Am nächsten Morgen wurde ich von meiner kitzelnden Nase geweckt. Ich musste laut niesen und wirbelte eine hauchdünne Schicht Staub auf, die sich auf der Bettdecke gebildet hatte. Müde blinzelte ich und stutzte, dass mich bereits die Sonne blendete. War es schon so spät?
Ein Blick zu Tims Matratze sagte mir, dass er schon ohne mich aufgestanden war. Sie war leer, nur das Shirt, das er für die Nacht getragen hatte, lag zusammengeknüllt neben dem Kopfkissen.
War er einfach gegangen, ohne mich aufzuwecken? ...achja, bestimmt wegen unserem Gespräch in der Nacht. Das war schließlich nicht gerade goldig zuende gegangen. Kurz durchfuhr mich nochmal die Angst davor, dass er meinen tiefen Schlaf ausgenutzt haben könnte, aber ich spürte nichts und beruhigte mich schnell wieder. Er hatte mich in Ruhe gelassen. Glück gehabt!
Ich sank zurück auf das weiche Bett, streckte mich und gähnte und genoss einen Augenblick lang das Gefühl, einen Tag ohne Hektik zu beginnen. Keine Familie, die ihr Frühstück zubereitet haben wollte und keine Schule mehr. Dann fiel mir wieder ein, um was Molly mich gestern Abend noch gebeten hatte. Das Gras sensen! Und ich Drops hatte bestimmt schon den halben Vormittag verschlafen! Ob ich heute noch die ganze Wiese schaffen würde? Und dann war ja noch die Reitstunde! Ich musste mich beeilen!
In Rekordzeit zog ich mich an und wetzte die Treppe hinunter. Molly saß am Essenstisch, eine kleine runde Brille auf ihrer Stupsnase und verglich gerade einige eng bedruckte Papiere miteinander. "Du lieber Himmel, was ist denn los?", wollte sie wissen, als ich aufgewühlt an ihr vorbei stürmte, doch ich hatte es so eilig, dass ich ihr nicht einmal antworten konnte. Sogar dass mein Bauch knurrte, vergaß ich total.
Die Sense war bestimmt irgendwo im Stall untergebracht, ich glaubte mich daran zu erinnern, sie in der Sattelkammer gesehen zu haben, wie sie an der Wand gelehnt hatte. Also lief ich auf die Flügeltore zu, ohne mein Tempo zu verringern und prallte direkt hinter der ersten Ecke mit etwas zusammen. Oder besser gesagt, mit jemandem. "Ufff, Stegi! Pass doch auf! Und renn nicht zwischen den Boxen herum, du machst die Tiere nervös!"
Durch den Schwung war ich auf meinen Hintern gefallen und schaute jetzt zu einem sehr gestresst wirkenden Tim in die Höhe. Er hatte sich wieder einen Halm zwischen seine Lippen geklemmt, musterte mich kurz kühl und ging dann weiter, ohne mir wieder auf die Beine zu helfen. Ich schluckte, rappelte mich auf und lief ihm hinterher, diesmal in einem angemessenem Tempo. "Ich wollte die Sense holen. Tut mir leid, ich wollte mich nur beeilen und habe nicht nachgedacht."
"Lass das lieber, du kannst mit der Sense nicht umgehen. Am Ende verletzt du dich nur damit!", erklärte der Junge mir, ohne sich umzudrehen oder mich anzusehen. Aber so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben, nicht bei meiner ersten Aufgabe! „Ich probiers trotzdem! Wo steht die Sense denn?"
„Sattelkammer." Ich blieb stehen und sah Tim nur noch verwundert hinterher. Er war so... völlig anders als gestern. Da hatte er mit Wort und Tat versucht, mein Kumpel zu sein, sogar seinen Witz bei unserer ersten Begegnung hatte er bis zum Ende durchgezogen. Jetzt hielt er Abstand, war ernst und einsilbig und meinte, mich belehren zu müssen, obwohl er ja eigentlich für meinen Zeitdruck verantwortlich war!
Ich schluckte meine Enttäuschung und meinen Ärger herunter und schwor mir stattdessen, es Tim zu zeigen. So eine doofe Sense konnte doch jeder schwingen und wenn mir die Puste ausging, würde ich einfach eine kurze Pause machen. Auf dem Weg zur Sattelkammer bog ich nur einmal falsch ab, sah das richtige Werkzeug dafür sofort zwischen den anderen heraus ragen und packte es fest entschlossen am Stiel. Es war schwerer als erwartet und ich musste es umständlich mit dem scharfen Metallblatt voran nach draußen hieven, erstmal weg von den Hühnern, auf die andere Seite des Haupthauses zu. Schon als ich dort angekommen war, lief mir der Schweiß in Bahnen von der Stirn. Die Sonne knallte heute erbarmungslos vom Himmel. Aber ich würde das schaffen, es war doch bloß ein wenig Gras und irgendwann hatte ich die Technik schon raus!
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Zeig mir was Leben ist! (#Stexpert)
FanfictionMein Leben bei meiner schrecklichen Familie war nicht länger auszuhalten, also bin ich abgehauen, mitten in der Nacht, ohne Ziel und nur mit dem Wunsch, woanders von vorne anzufangen. Dass ich dadurch meine Bestimmung, meine Zukunft und einen echten...