Kapitel 27

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Der nächste Tag startet genauso früh. Doch irgendwie bin ich froh, dass ich laufen muss weil es echt verdammt kalt geworden ist. Schnell ist alles abgebaut und gegessen. Ähnlich wie gestern ordnen sich alle ein und ziehen los. Auf Silver sitzt wieder Pati, ihr Fuß ist richtig angeschwollen. Aber immerhin habe ich diese Nacht genug Schlaf bekommen. Adain sitzt wie gestern auf dem Pferd von Patis Vater und guckt sich alles an, als wäre er der Schäfer und wir seine Schafe. Das ist irgendwie ne witzige Vorstellung. ,,Mira warum hat Silver eine weiße Strähne in seiner Mähne?", fragt Pati ohne Zusammenhang. Was ist das für eine Frage? Wieso hab ich blaue Augen und blonde Haare und sie nicht? Was weiß ich, warum die Natur sich sowas ausdenkt. ,,Silver hat etwas, damit man ihn erkennt. Ich zum Beispiel hab eine Narbe am Handgelenk, von einem Messer. Jeder hat solche Sachen." ,,Mein Papa hat eine ganz lange Narbe an seinem Rücken", erklärt sie mir stolz. Ich merke wie der Angesprochene anfängt zu Lächeln und die Mutte leise lacht. Kein Wunder, wenn man eine so süße Tochter hat.

Wie am Vortag laufen wir den ganzen Tag durch die Berge. Immer tiefer ins Gebirge. Immernoch hängen die Wolken träge vor der Sonne und lassen sich nicht von dem kalten Wind wegbewegen. Durch das Laufen ist mir zwar warm, aber meine Finger sind trotzdem kalt. Was mich ziemlich nervt, da es ein ekelhaftes Gefühl ist. Es geht heute irgendwie total schleppend voran. Die Stimmung ist ziemlich gedrückt, keiner hat mehr Lust unterwegs zu sein. Oft muss angehalten werden. Mittlerweile habe ich die komplette Orientierung verloren und kann somit nicht sagen, wie spät es ansatzweise ist. Immer mal wieder wiehert Silver zu Aponi und etwas später kommt eine leise Antwort zurück. Dann freut er sich immer total und reckt den Hals um sie zu sehen, obwohl sie schön längst hinter den nächsten Felsen verschwunden ist. Schließlich kommen auch wir Letzten an und sehen hinter einer Biegung, wie sich der Großteil des Stammes einrichtet. Die ganze Zeit rutscht Pati unruhig auf Silver rum, der das Ganze nicht so witzig findet. Ich hebe Pati runter und sie hüpft auf einem Bein zu ihren Eltern. Ohne sich weiter von meinem Gepäck stören zu lassen, läuft Silver einfach davon, zu Aponi. Vielen Dank auch Pferd. Seufzend laufe ich ihm hinterher und mache mein Zeug los. Am liebsten würde ich mich sofort hinlegen und einschlafen, aber leider muss ich warten, bis mein Zelt aufgebaut ist. Die lassen mich ja alle nicht mithelfen, was jetzt auch nicht so schlecht ist. Endlich kann ich mich mal umsehen, wo wir hier überhaupt sind. Es sieht aus wie eine große Schlucht, rechts und links sind hohe Felswände, die sowohl vor Feinden als auch vor Wetter schützen. Die beiden engen Ausgänge werden mit Baumstämmen zugemacht, damit die Pferde sich im ganzen Lager frei bewegen können.
,,Hat Mira nichts zu tun?" Ich drehe mich um. ,,Ich bin müde. Die Nächte waren nicht wirklich erholsam." ,,Trotzdem muss Mira ihr Tipi aufbauen, wenn sie nicht draußen schlafen möchte."
,,Du bist witzig Winnetou. Ich bin zwar nicht schwach, aber bei dem Versuch ein Zelt aufzubauen werde ich warscheinlich kläglich scheitern." Er grinst und krault Aponi zwischen den Ohren.
,,Winnetou wird seinen Männern Bescheid sagen. Dann kann Mira wieder beruhigt schlafen", grinst er. ,,Jaja lach ruhig. Du hast ja keine Ahnung wie es ist in einem überfüllten, stickigen Zelt zu schlafen." ,,Natürlich weiß Winnetou das. Wenn die großen Stürme kommen sitzen alle im Gemeinschaftszelt und nur zum Wasser holen geht jemand raus."
Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Aber eigentlich logisch, der Häuptling will ja genauso wenig erfrieren. ,,Dann mach dich nicht lustig über mich." Winnetous Grinsen wird breiter und er will etwas erwiedern, aber in dem Augenblick kommen ein paar Krieger zurück, die die Gegend erkundet haben. Neugierig geselle ich mich zu den anderen Frauen. ,,Rinder, eine ganze Herde. So viele, dass wir für den Winter genug hätten. Wir sollten sie einfangen, bevor sie weiterziehen." Zustimmendes Gejubel.

Nach Amatoks Einwilligung, machen sich die Krieger auf den Weg, unter ihnen Winnetou. Ich stehe einfach nur da und schaue ihnen nach, bis das letzte Pferd  verschwunden ist. Endlich schaffe ich es mich aufzuraffen um meine Baumstämme für das Zelt zu holen. Bei dem Pferd, welches sie transportiert hat, kommt auf einmal Chogan und nimmt sich zwei. ,,Was soll das, das sind meine." Er sieht mich herablassend an. ,,Der Zaun für die Rinder sind wichtiger als Tipi vom weißen Mädchen."
,,Es sind trotzdem meine. Ich muss auch irgendwo schlafen", protestiere ich. ,,Das große Tipi hat noch etwas Platz für weißes Mädchen", kommt es kalt zurück und er geht mit zwei Baumstämmen davon. Mit offenem Mund blicke ich ihm nach. Kurze Zeit später kommt noch Hinovi und nimmt sich ebenfalls zwei Stämme. Als Chogan wieder kommt fange ich erneut an zu reden. ,,Chogan was soll das. Es gibt doch genug andere Stämme. Ich brauche mein eigenes Zelt." ,,Mira hat weder die Bäume gefällt, noch ihr Tipi aufgebaut. Und jetzt soll sie nicht rummeckern sondern helfen." ,,Vergiss es", zische ich und gehe in die entgegengesetzte Richtung. Dann erkunde ich halt etwas die Gegend. Auch wenn ich eigentlich todmüde bin kämpfe ich mir einen Weg durch die Steine und lasse mich irgendwo nieder. Was haben die bloß alle gegen mich. Ich will doch einfach nur meine Ruhe beim schlafen haben. Um mich abzulenken suche ich mir eine etwas größere Steinplatte und einen Sandstein. Dann beginne ich mir hier ebenfalls ein Grab zu bauen. Erst schreibe ich die Daten von meinem Vater drauf, dann von meiner Mutter und schließlich auch von Catori. Natürlich kann ich nicht jeden der hier stirbt auf einen Stein schreiben, aber irgendwie fühlt sich das richtig an, sie mit draufzuschreiben.

An einen Stein gelehnt überblicke ich die Landschaft und kämpfe damit nicht einzuschlafen. Ich sollte langsam mal zurück. Wer weiß, was sich hier so rumtreibt. Meine Gedanken wandern zu dem Luchs und ich bekomme Gänsehaut. Nein danke, dass brauche ich nun wirklich nicht. Mittlerweile sind auch die Männer zurück. Hinter dem Gatter, welches das Lager etwas schützt kann ich mehrere Rinder erkennen. Die sehen ganz anders aus, als bei uns. Die sind viel kleiner und haben dickes Zottelfell. Dazu große mächtige Hörner, die echt gefährlich aussehen. Ich drehe mich wieder um und renne fast gegen Winnetou. ,,Man Winnetou hör auf dich immer anzuschleichen. Irgendwann schlag ich dich noch, wenn du mich erschreckst."
,,Miras Faust wird Winnetou warscheinlich kaum verletzten können", sagt er etwas spöttisch und nimmt meine Hand in seine. Dann formt er sie zu einer Faust.
,,Ich kann ziemlich fest zuschlagen. Das hab ich in meiner Welt gelernt." ,,Das will Winnetou sehen. Morgen kann sie versuchen gehen mich zu gewinnen." ,,Okay", nicke ich.
,,Mira sollte jetzt schlafen gehen." ,,Fragt sich nur wo. Dein Stamm meinte eben, meine Baumstämme für das Zelt als Zaun für die Tiere zu benutzen." ,,Warum haben sie das getan?" ,,Das musst du sie schon selbst fragen. Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung." ,,Dann wird Mira heute Nacht bei mir schlafen. Draußen ist es zu kalt." ,,Danke." Er nickt.
,,Wer hat Miras Holz genommen." Betreten knibbel ich an meinen Nägeln. Wenn ich das jetzt sage, dann mache ich mich noch unbeliebter, als ich eh schon bin und werde warscheinlich gar nicht mehr akzeptiert. ,,Wieso will Mira es nicht sagen?" Ich verdrehe die Augen. ,,Dein Stamm kann mich doch sowieso nicht leiden. Ich will mich nicht noch unbeliebter machen. Das musst du verstehen Winnetou."
,,Winnetou versteht es nicht, aber er wird es akzeptieren." Ich lächel ihn kurz an, bevor ich meine Sachen hole. Ich will einfach nur noch schlafen. Und bei Winnetou kann ich sowieso gut schlafen, also kommt mir das gerade recht.

Das weiße MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt