Heute bin ich nicht alleine mit einem Mädchen in der U-Bahnstation. Im Gegenteil, an diesem Freitag herrscht reges Treiben in den Tunneln des Bahnhofs.
Ich sitze auf meinem üblichen Platz und sehe zu, wie die Leute aneinander vorbeiströmen. Einige Male erwische ich mich dabei, wie ich nach Leuten Ausschau halte, die so aussehen, als würdem sie sich im nächsten Moment auf die Bahngleise werfen, oder wie ich beinahe aufspringe, weil jemand zu nah am Abgrund steht.
Doch nichts geschieht.
Was denke ich mir auch?
Dass ich zu einer Art Superheld mutiert bin, der Selbstmörder rettet?
Wohl kaum."Hältst du Ausschau nach mir?"
Ich zucke zusammen, wie ein Kind, das dabei erwischt wurde, wie es heimlich Kekse klaut.
U-Bahn-Mädchen."Wieso? Denkst du, ich würde hier nur herumsitzen, um Leute festzuhalten, die sich gerne vor Züge schmeißen?" Sie hebt eine ihrer dunklen Augenbrauen, ihre Augen funkeln nekisch. "Könnte ich mir bei dir tatsächlich vorstellen."
Irgendwie weiß ich nicht so recht, ob ich das als lustig oder beleidigend empfinden soll.
Schließlich entscheide ich mich für ein Augenverdrehen.Sie lässt sich neben mich fallen. Gemeinsam warten wir auf die U-Bahn, während die Station sich leert.
Als wir einsteigen, setzt sie sich dieses Mal neben mich und ich bin überrascht, dass ich nichts dagegen habe.
Wieder fällt mir ein, dass ich ihren Namen nicht kenne, doch bevor ich sie danach fragen kann, kommt eine andere Frage über meine Lippen, die bisher nur danach geschriehen hat, endlich gefragt zu werden."Was meintest du, als du gesagt hast, du hättest diesen Punkt auf deiner Liste abhaken müssen?"
Wir scheinen beide überrascht zu sein, dass ich das gefragt habe. Ich vielleicht sogar noch ein wenig mehr als sie.Nach einigen Sekunden schleicht sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Ich mag ihr Lächeln. Es ist kein strahlendes, breites Lachen, nur ein kleines Lächeln. Es ist keins dieser Lächeln, bei denen man das Gefühl hat, die Sonne würde aufgehen, es ist eher...wie Kerzenlicht. Klein, warm, für jeden.
"Ich zeig es dir morgen, okay? Nach der Schule." Ich nicke und sie steht auf.
"Okay, ich muss dann hier raus, bis dann!"Und bevor ich mich wundern kann, dass sie letztes Mal an meiner Station ausgestiegen ist, bevor ich sie nach ihrem Namen fragen kann, ist sie schon aus der U-Bahn gestiegen.
Dann fällt mir auf, dass morgen Samstag ist und dass ich nichts von ihr, geschweige denn dem Ort oder der Zeit unseres Treffens weiß.
Und zum ersten Mal in meinem Leben fluche ich darüber, dass wir Samstags keine Schule haben.
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Wenn wir sterben - oder wie man das Leben spielt
Teen Fiction"Sterben stelle ich mir vor, als wäre man high. Man kann all den Schmutz, der am eigenen Leben klebt, vergessen. Es kümmert einen einfach nicht mehr. Und man muss nicht mehr denken. Das ist wohl das Beste daran." Das Bild vom Cover dieses Buches ha...