche Flamme in einer Lichtkugel, die auf dem Tisch neben mir stand, spendete etwas Licht und ließ sich windende Schatten auf den Wänden entstehen. Durch ein kleines Fenster an der Wand mir gegenüber, konnte ich einige Sterne erkennen doch der Mond war von dicken schwarzen Wolken verdeckt und ließ sich nicht blicken. Diese dichten dunklen Wolken schienen meinen Gemütszustand widerzuspiegeln.

Ich fuhr mir mit der Hand durch meine schulterlangen braunen Haare, sie waren in den letzten Monaten etwas gewachsen, und dann fuhr ich mir übers Gesicht. Rieb mir über die Augen. Die Geschehnisse der letzten Wochen hatten an meinen Kräften gezehrt. Nicht nur an meinen. Alle waren momentan ständig auf den Beinen, unterwegs und mit irgendetwas Beschäftigt – mussten sich um Sachen kümmern oder was Wichtiges erledigen. Es herrschte Aufruhr und niemand wusste so recht, was wir nun tuen und wie es weitergehen sollte. Man versuchte eher schlecht als recht die Fassung zu wahren und zumindest Äußerlich nicht niedergeschlagen und ausgezehrt auszusehen.

Ein leises Geräusch und Rascheln der bunten Stoffdecke vor mir auf dem Bett ließ mein Herz kurz stehenbleiben und ich blickte auf. Leise Hoffnung keimte in mir auf, doch sie wurde wieder erstickt und starb so schnell wie sie gekommen war. Es herrschte wieder Ruhe. Totenstille. Nur das Flackern der Flamme und leise Atemgeräusche waren zu hören. Ich seufzte schwer und ließ mich im Stuhl nach hinten fallen.

Ein zögerliches Klopfen an der Tür, einige Zeit später, ließ mich augenblicklich aufsetzten. Jesper lugte um die Ecke ehe er hereinkam. Er schloss die Tür wieder leise hinter sich und kam auf mich zu.

»Hallo Xenia. Immer noch nichts Neues von ihr? Keine Veränderung?«

Ich schüttelte resigniert den Kopf und richtete dann den Blick wieder auf die Gestalt die reglos im Bett vor mir lag. Ihre langen kastanienbraunen Haare lagen wie ein Fächer um ihren Kopf, ihre Haut so blass wie eine Leiche – man konnte sogar die feinen Adern durch ihre Haut hindurch erkennen, die wie ein vernetztes Straßensystem in alle Richtungen verliefen und sich kreuzten.

Seit dem Tag in der Höhle in der Abbie das Bewusstsein verloren hatte – wie Jesper uns im Nachhinein erzählte, hatte sie ihm das Leben gerettet und war sehr wahrscheinlich deswegen jetzt im diesen Zustand –, war sie nicht mehr zu sich gekommen. Sie lag nur reglos da und murmelte ab und zu etwas Unverständliches vor sich hin - die einzigen Anzeichen, dass sie noch am Leben war. Äußerlich hatte sie keine sichtbaren Verletzungen. Keine Schnittwunden, Kratzer oder blaue Flecke. Nichts, das uns auch nur einen kleinen Hinweis liefern konnte, was mit ihr los war. Uns blieb nichts anderes übrig als zu spekulieren, dass sie bei der Heilung von Jesper zu viel Energie gebraucht hat und ihr Körper sie durch den vorübergehende Bewusstseinsverlust dazu zwingt, sich zu erholen und ihre erschöpften Reserven wieder aufzufüllen. Jedenfalls hofften wir, dass es nur vorübergehend war. Ich hatte noch nie von einer Fähigkeit gehört, geschweige denn miterlebt, wie die, die Abbie angewandt haben muss, um ihren Freund zu retten. Solche Macht. Ich wusste, dass es eine Handvoll Leute gab, die kleinere Wunden wie leichte Verbrennungen oder kleine Schnitte heilen konnten, aber jemanden zu heilen, dem ein Messer in den Unterleib gestoßen wurde und der an der Schwelle des Todes stand ... von so etwas hatte ich noch nie zuvor gehört. Wie hatte sie das nur angestellt. Außerdem, besaß Abbie bereits eine Gabe, die der Visionen. Wie um der Götter Willen, hatte sie das also angestellt? Niemand, absolut niemand besaß zwei Gaben.

»Wenn du willst, kannst du jetzt selbst etwas Schlaf nachholen. Ich werde jetzt etwas hierbleiben.« Von uns allen, war es wohl für Jesper am schwersten Abbie so zu sehen. Natürlich war es für niemanden leicht, Abbies Zustand zu akzeptieren, doch er kannte sie seit sie klein waren. Unsere Wege hatten sich erst vor kurzem gekreuzt und dennoch hatte ich bereits jetzt das Gefühl, in Abbie eine Freundin fürs Leben gefunden zu haben. Seine beste Freundin so zu sehen, war bestimmt nicht leicht für Jesper. Vor allem, da seine Gefühle über die der Freundschaft hinausgingen. Ich hatte seine Blicke allzu häufig bemerkt, die er ihr zuwarf, wenn er dachte niemand würde es bemerken. Ich hatte es bemerkt.

Über seine sonst so hellen grauen Augen lag seit den letzten Tagen immer ein dunkler Schimmer der sich dort eingenistet zu haben schien und nicht vorhatte, in absehbarer Zeit zu verschwinden. Außerdem hatte ich das Gefühl, das er abgenommen hat und er sah einfach nur total fertig aus. Schatten unter den Augen betonten dies noch. Ich stand auf, machte einen Schritt auf ihn zu und legte meine Hand auf seinen Oberarm und drückte ihn leicht.

»Du könntest selbst auch etwas Schlaf gebrauchen. Du hast schon so viel getan die letzten Tage über. Du musst doch vollkommen am Ende sein. Ihr wird schon nichts passieren die Zeit über in der du dich ausruhst. Und außerdem bin ich mir sicher, dass sie nicht erfreut sein wird dich in diesem Zustand zu sehen wenn sie aufwacht, besonders nicht nachdem sie sich solche Mühe gemacht hat, dich zu heilen. Ihre Tat wäre umsonst gewesen und du willst sie ganz bestimmt nicht verärgern.« Ein schwaches Lächeln trat auf seine Lippen. »Da hast du wohl Recht. Ich werde nur kurz bleiben und dann selbst etwas schlafen.«

Ich zog misstrauisch eine Augenbraue hoch.

»Versprochen«, sagte er. Dann setzte er sich auf den Stuhl auf dem ich bis gerade eben noch gesessen habe und zog ihn näher an das Schlaflager, auf den Abbie immer noch regungslos lag, heran. Ich beäugte ihn noch einmal kurz und traf dann aus dem Zimmer. Ich hoffte wirklich, Abbie würde bald aufwachen, nicht nur Jesper zu lieb. Wir alle machten uns große Sorgen.

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