Kapitel 1.2

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Am liebsten hätte ich geschrien doch aus irgendeinem Grund, glaubte ich, dass es diesmal nicht der richtige Weg war, mit der Wahrheit herauszurücken. Panik stieg in mir auf. Ich wollte um jeden Preis von ihr weg. Doch wie stellte ich das an ohne dass sie es bemerkte? Es war Grace, die hier vor mir stand, keine Frage doch in gewissen Situationen hatte sich tatsächlich ihr Gesicht zu einer undefinierbaren hässlichen Fratze verändert. Und diese Neuigkeit meiner Eltern war das ausschlaggebende Codewort gewesen.

Ich wich ihren Blicken aus, indem ich mir meine Tasche schnappte und mich regelrecht an ihr vorbeidrückte.

"Ich sollte nun wirklich gehen", verabschiedete ich mich von ihr, ohne auf eine Reaktion von ihr zu warten. Ich hoffte inständig darauf, dass sie meine eiligen Schritte zum Ausgang des Zoogebäudes nicht bemerkte.

An der frischen Luft atmete ich erst einmal erleichtert aus und fasste mir irritiert an die Stirn. Fieber hatte ich keines.

"Sherin, was ist nur los mit dir", redete ich mit mir selbst, als ich den Weg zu meinem Elternhaus antrat.

Ganz geheuer war mir jedoch nicht dabei. Die Kirchturmglocke schlug gerade zur sechsten Stunde, als ich durch den dämmrigen Park lief. Der Herbst machte sich langsam bemerkbar, obwohl es seltsamerweise noch so unglaublich heiß war.

Ich hatte das Gefühl, dass alles irgendwie anders zu verlaufen schien, als es sonst immer der Fall war, angefangen mit dem entsetzlichen Gesicht von Grace.

Ein Rascheln in den Hecken brachte mich wieder zur Besinnung, und ließ mein Herz ängstlich gegen meinen Brustkorb hämmern. Ich versuchte durch die Wegbeleuchtung zu erkennen, wer oder was sich hinter den Gebüschen verborgen hatte, doch instinktiv wusste ich, was mich dort erwartete. Ich wollte nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden.

Ein enormer Windstoß lenkte meine Aufmerksamkeit nach vorne. Fassungslos starrte ich zu dem attraktiven Mann, der mir plötzlich gegenüberstand. Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Verstand von mir zu verabschieden begann. Dennoch konnte ich meine Augen nicht von ihm lassen. Ein Blick, so elektrisierend scharf, dass meine Glieder beinah vor Überwältigung einknickten. Irgendwie schien er sehr überrascht über meine Reaktion zu sein. Langsam tastete er sich mit seinen abgenutzten schwarzen Stiefeln voran.

Was ich eben noch von weiter Ferne aus betrachtet hatte, wirkte mit einem Mal zum Greifen nahe und so unglaublich anziehend. Ich starrte regelrecht auf seine nackte muskulöse Brust. Es dauerte eine Weile, bis ich mich davon losreißen konnte. Sein Blick war unentwegt auf mich gerichtet, ein Ziel, das er nicht aus den Augen verlieren durfte. Einige Meter vor mir blieb er schließlich in einer dürftigen abgetragenen Hose stehen und ich betrachtete beeindruckt sein Kämpferoutfit. Er schien in die Neuzeit so gar nicht hinein zu passen. Das gesträhnte, dunkelbraune lange Haar hatte er teilweise nach hinten gebunden. Dunkle Bartstoppeln zeichneten sich auf seinem markanten Kinn und an den seitlichen Konturen der Wange ab. Die Muskelmasse seines braungebrannten Oberkörpers war kaum zu übersehen. Für einen kurzen Moment verirrten sich meine Blicke erneut dorthin, bis ich den stahlgrauen Augen des Unbekannten begegnete und mich beinah darin verlor. Aus seinem einmal so verblüfften Ausdruck wurde schließlich ein sehr süßes amüsiertes Grinsen.

Ein erneutes Rascheln machte sich in den Büschen bemerkbar und sorgte wieder für Aufregung in meinem Organismus.

Sein Lächeln legte sich und verwandelte sich in eine eisern grimmige Miene, die die Hecken wie ein Raubtier zu durchforsten begann. An seinen Gesichtszügen konnte ich ablesen, dass er mit nichts Erfreulichem rechnete. Genau das war der Zeitpunkt, um mich zu verabschieden, denn ich wollte unter keinen Umständen mitansehen, was mich dort verfolgte.

Dieses bemerkenswert männliche Geschöpf schnupperte in der Gegend umher wie ein wildes Tier, als er sich erneut an mich wandte und mir wieder einen unglaublich tiefgründigen Blick schenkte. Seine dunkle raue Stimme ließ mich beinah vergessen, dass ich eben noch vor Panik davongerannt war.

"Du solltest gehen. Ich regle das."

Als würde ich mich in einem anderen Universum befinden, nickte ich ihm stillschweigend zu. Erneut erhaschte ich seinen überraschten Blick über meine Reaktion, dann wandte er sich wieder den Hecken zu.

Als ich mich für einen kurzen Moment von ihm wegdrehte, kam ein wiederholter gewaltiger Windstoß auf, der mir den Boden unter den Füßen wegriss. Unsanft knallte ich mit den Händen auf den Sandsteinboden. Meine Knie schmerzten, aber die walnussbraune robuste Cordhose konnte einiges von dem Fall auffangen.

Ich wusste bereits, dass er verschwunden war, dennoch konnte ich nicht anders, als noch einmal einen Blick zu erhaschen. Er war weg. Auf dem Boden lag eine unheimlich große, kostbare schwarze Feder, die sofort mein Interesse geweckt hatte.

Ich krabbelte über den verdreckten, asphaltierten Weg, und schloss meine Finger um diese einzigartige Reliquie. Im selben Augenblick schoss mir eine Flut von Bildern durch den Kopf, die ich nur sehr verschwommen wahrnehmen und zuordnen konnte. Doch eines filterte ich klar und deutlich heraus. Die fürchterliche Angst, die mich lähmte auch nur irgendeinen Schritt zu wagen.

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Ich hoffe, es gefällt soweit ; )

BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt