Kapitel 48

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,,Hier werden wir den Sommer verbringen", bestimmt Winnetou. Ich rutsche von Silver runter und schaue mich um. Es ist ein anderer Platz wie letztes Mal, der Wald beginnt in knapp 300 Metern und sonst erstreckt sich die weite Hügellandschaft bis zum Horizont. ,,Mira wird mit Winnetou kommen und die Landschaft begutachten." Ich spüre Winnetous Hände an meiner Hüfte. ,,Ich komme", antworte ich und drehe mich um. ,,Winnetou will Mira etwas zeigen", sagt er leise gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann führt er mich von unserem neuem Lagerplatz weg, den Hügel runter und durch den Wald. Es dauert nicht lange, bis ich das leise Rauschen eines Flusses warnehme. Wir gehen immer weiter durch den Wald, sodass ich schon längst die Orientierung verloren habe. Doch Winnetou scheint ganz genau zu wissen, wo er lang muss. Die Sonne ist schon am untergehen, als Winnetou endlich stehen bleibt. ,,Dahinten ist es." ,,Was denn?", frage ich zum bestimmt hundersten Mal. Doch so wie jedes Mal nach dieser Frage lächelt er nur und antwortet nicht. Stattdessen nimmt er meine Hand und zieht mich durch dichte Büsche und Sträucher. Zum Vorscheinen kommt eine Lichtung mit einem kleinen Wasserfall, welcher in einem Auffangbecken mündet. Ein Bach fließt an der niedrigsten Stelle aus dem See und verwandelt sich in einen breiten Fluss. Die Sonne wirft ein goldenes Licht auf das Wasser.
,,Gefällt es Mira?" ,,Es...es ist wunderschön." Würde ich hier nicht stehen und die kleinen Wasserspritzer in meinem Gesicht spüren, ich würde denken es ist eine Filmkulisse für die nächste Kussszene.
,,Winnetou hat diesen Ort vor vielen Sommern endeckt. Seitdem komme ich so oft es geht hierher, wenn wir den Sommer in der Nähe verbringen."
,,Danke, dass du ihn mir gezeigt hast. Ich habe so etwas noch nie gesehen." ,,Winnetou würde Mira das Ganze Land der Apachen zeigen, wenn er könnte."
,,Das, was ich bisher gesehen habe reicht vollkommen aus. In der Zeit, in der ich hier bin hab ich mehr gesehen, gelernt und erfahren wie noch nie in meinem ganzen Leben." ,,Winnetou ist glücklich wenn Mira es auch ist", antwortet er lächelnd. Eine Zeit lang hört man nur das Plätschern des Wassers, bis ein lautes Knurren unsere Aufmerksamkeit bekommt. ,,Wir sollten schnell gehen." ,,Was war das?" ,,Wölfe. Sie werden uns nichts tun, trotzdem sollten wir ihnen nicht begegnen. Komm." Er greift nach meiner Hand und zieht mich weg von dem wunderschönen Ort.

Einige Männer kommen erfolgreich von der Jagd wieder. Ebenso sind ein paar Frauen dabei Beeren zu sortieren und in die noch schwache Sonne zu legen, damit sie trocken werden.
,,Winnetou wird mit anderen Apachen losreiten und und die Wölfe beobachten. Wir werden erst in der Dunkelheit zurück sein." ,,Bis später." Er gibt mir einen Kuss und holt sich dann einen gescheckten Hengst aus der Herde. Ich sehe noch zu, wie sie wegreiten, dann laufe ich durch das mittlerweile aufgebaute Lager und suche nach Arbeit. Schließlich setze ich mich neben Naira und helfe ihr beim kochen. ,,Wo war Mira mit Winnetou?" ,,Du bist viel zu Neugierig", gebe ich lachend zurück. ,,Winnetou liebt dich sehr. Es ist schön ihn so glücklich zu sehen." ,,Er ist ebenso stolz auf dich, du glaubst gar nicht wie oft er das erwähnt." ,,Hat Mira auch Geschwister?" ,,Nein. Ich hab mir zwar immer eine kleine Schwester gewünscht, aber ich bekam nie eine." Sie schweigt. Was soll sie auch groß sagen? Mitleid ist unnötig.

,,Mira. Hör mir zu. Du musst herkommen. Finde mich. Das Amulett wird dich leiten. Hab keine Angst, ich passe auf dich auf. Komm zu mir."

Nass geschwitzt wache ich auf. Gestresst winde ich mich in Winnetous Armen, um der unglaublichen Hitze unter der Decke zu entfliehen. Irgendwann schaffe  ich es, dass er aufwacht und seinen Griff lockert. Sofort stehe ich auf und renne zu meinem Rucksack. Wie eine Irre durchsuche ich ihn nach dem kleinen Anhänger. ,,Was macht Mira. Sie soll schlafen."
,,Ich muss weg." ,,Nein. Du gehst nicht alleine raus." ,,Aber..."
,,Nein. Winnetou erlaubt es nicht." Seine Stimme ist scharf. Dann halt anders. ,,Tut mir leid. Ich war nur etwas aufgewühlt", murmel ich leise und verstecke das Amulett in meiner Hand.
Ich setze mich wieder zu ihm.
,,Möchte Mira mir davon erzählen?" ,,Nein. Jetzt jedenfalls noch nicht." Er nickt verständnisvoll und legt wieder seine Arme um mich. Ich zwinge mich so lange wach zu bleiben, bis er eingeschlafen ist. Als ich sicher bin, stehe ich leise auf, schnappe mir ein paar Klamotten und schleiche raus. Es ist kalt, die Luft brennnt auf meiner Haut, trotz der Kleidung.
,,Was macht Mira hier draußen?"
Ahote. Die Wachen hab ich ja komplett vergessen. ,,Ähm... Winnetou ist einverstanden", bringe ich möglichst glaubwürdig raus. Prüfend mustert er mich. Automatisch schließt meine Hand sich fester um die Kette. ,,Wie kann ich sicher sein?" ,,Frag ihn doch", sage ich mit fester Stimme. Er würde es niemals wagen den Häuptling zu stören. ,,Ich glaube aber nicht, dass er erfreut über diese Störung ist." Er nickt.
,,Geh." Damit dreht er sich um und nimmt wieder seinen Platz ein.

Ich weiß zwar nicht genau wohin ich muss, aber erstmal in den Wald. Ich hab ein Bild gesehen in meinem Taum. Dort stand meine Mutter in Lichtgestalt zwischen den Bäumen. Ich sollte eigentlich Angst haben, doch das hab ich nicht. Es ist als wüsste mein Körper den Weg. Je mehr Strecke ich zurück gelegt habe, desto stärker leuchtet das Amulett. Wie am Zeitpunkt meines Zeitsprungs. Der Wald erstahlt in einem grellen Grün, doch so sehe ich wenigstens was, wenn auch nicht viel. Ein leises Rauschen ist zu hören und wird immer lauter. Mit etwas Kraftaufwand breche ich durch die Büsche. Ich bin am Wasserfall. Der Mond leichtet fahl auf das Wasser. Das grüne Licht ist noch helle als zuvor und wirft riesige Schatten an die Felswand. Ich glaube hier bin ich richtig. Doch was jetzt? Gerade will ich umdrehen, als der Mond verschwindet und das grüne Licht wieder schwächer wird. Vewirrt sehe ich mich um. Die Wasserwolke über der Oberfläche wird stärker und steigt höher. Ich sollte wegrennen, zurück zu Winnetou laufen, aber es fasziniert mich. Gebannt beobachte ich, wie die Wolke eine Form an nimmt.
,,Du hast mich gefunden."
,,Mum?" Ängstlich schaue ich mich um. Das Ardenalin steigt und mein Herz klopft schneller.
,,Ich bin hier, Mira." Der Wassernebel lässt eine Gestalt erscheinen. Das könnte tatsächlich meine Mum sein.
,,Was soll das Ganze?" ,,Das hier wird das letze Mal sein, dass ich dich treffen kann. Hör mir zu. Das Amulett gehört den Apachen. Du bist die letzte, die damir gereist ist, es hat jetzt seine Kraft verloren. Du hast dein Glück hier gefunden. Sei stark, meine Tochter, wir sehen uns in den ewigen Jagdgründen wieder."
,,Nein bitte, bleib hier", schluchze ich. Heiße Tränen laufen über meine Wangen. Voller Sehnsucht muss ich zuschauen, wie der Nebel sich auflöst. Ein paar Sekunden später, sieht es so aus, als ob nicht passiert ist. Ich starre auf das Amulett. Es ist wertlos. Mit voller Wucht schmeiße ich es in das Auffangbecken. Immer tiefer sinkt es bis es am Boden ankommt. Der Mond erscheint wieder und lässt das Wasser schimmern. Mit brennenden Augen setze ich mich ans Wasser und weine still vor mich hin. Ein kalter Wind lässt mich weiterhin frieren, doch ich stehe nicht auf. Den Weg zurück finde ich sowieso nicht.

Das weiße MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt