EINUNDDREISSIGSTER AUGENBLICK

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Noch am gleichen Abend fange ich mit dem Zeichnen an. Und ich habe eine Menge zu tun, so viel zu zeichnen, das auf Grace's Liste stand. Die meisten meiner anfänglichen Versuche landen im Papierkorb.
Was am Ende herauskommt, sieht aus wie ein Wimmelbild- vollkommen wild und vollgestopft, wie ein alter Dachboden, aber irgendwie gefällt es mir.

Auf dem Bild ist die Kirmes zu sehen und viele kleine Duplikate von Grace und mir, die all das tun, was auf ihrer Liste steht.
Eins der Pärchen isst Funnelcake auf dem Riesenrad, zwei andere Doppelgänger werfen Kuchen in die Gesichter zweier Clowns, die vor einer bunt bemalten Wand stehen und wieder zwei anderen Graces und Jaspers gewinnen gemeinsam eins dieser riesigen Stofftiere, die man an Schießbuden als Preise bekommt.
Ehrlich, schießen ist schwerer als man denkt!

Andererseits...so vieles ist schwerer als man denkt.
Es ist schwerer als man denkt, aus dem Loch der Depressionen heraus zu kommen.
Es ist schwerer als man denkt, Ängste zu überwinden.
Es ist schwerer als man denkt, zu leben.

Gefühle und Emotionen versauen mir so viel. Sie sorgen dafür, dass ich nachdenke, und meine Gedanken ringen mich nieder.
Und dann bin ich wieder auf dem Boden angekommen.
Verdammt, Gefühle sind ziemlich mies.

Und immer wieder kommen die Gedanken zurück und überwältigen mich. Immer dann, wenn ich gerade denke, ich habe es geschafft, mich aus dem Loch herauszuziehen, trete ich mir selbst ins Gesicht und befördere mich zurück ins Nichts, wo ich hin gehöre.

Ich vergrabe mit einem leisen Laut der Verzweiflung das Gesicht in den Händen und stütze meine Ellenbogen auf der Schreibtischplatte ab.

Verdammt, wieso muss ich nur immer so viel über das nachdenken, das mein Leben miserabel macht?
Wieso kann ich nicht einfach an den kleinen Lichtblicken festhalten?
Lichtblicke, so wie Grace einer ist?

Wieso kann ich nicht der Lichtblick in jemandes Leben sein?

Ich muss wieder an das denken, was Grace auf dem Riesenrad gesagt hat. Dass das Leben uns beide zerstört hat.
Dass ich nicht ganz auf der Linie bin, ist wohl kaum zu übersehen, deshalb wundere ich mich nicht großartig darüber, dass ihr das aufgefallen ist, doch was mir nicht aus dem Kopf gehen will, ist dass sie damit eindeutig gesagt hat, dass auch sie Probleme hat, mit denen sie kämpfen muss.
Allerdings würde ihre Bekanntschaft mit Dr. Hill damit eine Erklärung gefunden haben.

Und vielleicht, ganz vielleicht, sucht sie ja in mir den winzig kleinen Lichtblick, den ich in ihr gefunden habe.

Wenn wir sterben - oder wie man das Leben spieltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt