Graces Zimmer ist recht klein, aber dafür umso gemütlicher. Ihre Bettbezüge sind hellgrün und es häuft sich ein Berg von Kissen darauf, darüber befindet sich eine Dachschräge.
Unter einem Fenster, das zur Straße zeigt - offenbar ist es das Fenster, das man über der Tür an der Frontseite des Hauses sehen kann, wenn man davor steht - wurde ein Schreibtisch platziert, der so chaotisch ist, dass es mir unmöglich erscheint, mir vorzustellen, wie daran jemand arbeiten kann. In einer Ecke steht ein Sitzsack, daneben liegen einige Bücher, die teilweise sogar noch aufgeschlagen sind.Grace setzt sich im Schneidersitz auf das Bett und stellt den Teller mit Keksen neben sich ab.
Kurz darauf sitzen wir nebeneinander auf dem Bett, an die Wand gelehnt, sehen uns auf ihrem Laptop 'Prinz Kaspian von Narnia' an und essen die selbstgebackenen Keksbruchstücke, sowie Pizza Wurstel e patatine mit viel Mayonese, die Brayden extra für uns bestellt hat. Es hat mich ein wenig Überzeugungskraft gekostet, bis Grace mir vertraut hat, dass das die beste Pizza ist, die sie jemals essen wird.
Pizza mit Wurst und Pommes als Belag hört sich allerdings auch nicht besonders gut an.
Unsere Eltern haben zugestimmt, dass ich bei Grace übernachten darf - obwohl wir Mädchen und Junge sind. Es hat wohl doch einen Vorteil, 'psychisch labil' und todkrank zu sein.Schließlich liegen wir einfach nur noch auf ihrem Bett und reden, während der Filmabspann vor sich hin dudelt.
"Wie fühlt es sich an? Also...gesagt zu bekommen, dass man sterben wird?" frage ich schließlich in die Stille hinein, die zwischen uns entsteht, als der Film stoppt.
Grace schweigt für eine ganze Weile, und ich habe schon Angst, dass ich vielleicht etwas falsches gesagt habe, als sie mir antwortet:
"Zuerst kommt der Schock. Man kann garnicht denken. Es ist, als würde alles, an das man geglaubt hat, alles, von dem man gedacht hat, es würde gut sein, in sich zusammen fallen.
Dann blockt man es ab. Man kann es nicht glauben, will nicht einsehen, dass das gerade einem selbst passiert. Es fühlt sich eher an wie einer dieser schlechten Teenie-Drama-Filme. Man will, dass es nur ein schlechter Traum ist, aus dem man in jedem Moment aufwacht.
Dann kommt die Wut.
Man versteht es nicht, ist verzweifelt und wütend auf alles und jeden, weil man es verdammt nochmal nicht verdient hat. Niemand hat das verdient. So...so einen Dreck.
Dann Trauer, weil einem auffällt, wie wenig Zeit einem noch bleibt, und was man eigentlich noch alles erleben und vor sich haben sollte und will, weil man doch erst am Anfang des Lebens steht.
Und dann kommt die Melancholie und man fühlt gar nichts mehr."Wir schweigen.
Was soll ich auch sagen? 'Tut mir leid'? Das ändert auch nichts an der Tatsache, dass sie sterben wird."Weißt du, ich wollte nie in einem Krankenhaus sterben. Sterben ist etwas so intimes. Ich wollte nicht, dass man mein Leben in irgendeiner Form überwachen kann. Wenn ich sterbe, und die Maschinen ausgehen, dann möchte ich einfach tot sein, und vielleicht erfahren, was hinter dem Tod liegt. Ich will nicht, dass Menschen versuchen, mich wieder zurück zu holen, nur um dann weiter mein Krankenhaus leben zu fristen, oder erneut ihre Hoffnung sterben zu lassen..." sie wird immer leiser.
Verdammt, ich kann sie verstehen. Als ich gestorben bin, habe ich mir auch nicht vorgestellt, ein paar Tage später im Krankenhaus aufzuwachen und wieder in die trüben Augen dieser Welt blicken zu müssen, während mir gesagt wird, dass ich im Grunde genommen nie tot war.
"Sterben stelle ich mir vor, als wäre man high. Man kann all den Schmutz, der am eigenen Leben klebt, vergessen. Es kümmert einen einfach nicht mehr.
Und man muss nicht mehr denken.
Das ist wohl das Beste daran." Ich grinse leicht im Dunkeln und ich weiß, dass Grace es auch tut.
Sie ist die beste Freundin, die ich je hatte. Vermutlich auch die einzige.
Verdammt, ich will nicht, dass sie stirbt.
Das ist einfach nicht fair."Tut mir leid, dass du mich kennenlernen musstest." flüstert die schließlich.
Ich lächle schief, auch wenn sie das nicht sieht. "Schon okay." Hinter meinen Worten steckt so viel mehr. Aber all das kann ich in Worten nicht ausdrücken.
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Wenn wir sterben - oder wie man das Leben spielt
Teen Fiction"Sterben stelle ich mir vor, als wäre man high. Man kann all den Schmutz, der am eigenen Leben klebt, vergessen. Es kümmert einen einfach nicht mehr. Und man muss nicht mehr denken. Das ist wohl das Beste daran." Das Bild vom Cover dieses Buches ha...