20. Oktober 2005
Ich dachte nicht dass ich die Akte erneut öffnen würde. Ich hatte mir vorgenommen die Finger von dem Fall zu lassen. Aber es ist etwas passiert.
Deshalb lege ich eine private Akte bei mir Zuhause an. Wenn ich das Folgende in die offizielle Fallakte eintrage, wird man an meiner Seriösität zweifeln.
Ein halbes Jahr ist vergangen, ohne weiteren Mord. Ich dachte schon, die Flucht der Frau hätte den Mörder von seinen Plänen abgebracht. Wenig später schlug er wieder zu, als wolle er mir das Gegenteil beweisen.
Es traf einen Jugendlichen.Seine Eltern waren fünf Tage weggefahren und hatten ihn alleine gelassen. Sie fanden die Leiche neben seinem Computer am Boden, der noch immer an war. Sein Handy gegen die Wand geschlagen. Auf dem Schreibtisch lag eine Zeichnung, die ihn völlig unversehrt und lächelnd zeigte. Dem Datum unter der Signatur, und der Analyse der Forensiker zufolge war er seit zwei Tagen tot. Seine Augen waren rausgerissen.
Daraufhin versuchte ich sofort die Frau zu kontaktieren die ihm entkommen war. Dass dem Jungen das widerfahren ist was ihr zugedacht war, ist eine Spur.
Aber so sehr ich mich bemühte, die Frau war wie vom Erdboden verschluckt. Das Haus war abgerissen worden. Ihre Familie berichtete mir, sie hätten ein paar Tage nach dem Vorfall nichts mehr von ihr gehört und seien seitdem auf der Suche nach ihr.
Ich las mir die Fallakte noch einmal durch, in der Hoffnung einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort zu finden.
Als ich das Porträt das man gefunden hatte, heraus zog, erschrak ich so sehr dass ich meinen Kaffee mit dem Ellbogen vom Schreibtisch stieß.
Das Porträt zeigte die Frau lächelnd und unversehrt. Die Augen sahen mich direkt an; hell und leicht verengt. Auf der Rückseite klebte der Aufkleber mit dem Funddatum. Es handelte sich um das Original. Aber was war mit den Augen passiert? Und dem aufgerissenen Mund?Ich nahm das Bild mit nach Hause. Ich wollte meinen Kollegen Claude abends auf ein Glas zu mir einladen, und ihn zur Rede stellen.
Doch an dem Abend blieb ich alleine und recherchierte im Internet.Aber ich fand nur Fanarts. Sie zeigen alle so eine Art Zombie, oder einen Untoten. Bleich mit ausdruckslosem Gesicht und blauen, geweiteten Augen; in einem schmutzigen Bademantel. Der Mund verengt, oder zu einer zerfetzten Fratze verzogen.
Informationen, die darauf hindeuteten dass dieser Mensch existiert hat, waren nicht zu finden. Weder über seinen Tod, noch über das Land in dem er lebte.
Da kam mir eine Idee.
Den Namen „Pol" habe ich noch nie gehört; außer im Zusammenhang mit diesem Fall.
Ich fand die Seite eines deutschstämmigen Mannes der von sich behauptet, die Herkunft jedes einzelnen Namen zu kennen. Er verdient sein Brot, indem er diese Fähigkeit auf Volksfesten zur Schau stellt.
Der Name „Pol" war auf seiner Homepage nicht zu finden, und so schrieb ich ihn an.
Er antwortete am nächten Tag.
Der Name „Pol" ist anscheinend die katalanische Version des uns bekannten „Paul". Vereinzelt sei er jedoch auch in den Niederlanden in Gebrauch. In diesen zwei Gegenden ist er jedoch äußerst selten.
Es gibt jedoch ein Land der Erde in dem der Name sehr oft vorkommt.
Luxemburg.Ich musste im Atlas nachsehen. Es existiert tatsächlich ein Zwergenstaat zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland.
Trivia
(Die Sprache der Leute dort ist stark vom Französischen beeinflusst, klingt jedoch härter durch einen deutschen Einschlag. Der Name "Pol" ist eine Mischung der französischen und der deutschen Aussprache des Namens "Paul". Die Franzosen sprechen den Namen "Pol" aus. Mit einem kehligen "O" wie in "Kartoffel". Den Luxemburgern fällt diese Aussprache allerdings schwer, da ihre Sprache einen deutschen Klang hat. Sie würden allerdings nie das deutsche "Paul" verwenden. Luxemburg war im zweiten Weltkrieg deutsch besetzt, was diese Aussprache zur Pflicht machte. Sie haben ihren eigenen Weg gefunden. Sie sprechen den Namen auf französische Weise, jedoch mit deutscher Betonung; sodass sich der Name anhört wie das "Pol" in "Nordpol". So brauchen sie das deutsche "Paul" nicht zu verwenden und umgehen Schwierigkeiten bei der französischen Aussprache. Obwohl ihr "Pol" oft "Paul" geschrieben wird; lässt sich bei den Luxemburgern eine Bevorzugung der Schreibweise "Pol" feststellen.)
Nehmen wir mal an dass die Figur erfunden ist; welcher Autor würde ihn „Pol" nennen, wenn doch „Paul" viel geläufiger ist
Ich werde Kontakt mit der luxemburgischen Polizei aufnehmen. Wenn die Geschichten auf eine wahre Begebenheit zurückgehen, werden die es mir sagen können.Ein Volltreffer.
Man sprach zum Glück englisch. Ein Hoch auf die Multikulturalität; solange sie nur in Ländern existiert die man bereisen kann.
„Pol Ur." hat tatsächlich existiert. Man war jedoch nicht bereit mir den vollen Nachnamen zu verraten.
Wie es scheint sind sämtliche Daten über den Fall vernichtet worden. Auf meine Nachfrage, antwortete man mir patzig, bei ihnen sei das halt so.
Man reichte mich an einen anderen Polizisten weiter. Dieser war schon etwas älter, aber freundlich. Als ich ihm erklärte, was man sich im Internet erzählt, bestätigte er, er habe die Sache damals miterlebt.
Als ich ihn fragte, wie es sein kann dass aus einem unschuldigen Jugendlichen ein Internetmörder, wie der Slenderman wird, wurde er ernst. Es hörte sich an als sei ein ganz anderer Mensch in der Leitung.
Er sagte: „Das erste Opfer des Mörders von dem sie sprechen, war der Geliebte dieses Jungen."„Ja, das macht Pol ja auch verdächtig!" erklärte ich ihm.
Und er fügte hinzu: „Die fünf Opfer die folgten, waren seine ehemaligen. Anfangs gab es sogar einen Verdächtigen. Pols besten Freund, der ihn an dem Tag seines Todes auf den Jahrmarkt begleitet hat. Aber man konnte ihm nichts nachweisen."
Er erklärte mir dann, dass in einem kleinen Land wie Luxemburg solche Skandale blitzschnell die Runde machen. Nachdem die Morde begangen waren, breitete sich die Story in ganz Luxemburg aus, was einem Boulevardblatt zu verdanken war.
Doch genauso schnell vergisst Luxemburg auch wieder; aber die Geschichte war längst im Internet gelandet. Und das Internet vergisst nicht. Über die Jahre ging der Bezug zum Original verloren und die Geschichte entwickelte ein Eigenleben. Als ich den Polizisten fragte ob er es für möglich hielte, dass Pol Ur. noch immer am Leben sei, in welcher Form auch immer, lachte er nur und fragte mich ob ich das ernst meine.Er sagte: "Ich habe die Hand dieses Jungens berührt als sie ihn von der Gardinenstange lösten an der er sich aufgehängt hatte. Sie war so kalt wie die Nordsee."
Er verriet mir noch die Identität von Pol Urs bestem Freund. Sein Name ist Dane K. Er zog wenige Jahre nach dem Vorfall nach New York.
Ich werde morgen versuchen Kontakt zu ihm aufnehmen. Vielleicht erfahre ich von ihm mehr.