44.

1K 110 19
                                    

POV Stegi

"Stegi?" Ich drehte mich um, sah Tim am Eingang der Box stehen und lehnte die Mistgabel gegen die Stallwand. "Na? Sind schon alle Arbeiter da? ...Was soll denn das ernste Gesicht?"

Er sah nicht nur ernst aus, vielmehr starrte er mit leerem Blick durch mich hindurch. Als ich mich ihm nähern wollte, um ihn aufmunternd auf die Wange zu küssen, schubste er mich von sich, nicht kräftig, doch stark genug, damit ich die Botschaft verstand. "Tim? Was ist los?", fragte ich ihn betroffen.

"Was los ist? Du fragst mich was los ist?", schwoll seine Stimme von tonlosem Geflüster auf die Lautstärke eines stürmenden Gewitters an. Erschrocken fuhr ich zusammen. Sein zorniger Blick durchbohrte mich: "Sag mir jetzt besser die Wahrheit! Ist dein Name wirklich Stegi oder nicht?"

"W-was? Tim, woher-"

"Ja oder nein?!"

Tränen stiegen mir in die Augen. Dann, ganz langsam schüttelte ich meinen Kopf. Ich hörte ihn entgeistert Luft holen. "Tim, ich kann dir das erklären! Ich-", setzte ich wieder an und wurde gnadenlos unterbrochen. "DU brauchst mir gar nichts zu erklären, du elender Lügner!", fauchte mein Freund, ehe er plötzlich von einer jungen Frau beiseite geschoben wurde.

"Marcus, du lebst! Wir haben dich alle so sehr vermisst!", waren die ersten Worte meiner Schwester an mich, als sie sich mir um den Hals warf. W-was? Wie hatte sie mich gefunden und was war hier los? Ihr Atem strich mein Ohr und dann klärte sie meine stummen Fragen auf: "Ich habe ihm erzählt, dass du ein Betrüger bist und das hier nicht zum ersten Mal passiert. Und wenn du nicht mitspielst, werden der Bauerntrampel und die alte Schachtel leiden." Selbst wenn sie flüsterte, konnte ihre Stimme gleichzeitig so süß wie Honig und so kalt und spitz wie Eiszapfen sein. „Also, sag ihm, dass du uns vermisst hast!"

Sie hatte meinen wunden Punkt getroffen. Dass Tim und Molly wegen mir schlimme Dinge widerfuhren, wollte ich auf keinen Fall! "Es t-tut mir leid, dass ich w-weggelaufen bin. Ich hab euch auch verm-misst", log ich am ganzen Körper zitternd.

"Sag ihm, dass du das alles erfunden hast, um Mitleid zu kriegen!"

"T-tim, verz-zeih mir, ich h-hab mir das alles n-nur ausgedacht. I-ich wollte nur euer M-mitleid haben, m-mehr nicht."

Ich hasste mich! Ich hasste meine Schwester, dass sie mir das antat! Durch meinen Tränenschleier sah ich Tim verzweifelt zwischen Wut, Trauer und Entsetzen schwanken. Zufrieden richtete das Mädchen sich wieder auf, nahm mich an der Hand und führte mich durch den Stall nach draußen, mein Bruder achtete knapp hinter uns wie ein Schießhund darauf, dass ich mich nicht nochmal zu Tim umsah und ihm eventuell Zeichen gab, dass das alles gegen meinen Willen geschah.

Molly unterhielt sich vor dem Haus aufgeregt mit dem Ehepaar Bau und kam hastig auf uns zugelaufen, als sie mich eingepfercht zwischen den beiden vornehm gekleideten Personen laufen sah. "Marcus? Ist das alles wahr?", fragte sie geschockt. Ich nickte, noch immer die Drohung meiner Geschwister im Hinterkopf. Mollys Augen richteten sich traurig gen Boden. "Verstehe... Ich wünsche dir trotzdem alles Gute", waren ihre letzten Worte an mich, bevor ich weiterstolpern musste, von meiner Familie weg, hin zu dem Luxuswagen meines Bruders, der wie ein absoluter Fremdkörper auf der Lichtung wirkte.

Auf dem Rücksitz angekommen brach ich schließlich richtig in Tränen aus. Das wars. Ich würde nie mehr hierher zurück kommen können. Molly glaubte, ich hätte sie und ihre Gutmütigkeit schamlos ausgenutzt. Und Tim hatte sein Herz an einen Lügner verloren, an einen feigen, dummen Lügner! Nie im Leben würde er mir vergeben, keine Sekunde würde er auf die Idee kommen, mir zu folgen oder herauszufinden, wie es mir zurück in meiner echten Familie ergehen würde. Er würde an mich denken und mich verfluchen dafür, dass ich angeblich nur mit ihm gespielt hatte und wie leicht er mir meine Geschichte abgenommen hatte. Aber ich liebte ihn wirklich, ich hätte am liebsten alle Zeit der Welt mit ihm zusammen verbracht, zusammen gewohnt, zusammen gelebt und die Zukunft bestritten. Es war einfach so schreiend unfair von der Welt, dass sie mir das alles jetzt wegnahmen!

Zeig mir was Leben ist! (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt