Im Stall roch es stark nach Pferdemist und einigen anderen Sachen, die ich schlecht zuordnen konnte. Da war etwas scharfes, das penetrant nach Chemie stank, frisch gemähtes Heu, Milchgeruch. Der Rest war mir unbekannt. So unbekannt wie dieser Tim, den ich hier angeblich finden und dem ich mich vorstellen sollte. Dass ich mich vielleicht danach hätte erkundigen sollen, wie er aussah, war mir erst eingefallen, als ich längst vor den Flügeltoren angekommen war. Naja, dann musste ich halt suchen und mich gegebenenfalls herumfragen. Viele Helfer schien Molly jedoch nicht zu haben, denn es war abgesehen von dem Schnauben und Stampfen der Tiere ganz ruhig auf den mit großen Steinen gepflasterten Gängen. Kein reges Treiben, wie ich es mir vorgestellt hatte, keine Schubkarrenladungen voll nassem Stroh oder Kuhfladen und auch keine lauten Unterhaltungen. Beinahe wie leer gefegt.
Um die Stille nicht zu durchbrechen trippelte ich vorsichtig an den unzähligen Boxen vorbei, erschreckte mich halb zu Tode, als ein Schwein nicht weit von mir entfernt laut aufquiekte und wild grunzte bevor es wieder zur Ruhe kam, und lauschte angestrengt nach irgendeinem Zeichen, dass sich hier noch ein weiterer Mensch herumtrieb. Einige Zeit später wurde ich fündig: hinter einer verschlossenen Tür hörte ich leise ein Radio spielen. Ab und zu wurde die Countrymusik von Schleifgeräuschen durchbrochen, denen Schritte folgten. Na dann, allen Mut zusammennehmen und artig klopfen. Die Schritte hielten inne, dann wurden die Lautsprecher abgewürgt und die Person in dem Raum näherte sich der Tür. Knarzend schwang sie auf.
Ich wusste nicht genau, was ich mir unter einem Stallarbeiter erwartet hatte, aber auf keinen Fall so einen Typen, der jetzt lässig vor mir im Türrahmen lehnte. Ich dachte, solche Leute hätten vom vielen Ausmisten, Pferde zähmen und zureiten und den anderen schweren Arbeiten riesige Armmuskeln und ein Kreuz, so breit wie das eines Ochsen. Kurz geschorene Haare, am besten noch mit vernarbten Armen oder Handflächen oder irgendeinem anderen Zeichen, dass ihnen das Leben an die eigene Existenz ging. Stattdessen stand mir ein recht junger Bursche gegenüber, groß, drahtig, dünn und sommersprossig, ein viel zu langes Holzfällerhemd mit hochgekrempelten Ärmeln an und die wahrscheinlich schulterlangen dunkelbraunen Haare mit einem einfachen Zopf nach hinten gebunden. Das einzige an ihm, das halbwegs authentisch aussah, war der Getreidehalm, der ihm klischeehaft halb aus dem Mundwinkel hing.
Offenbar wirkte meine Reaktion recht unbeholfen und witzig, denn der Kerl grinste mich jetzt verschmitzt an. "Ja, was gibt's? Dich kenne ich ja gar nicht!", bemerkte er und schnippte zumindest sein lästiges Accessoire weg, das bei jedem seiner Worte mit einer leicht hypnotisierenden Wirkung mitgewippt war. Dann konnte ich mich auch endlich aus meiner Starre lösen. "Ähem, ja. A-also, M-molly hatte gemeint, ich s-sollte mich hier nach einem Tim umgucken. Können Sie mir sagen, wo ich den finde?"
Der Junge, den ich für einen einfachen Stallburschen hielt, gluckste belustigt. "Jupp, kann ich. Na dann komm mal mit, ich bring dich besser gleich zu ihm!"
Locker schlenderte er an mir vorbei, ließ sich aber auf dem Weg unglaublich viel Zeit, indem er über die Wände der Boxen lunste und sich offenbar vergewisserte, dass es den Bewohnern gut ging. Nervös folgte ich ihm.
"Du hast noch gar nicht gesagt, was du hier machst", fiel dem Jungen plötzlich ein. Ich räusperte mich: „Ich suche Arbeit."
„Ferienarbeit? Oder ein Praktikum? Ich dachte, dass sich niemand mehr fürs Halten von Nutztieren interessiert." Er lachte und musterte mich kurz über seine Schulter.
"Nein, eine feste Arbeit. Molly hat gemeint, ihr braucht noch jemanden, der sich um den Garten kümmert", antwortete ich ihm kleinlaut, ein wenig eingeschüchtert von seiner guten Laune und der Energie, die er versprühte. Er lachte wieder laut. "Für'n Garten eher weniger, wir brauchen eigentlich alle Hilfe hier im Stall. Naja, das bringen wir dir auch noch bei, alles halb so wild!"
Er hatte eine der Boxen geöffnet und tätschelte jetzt einem schwarzen Pferd die Flanke. Mit dem Rücken reichte es meinem Begleiter gerademal bis zur Brust hinauf. Mir allerdings erschien es riesig.
"Wer bist du eigentlich?", fragte ich mittlerweile ein wenig ungeduldig, nachdem er sich noch ein paar halbfrische Apfelstückchen aus der Hand hatte fressen lassen und jetzt die Tür zur Box wieder verschloss. "Ach, weißt du, ich kümmer mich nur ein bisschen um den Laden hier. Viel Arbeit, aber es macht glücklich, ständig von Tieren umgeben zu sein! Und wer bist du, Kleiner?"
Zu seiner letzten Bemerkung schluckte ich mir einen beleidigten Kommentar hinunter. "Ich heiße Stegi und bin sechzehn Jahre alt. Und ich hab gestern nach einem Streit mein Zuhause verloren. Keine schöne Geschichte", deutete ich vage an, um Details auszuweichen und hörte den Jungen vor mir scharf Luft einziehen. "Bist wohl rausgeflogen? Hartes Los, mein Beileid!"
Ich nickte bloß und brummte kurz zustimmend. Mein Begleiter war schon wieder stehen geblieben, diesmal starrte er auf das Hinterteil einer Kuh, das konnte ich sogar von weiter unten aus sehen. "Na Emma, hast's mitbekommen? Bald isses hier nicht mehr ganz so einsam!", feixte er mit einem Blick zu mir herunter, wie ich mir unruhig die Füße vertrat, dann gab er Emma noch einen letzten Klaps und trottete weiter.
Endlich erkannte ich auch sein Ziel, ein Zimmer am Ende des Flures zwischen einer Reihe Pferdeboxen und gegenüber mehreren aufgetürmten Ballen Stroh und ein paar Fässern, die nach Getreide rochen. Das Licht in dem Raum war an, durch den Spalt in der Tür konnte ich eine Schreibtischplatte erkennen. Plötzlich schlug mein Herz unnatürlich schnell. Zwar hatte Molly gemeint, Tim und ich würden gut miteinander klarkommen, aber seien wir doch mal ehrlich: Wenn er ihr Sohn war, war der Typ bestimmt dreißig Jahre alt! Das war ein himmelweiter Unterschied! Sicherlich würde er mich nicht ernst nehmen. Oder mich vielleicht sogar wegscheuchen, wenn ich ihm nicht in den Kram passte. Mein Inneres krampfte sich bei diesem Gedanken zusammen. Das hatte auch der Stallbursche mit dem Zopf bemerkt. "Hey, was'n los? Lampenfieber?", scherzte er. Zweifelnd schaute ich zu ihm auf: "Meinst du, dieser Tim und ich können Freunde werden?"
Sein Lächeln verblasste ein wenig. Er kniete sich vor mir nieder, musterte mich aufmerksam und zuckte dann mit den Schultern. "Gut möglich. Joah, ich denk schon, dass er dich leiden wird. Und jetzt, dein großer Auftritt!"
Er hielt mir die Tür auf und schlüpfte nach mir mit in den Raum. Ich hatte mich nicht verguckt, ein Schreibtisch mit einem uralten Rechner darauf, mehrere Regalbretter zierten die Wände und schienen unter den Lasten an Büchern, Werkzeug und anderen Sachen darauf fast einzuknicken. Ein großer Kalender mit einem galoppierendem Pferd im Hintergrund pinnte an einer freien Fläche gegenüber eines kleinen Fensters. Doch von Tim fehlte offenbar jede Spur. Den jungen Mann schien das aber nicht weiter zu kümmern. "Ist er vielleicht woanders im Stall?", fragte ich ihn zaghaft, verwundert wie zufrieden er aussah. Aber er ließ sich bloß auf einen etwas eingestaubten Bürostuhl hinter dem Tisch fallen, faltete seine Hände und schaute das kurze Stück zu mir hoch. "Also, Mutter meinte, du sollst dich bei mir vorstellen? Angenehm Stegi, ich bin der Tim!"
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Zeig mir was Leben ist! (#Stexpert)
FanfictionMein Leben bei meiner schrecklichen Familie war nicht länger auszuhalten, also bin ich abgehauen, mitten in der Nacht, ohne Ziel und nur mit dem Wunsch, woanders von vorne anzufangen. Dass ich dadurch meine Bestimmung, meine Zukunft und einen echten...