Die Ankunft einer Eule war normalerweise nicht schwer zu erkennen. Das Kratzen der Krallen auf den Fensterscheiben. Das Klopfen der Schnäbel gegen das Glas.
Aber Harry brauchte kein Geräusch, das ihn auf die Botenvögel aufmerksam machen musste. Er musste sie nicht hören.
Er sah sie.
Er sah die Eulen, bevor er sie hören konnte. Er sah sie alle. Keine Eule verpasste er, hier, an seinem Platz auf der Fensterbank.
Er saß hier und sah aus dem Fenster. Ließ den Blick über die Häuserdächer schweifen, pausenlos auf der Suche nach einer weiteren Eule. Schon so lange. So lange schon sah er aus dem Fenster. Immerzu.Wenn die Eulen kamen, öffnete Harry ihnen. Und wenn er die Briefe in Händen hielt, ließ er die Vögel sofort wieder fliegen.
Dann waren da noch der Stapel Pergament neben ihm, die Feder, das Glas voll schwarzer Tinte. Schwarze Tinte - so hatte Harry das Gefühl - brannte sich tiefer in das Pergament ein, war beständiger. Die Worte, die er schrieb, die vielen Antworten, sollten ewig sein. Der Adressat sollte ihre Echtheit erkennen.Und dann waren da die Momente, in denen er aufstand. Die Momente, in denen Harry sich von der harten, kalten Fensterbank erhob und sein Gewicht nach der Auszeit wieder auf seine Beine verlagerte.
Jedes Mal war das Aufstehen begleitet von dem widerlichen Gefühl von Unzuverlässigkeit. Das Gefühl, seinen Posten verlassen zu haben, Unaufmerksamkeit.
Er stand immer zum gleichen Anlass auf. Immer, wenn ein Brief von ihm kam. Wenn der große Uhu einen Brief brachte, las Harry ihn und antwortete - meist lang und ausführlich. Und dann stand er auf. Er stand auf und heftete den Brief, den er bekommen hatte, an seine Wand.
Er tapezierte die Wände seines Zimmers buchstäblich mit seinen Briefen. Mit jedem neuen Brief schwand ein weiteres, nacktes Stück der Wand.Und es war ein wunderbares Gefühl. Es war das beste Gefühl.
Das Warten.
Die Vorfreude.
Die Erleichterung, wenn der nächste Brief dann endlich kam.
Die Liebe, die Harry beim Lesen der Worte erfüllte.
Das Wissen, dass die Worte für ihn bestimmt waren, die Liebe, die sie versprachen, ihm galt.
Und dann die Hoffnung, wenn er den Brief an die Wand heftete. Denn er wusste, mit jedem Brief verging die Zeit schneller. Die restliche Zeit, die er hier verbringen musste.Und das Sitzen und Warten störte ihn nicht im Geringsten. Warten konnte wunderbar sein, wenn man nur diszipliniert genug war. Es lohnte sich jedes Mal, wenn eine Eule am Himmel erschien. Und außerdem wusste er, dass es ein Ende haben würde. Sie beide wussten es. Und bis dahin hatten sie die Briefe.
Man konnte sich mit allem anfreunden, sogar mit einer kalten Fensterbank und nur geschriebenen Worten als einziger Kommunikationsmöglichkeit mit einer geliebten Person, wenn man wusste, dass es nicht für ewig sein würde.
Es würde nicht für ewig sein. Und jede Zeitspanne, die nicht für die Ewigkeit bestimmt war, war vergänglich. Sie wussten, dass es ein Ende haben würde.Und Harry wusste, dass es so weit war, als eines Morgens der ersehnte Uhu am Himmel erschien.
Überschwänglich riss er das Fenster auf und empfing den altbekannten Vogel. Der Brief, der an seine Kralle gebunden war, schien sich wie magisch unter Harrys Fingern zu lösen.
Er faltete ihn auf und die gerade Handschrift, die ihm mittlerweile so bekannt war wie seine eigene, lächelte ihn an. Es war der erste ihrer Briefe, der so kurz ausfiel. Und es würde auch der letzte sein.
Harry sog die Worte in sich auf, als er sie las.Harry, Liebster,
Du weißt es, ich weiß es. Die Zeit war lang, beinahe nicht auszuhalten. Und ich kann es nicht erwarten, deine grünen Augen wiederzusehen. Zu lange waren sie zu weit entfernt von mir.
Aber wir beide wissen, dass dies der letzte Brief ist.
Ich habe dich zu lange vermisst.
Ich liebe dich, Harry.
Ich bin auf dem Weg.
DracoHarry sprang auf, lief zur Wand, um den Brief daran zu befestigen. Und als er das getan hatte, drehte er sich einmal im Kreis. Die Wand war bedeckt. Vollständig verborgen unter den Briefen. All die Briefe, alle dieselbe Handschrift, dieselbe Unterschrift. Draco.
Harry kniete sich auf den Boden und hebelte eine der Bodenplatten halb aus. Er griff in den Hohlraum, der darunter lag und zog einen hölzernen Gegenstand daraus hervor.
Sein Zauberstab fühlte sich so gut in seiner Hand an, dass es für ihn unbegreiflich war, wie er es so lange ohne ihn ausgehalten hatte. Aber jetzt hatte er ihn wieder.Harry sprang auf und lief zur Tür. Sie war nicht abgeschlossen, war sie nie gewesen und war doch die Grenze zwischen Harry und Allem gewesen.
Doch jetzt war die Zeit um. Er drückte die Klinke herunter und stürzte aus dem Zimmer.
Er trug ein breites Lächeln auf dem Gesicht, als er so schnell rannte wie noch nie, bestärkt von der unbeschreiblichen Freude, Draco endlich wiederzusehen._______
Ja, das ist mein erster OneShot. Ich hoffe - und bin auch fest davon überzeugt - dass noch so einige folgen werden (ich schreibe bereits am nächsten).
Wie auch in der Beschreibung schon erwähnt, sind die OneShots komplett unabhängig voneinander und von meiner bereits abgeschlossenen Geschichte.
Naja, ist ja auch egal. Ich hoffe, ihr habt Freude am Lesen.

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Drarry OneShots
FanfictionJap, Drarry OneShots, ich denke, da gibt es nicht viel zu erklären. Natürlich gehören alle Figuren J.K. Rowling, aber die Handlungen sind mein Werk. Ich bin nicht kreativ, aber manchmal habe ich doch ein paar Ideen... Viel Spaß beim Lesen!