VIERUNDSECHZIGSTER AUGENBLICK

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Und Ian behält recht. Knappe drei Tage, die mir wie ganze drei Ewigkeiten vorkommen, ist Grace wieder voll da und bei- beinahe- klarem Verstand.

Ich verbringe jede freie Minute mit Grace, obwohl es so sehr weh tut, sie anzusehen. Denn mit jeder dieser Minuten, jeder Sekunde, wird mir immer mehr klar, wie schlecht es um Grace wirklich steht und dass es recht unwahrscheinlich ist, dass sie in ihrem Leben jemals wieder etwas anderes sehen wird, als grau-blaue Krankenhauswände.
Denn auch wenn niemand wirklich darüber sprechen möchte: Wir alle wissen das. Grace, ihre Familie, meine Eltern, ich.
Und dennoch spricht niemand darüber.
Weil die Wahrheit weh tut.

Grace fängt an, sich die Zeit damit zu vertreiben, ein Buch zu schreiben. Ich finde, sie macht das sogar ziemlich gut.
Während all der Zeit verschwende ich all mein Geld an Polaroidfilme, um wenigstens ihre letzten Tage noch einfangen zu können.
Wir hatten nicht viele gemeinsame Momente, doch die, die wir haben dürften, werde ich immer in Erinnerung behalten.

Einmal bringe ich eine selbstgebackene Schokoladentorte mit. Und Grace muss lachend zugeben, dass ich nicht gelogen habe: Im Kuchen und Torten Backen bin ich wirklich gut.
Oder zumindest gelingt es mir besser, als Kekse und Plätzchen.

Der Krankenhausgeruch wird viel zu familiär, viel zu erdrückend, so viel Zeit verbringe ich hier. Ich will gar nicht wissen, wie es Grace geht.

Als ich an jenem Mittwoch in Graces Zimmer trete, habe ich einen Rollstuhl dabei, in dem ihr blauer Mantel und eine Mütze liegen.
Fragend sieht sie mich an, als ich ihr die Kleidung zuwerfe.

"Wir müssen raus. Die Ärzte haben schon zugestimmt."grinse ich breit.

Wenn wir sterben - oder wie man das Leben spieltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt