Als der Blitz uns oben abgesetzt hatte, hetzte Sole in einem unvorstellbar schnellen Schritttempo zum wolkenverhangenen Saal, in der sich alle bis vor wenigen Stunden noch versammelt hatten. Sie lief weiter, ohne Rücksicht darauf ob ich mit ihr Schritt halten konnte. Die Räumlichkeiten wechselten in einem unnatürlich heftigen Rhythmus, sodass es mir schwerfiel alles mitzuverfolgen. Ich konnte mich irgendwie nicht so wirklich an die Tatsache gewöhnen, dass es hier oben keine festen Wände gab, sondern die Wolken alles versuchten zu umhüllen und zu verstecken. Ob sie jedoch genauso undurchdringbar waren wie eine Wand, wagte ich zu bezweifeln.
"Wir müssen uns beeilen, sonst stirbt er", erwähnte Sole, während sie vorsichtig mit Red Hunter auf dem Rücken, eine ziemlich alt aussehende Treppe hinunterstieg.
Sofort musste ich wieder an Torben denken.
Ich hoffe, dass es ihm gut geht und er nicht allzu viele Verletzungen erleidet.
Ich schluckte die aufkommende Besorgnis hinunter und widmete mich wieder dem eigentlichen Geschehen. Dicht an Soles Fersen geheftet, folgte ich ihr. Ich hatte bereits eine Vermutung, wohin uns diese Treppe führen sollte. Mit jeder Stufe die sie nach unten trat, wippte Red Hunters Kopf mit. Ich musste bei dem Anblick seines blutverschmierten, demolierten Gesichtes umgehend wieder wegblicken. Red Hunter sah alles andere als gut aus und ich bezweifelte, dass er diese tiefen Wunden als Mensch überleben würde.
Es schien, als kämen wir den Kellerkerkern näher. Die massiven Metalltüren, die mich für einen kurzen Moment daran hinderten einzutreten, weil ich viel zu überwältigt davon war, die unzählig vielen Hände zu betrachten, die sich aus der Metalloberfläche herausdrückten, versperrten den Eingang in die Kerker. Es sah danach aus, als wäre es eine Platte, die Menschen verschluckt, aber nie wieder freigelassen hatte.
"Keine Angst, dir wird nichts geschehen", versuchte mich Sole etwas zu beruhigen, als sie meine Befürchtung bemerkte.
"Das ist hoffentlich nicht das, wofür ich es halte."
Ich deutete auf die unheimlich wirkende Metalltür, während Sole einen Hebel rechts in der Steinmauer betätigte, die die Tür mechanisch entriegelte.
"Ich denke, du weißt sehr wohl was das ist."
Ihre Antwort trug keineswegs zu meiner Erleichterung bei. Die schwere Metalltür fiel scheppernd auf und ein hagerer Mann mit einem weißen Anzugkittel schwang sich Red Hunter kommentarlos über die Schulter, als wäre er gerade mal ein Fliegengewicht, was bei seiner breiten Statur definitiv nicht der Fall war.
Sole drehte sich kurz zu mir um.
"Wir werden ihn dort drinnen behandeln. Warte solange oben auf mich. Ich denke, das wird kein schöner Anblick für dich werden, dem du gewachsen sein wirst", und sofort verschwand sie hinter der Metalltür und ließ mich vollkommen allein zurück.
"Warte ..."
Doch meine Schreie verhallten im Nichts und meine harten Schläge gegen die Tür wollte ebenfalls niemand mehr hören. Also ging ich die unebenen Stufen, die ich vor wenigen Minuten noch hinuntergelaufen war, wieder hinauf, und stand schließlich allein in einem Zimmer, dass ich als Speisesaal identifizierte. Mir war bewusst, dass sie in ihrem Handeln ohne mich wesentlich schneller war, dennoch war ich traurig über die Erkenntnis, dass ich im Augenblick nur eine Belastung für sie war, als dass ich ihr irgendwie zur Hilfe kommen könnte.
Ich ließ mich in einen der altertümlichen Stühle an dem riesigen Tafeltisch nieder. Ein glamouröser Kronleuchter erhellte den Raum. Die Stuckdecke war selbst mir nicht entgangen, obwohl ich keine Person war, die solche bedeutsamen Dinge interessierte. Ich vergrub das Gesicht in meine Hände. Mein Inneres war derzeit so aufgewühlt, dass ich gar nicht wusste, über was ich mir zuerst Gedanken machen sollte.
Red Hunter, Torben, meine Familie. Wie lange hatte ich meine Zieheltern nicht mehr kontaktiert?
Mir kam es vor, als wären bereits Monate verstrichen, als Grace sich schließlich das Ziel gesetzt hatte, mich wie einen wilden Hasen einfangen zu wollen. Diese Ereignisse waren gerade mal ein paar Tage her, doch die Vorfälle häuften sich in letzter Zeit so dramatisch, dass ich Mühe hatte, Diese richtig und intensiv zu verarbeiten.
Dafür blieb keine Zeit, aber nun hatte ich Zeit. Ich saß hier also, in diesem gemütlich eingerichteten Esszimmer und starrte auf die Standuhr, deren Zeiger sich nur minimal zu bewegen schienen.
Zeit.
Ein so wichtiger Bestandteil im Leben. So wie es aussah, schien die Zeit im Himmel viel langsamer zu vergehen, als unten auf der Erde. Ich faltete meine Hände im Schoß zusammen und krallte mir dabei meine Fingernägel ins Fleisch. Ich hoffte inständig darauf, dass es meiner Familie gut ging und dass Torben diesen tödlichen Kampf überlebte. Obwohl er ein Engel war, konnte man ihm Verletzungen durchaus zufügen. Womöglich lag es daran, dass er als gefallener Engel auf die Erde kam und deshalb verwundbar war. Würde das etwa auch bedeuten, dass es möglich war, ihn umzubringen?
Allein der Gedanke daran, ließ mein Herz für einen kurzen Moment aussetzen. Ich schüttelte den Kopf und versuchte diese abscheuliche Vorstellung zu verscheuchen. Erneut richtete ich mich auf und lief im Raum umher. Die blutroten Wände trugen nicht wirklich zu meiner Beruhigung bei. Als ich zum Ende des Zimmers lief, machte sich der Nebel bemerkbar und mir fiel wieder ein, dass die Räumlichkeiten durch das Nebelgewand getrennt waren, bevor man zum nächsten Raum gelangte. Ich zögerte nicht lange, als mein rechter Fuß über die Schwelle trat, um in das anliegende Atelier zu treten. Enttäuschend musste ich feststellen, dass es der falsche Ort war, den ich herbeigesehnt hatte. Es würde wahrscheinlich eine Ewigkeit dauern, bis ich zu dem Hauptraum gelangte, dort wo sich die Kämpfer immer zu ihren Besprechungen trafen. Ich schloss die Augen und stellte mir die Räumlichkeit in voller Gänze vor. Irgendetwas war passiert, das konnte ich spüren.
Ich öffnete die Augen und war vollkommen verblüfft darüber, dass ich nun tatsächlich in jenem Raum stand, den ich herbeigerufen hatte. Kaum hielt ich mich dort einige Minuten auf und starrte einfach nur erstaunt vor mich her, schon wäre ich beinah von einer Horde Krieger niedergetrampelt worden. Im schnellen Schritttempo schleppten sie einen blutverschmierten, schlaffen Körper in die Himmelsregion hinein. Mit eiserner Miene hielt Levente die eine Seite des Leibes, während Artis den Rumpf stützte, bedingt durch seine mangelnde Körpergröße und Delian die andere Seite übernahm. Selbst dem blonden Schönling stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Wieder hatte ich Mühe, mit ihnen Schritt zu halten. Ich ahnte bereits, wen es getroffen hatte, und dennoch wurde mein Herz schwer wie Blei, als mein Blick zu den abgetragenen Stiefeln fiel, die davongetragen wurden.
Nur vage realisierte ich, wie nach und nach die anderen Krieger eintrafen. Eine schwere Hand drückte mein Schultergelenk zusammen und hielt mich davon ab, Torbens Kolonne zu folgen.
"Das wird sehr unschön für dich werden. Ich rate dir, lieber hier zu warten."
Remmes dunkelhäutige Hand war es, die mich daran hinderte ihnen hinterherzujagen.
"Ich habe in den letzten Stunden weitaus schlimmere Szenarien mitansehen müssen. Immerhin geht es hier um Torben. Bitte. Lass mich zu ihm."
Remmes stockendes Durchatmen signalisierte mir, dass er damit alles andere als einverstanden war, er sich jedoch auf keine Diskussion, nach einem solch ermüdenden Kampf mit mir einlassen wollte.
"Na gut. Folge mir."
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So, nach einigen langen Monaten der Überarbeitung, geht es nun endlich weiter. Ich würde mich sehr darüber freuen, wieder einige alte, aber auch neue Leser begrüßen zu dürfen ; )
Hoffe es gefällt euch soweit
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BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)
FantasySherins Leben gerät innerhalb weniger Stunden aus dem Gleichgewicht, als sie an dem Geburtstagsabend ihres Bruders Alan eine Feder findet. Eine äußerst eigenartige Feder, die sie als Ornithologin dringend untersuchen möchte. Doch die Ereignisse über...