ACHTER AUGENBLICK

987 138 88
                                    

Zu meinem Bedauern ist Mom schon ziemlich früh zurück.

Ich bin mir sicher, dass Dad ebenfalls schon seit langem zu hause ist. Der Unterschied zwischen den Beiden ist nur, dass  ihm weitgehend egal ist, was ich tue, während Mom wohl am liebsten jede Bewegung meines kleinen Fingers kontrolliert hätte.

So auch jetzt.

Sofort werde ich in die Küche kommandiert, um etwas zu essen.

Niemand sagt etwas.
Sie sitzt einfach nur da und beobachtet mich, wie ich esse.
Ich hasse es, wenn man mir beim Essen zusieht.
Ich hasse es generell, wenn man mich ansieht.
Als würde man mich bewerten wollen.
Einer der Gründe, wieso ich Schule hasse. Intelligenz und Können kann man nicht in Noten messen.

Sobald mein Teller leer ist, drückt sie mir die volle Mülltüte in die Hand.

Ich schlurfe nach draußen und lasse den Abfall in die große Mülltonne fallen.
Kurz bleibe ich davor stehen.
Am liebsten würde ich meinen Kopf hinein stecken.

Gleich und Gleich gesellt sich gern, oder so ähnlich.

Allerdings ist es dann doch sogar unter meinem Niveau, sich in einer Mülltonne vor dem Leben zu verstecken.

Im Haus gegenüber wird hinter hellen Vorhängen ein Licht in der oberen Etage angeknipst. Eine Silhouette ist kurz im Fenster zu sehen, offenbar eine Frau die sich das Oberteil auszieht.

Oh verdammt.

Obwohl ich natürlich rein gar nichts bis auf einen verschwommenen Umriss gesehen habe, werden meine Wangen heiß und rot und ich wende mich eilig ab.

Ich würde nicht sagen, dass ich unreif bin, ich habe einfach...nicht allzu viel Erfahrung mit Mädchen, um es so auszudrücken.

Mädchen wollen keinen depressiven Typen.

Einer der Gründe, wieso ich Menschen nicht mag. Sie verurteilen Leute für ihr Aussehen, ihre Gefühle und Vorstellungen, ohne sie zu kennen.

Sie hören Depressionen und schon meinen sie alles über mich zu wissen.
Sie sagen mir, ich hätte keinen Grund, traurig zu sein.
Traurig.

Nur weil man depressiv ist, ist man nicht automatisch traurig.

Nur weil man weint, muss es noch lange nicht aus Trauer sein.

Depressionen sind nicht zwingend mit Traurigkeit gleichzustellen.

Ich bin nicht traurig.
Ich denke nur viel.
Zu viel.
Und meine Gedanken deprimieren mich.

Wenn wir sterben - oder wie man das Leben spieltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt