Die letzte Nacht / Der Weg in die Arena

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Die letzte Nacht/ Der Weg in die Arena

"Johanna! Hilf mir bitte!", fleht eine Stimme. Die Person der sie gehört, fleht und weint, muss furchtbare Angst haben. Eine Gänsehaut zieht sich über meine Arme, lässt mich zusammen fahren. Milena. "Bitte! Hilfe!" Ich schlucke einmal schwer. Ein Kloß steckt in meinem Hals, schnürrt mir beinahe die Luft ab.

Ich rühre mich nicht, kann mich einfach nicht rühren. Die Plattform unter mir würde in die Luft gehen, wenn ich mich dazu entscheide vor dem Countdown herunterzuspringen. Doch das Schreien meiner Schwester wird immer und immer lauter.
"Johanna! Bitte." Tränen sammeln sich in meinen Augen. "Ich...ich hab Angst!", ruft die Stimme. "Bitte hilf mir!" Das Grummeln in meinem Magen wird noch schlimmer. Es ist grässlich. Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt.

Vielleicht sollte ich es ja versuchen. Sonst würde sie sterben. Das will ich nicht, das könnte ich nicht verkraften. Daran würde ich wirklich zu grunde gehen.
"Johanna!" Die Stimme meiner Schwester ist nun nur noch weniger, als ein Winseln und Jammern. Ich atme einmal ganz tief durch, balle die Fäuste. Einatmen, ausatmen. Du kannst das, sage ich mir selbst. Du kannst das schaffen.

"Ich komme, Melli!", rufe ich zurück. Es antwortet niemand mehr. Das einzige was ich höre ist ein Stöhnen, ein leises Stöhnen. Wieso kann ich sie nur nicht sehen? Was ist mit ihr passiert?
Ich muss zu ihr! Ich muss einfach!

Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Johanna, deine Schwester wird nicht sterben, nur, weil du zu feige bist, um ihr zuhelfen, flüstert die Stimme in meinem Kopf. Nach einigen Sekunden ist sie schon kein Flüstern mehr, sondern ein lautes, beinahe erdrückendes Schreien. Aber sie hat Recht.

Der Countdown scheint eingefrohren zusein, doch ich muss ihr helfen. Sonst würde ich mir das nie verzeihen.
"Jonni...", fleht die Stimme noch einmal. "Hilf mir."

Ohne weiter darüber nachzudenken mache ich mich bereit zum losrennen. In dem Moment als ich von der Plattform springe, wird mir etwas klar. Es ist vorbei. Ich kann sie nicht retten. Sie ist verloren, genauso wie ich. Eine Explosion, mit einem lauten darauf folgenem Knallen.

Ich fahre aus dem Schlaf nach oben, ein Schrei entfährt meiner Kehle. Mein Herz pocht laut. Ich höre meinen eigenen Herzschlag, alles ist still, während ich in die Dunkelheit blinzle. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper, doch gleichzeitig bin ich vollkommen von meinem eigenem Schweiß durchnässt.

Ok, ich muss mich jetzt entspannen. Milena geht es gut. Sie ist zuhause, in Distrikt sieben bei meinen Eltern. Ihr wird nichts passieren.

Einen Moment brauche ich bis ich bemerke das sich die Tür zu meinem Zimmer geöffnet hat und Licht durch den Spalt hineinfallen lässt.
"Hallo?", frage ich mit heiserer, zitternder Stimme. "Johanna?" Bei dem Klang seiner Stimme zucke ich kurz zusammen. Es ist Rufus. "Ist alles ok?", erkundigt er sich. Während ich nicke, wird mir klar das er mich wahrscheinlich gar nicht sehen kann. Es ist viel zu dunkel.
"Ja...", murmle ich. Auch wenn es eine Lüge ist. "Ich...ich hab dich schreien gehört und dachte ich sehe mal nach dir." Rufus drückt auf den Lichtschalter und lächelt mich leicht an.
Die Tür schließt er leise hinter sich und kommt auf mich zu. "Kannst du auch nicht schlafen?", erkundige ich mich. So ganz sicher bin ich mir nicht wie ich mit ihm umgehen soll. Ich habe ihn wirklich gern, aber ich weiß einfach nicht was ich tun soll...

Ist es normal das ich so verwirrt vor der Arena bin? Ich meine...Ich könnte morgen schon tot sein. Mein Leben wäre einfach so vorbei. Und das ohne das ich je jemanden richtig geliebt habe, einen Jungen. Ohne das ich gearbeitet habe, das ich Erfahrungen gesammelt habe, ohne meinen ersten Liebeskummer. Ich würde sterben ohne zuheiraten, ohne zusehen wie meine Kinder groß werden...

Und wenn ich die Spiele gewinne...Was wäre dann? Könnte ich damit umgehen unschuldige Menschen zutöten? Wär das überhaupt möglich? So viele Fragen schwirren in meinem Kopf herum. Am liebsten würde ich einfach mein Gehirn abschalten, an gar nichts mehr denken, mir über nichts Sorgen machen müssen.

The Survivor: Johanna Mason | THG ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt