Kapitel 16

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Am nächsten Tag weiß man kaum noch, dass es den ganzen Abend geregnet hat. Die Herbstsonne strahlt angenehm am blauen Himmel. Nur der schlammige Boden und mein leichter Husten weißt darauf hin. Zum Glück bin ich nicht ernsthaft krank geworden. Draußen ist die Luft kühl und klar. Es herrscht wieder reges Treiben im Lager. Ich gehe zu den Pferden, wo die jungen Tiere glücklich im Schlamm spielen und die anderen sich ausgelassen wälzen. Silver ist von eine dicken Schlammschicht überzogen. Aponi kommt leicht am humpeln zu mir. ,,Na meine Schöne? Geht's dir wieder besser?" Sie schnaubt und scharrt mit dem verletzten Huf. Ich nehme mein komplett verdrecktes Hemd von ihrem Bein und taste es vorsichtig ab.
,,Das sieht doch schon gut aus. Morgen ist es bestimmt verheilt." Silver kommt vorsichtig angelaufen. Bettelnd schnuppert er meine Taschen, nach etwas essbaren ab. ,,Sorry Kumpel, heute hab ich nichts für dich."
,,In welcher Sprache sprichst du?" Ich zucke zusammen und erblicke Winnetou, wie er ein paar Meter entfernt auf dem Zaun hockt. ,,Wie lange sitzt du schon da?", stelle ich die Gegenfrage. ,,Winnetou hat zuerst gefragt", kommt es zurück. Mit einem Satz springt er auf den nassen Boden und kommt zu mir. ,,Das war die Sprache aus meine Welt. So sprechen wir da." Er nickt.
,,Ich war schon ein paar Minuten da. Ich wollte dich nicht stören." Verwirrt denke ich nach, als mir meine Frage wieder einfällt. Stimmt ja. ,,Aponi geht's wieder besser. Die Schwellung ist zurück gegangen", sage ich um den peinlichen Moment zu überspielen. Winnetou schaut sich erst sein Pferd und dann Silver an. ,,Wir sollten zum Fluss. Die Pferde und wir sind voller Erde." Ich nicke. Immer noch klebt Dreck an mir, obwohl ich schon versucht habe mich zu waschen.

Am Fluss tauche ich zwei Finger ins Wasser. Es ist eiskalt. Ich vermisse meine warme Dusche.
,,Worauf wartet Mira?", ruft Winnetou, der schon bis zu den Knien im Wasser steht. Die Pferde sind auch schon drinnen. Nur ich stehe am Rand und kann mich nicht dazu überwinden ins Wasser zu gehen. ,,Es ist kalt." Lachend kommt Winnetou zu mir. ,,Apachen ist nur im Winter kalt." ,,Ich bin aber kein Apache." Er überlegt kurz. ,,Trotzdem muss Mira ins Wasser", sagt er bestimmend und hebt mich hoch. ,,Winnetou lass mich runter." Sofort nimmt er seine Arme weg und ich falle ins kalte Wasser. Manchmal könnte ich mich selber ohrfeigen. Das Wasser saugt sich in meine Klamotten und schmerzt auf der Haut wie kleine Messerstiche. Mit viel Kraft stemme ich mich aus dem Wasser und schleppe mich zum Ufer. Dabei entgeht mir Winnetous amüsierter Blick nicht. ,,So war das nicht gemeint mit loslassen", jammer ich rum. Grinsend fängt er an sich zu waschen während ich zitternd am Rand warte. Die Pferde haben sich mittlerweile in die Sonne gestellt und lassen ihr Fell trocknen. ,,Fertig." ,,Endlich. Bald wäre ich erfroren", murmel ich. Winnetou pfeift die Pferde zu uns. ,,Ich werde reiten", verkünde ich. ,,Das ist gemein. Aponi ist verletzt." ,,Selbst schuld." Ohne Hilfe ziehe ich mich hoch und lege mich auf Silvers Hals. Er ist so schön warm.

In meinen letzen Ersatzklamotten, gehe ich aus dem Zelt. Die anderen beiden Sachen hängen in der Sonne. Hungrig suche ich mir eine Holzschale und setze mich zu den anderen. Ein paar halten Kartoffeln an Stöcken über das Feuer. Vielleicht sollte ich ihnen zeige, wie man sie noch anders zubereiten kann. Sobald ich fertig bin mit essen, gehe ich zu den Frauen und helfe ihnen bei der Arbeit. Gegen Abend kommen die Jäger mit viel erlegtem Wild wieder. Sofort sicher ich mir etwas von dem Brustfleisch und verziehe mich damit um es in dünne Streifen zu schneiden. Das letzte was ich will ist irgendwelche Tiere häuten oder auszunehmen, zumal ich das nicht mal kann. Die fertigen Streifen lege ich auf ein Holzgestell und entfache das Feuer darunter neu, damit keine Insekten daran gehen. Es ist schon fast ganz dunkel, als die Tiere erledigt sind. Wie immer werden die Eingeweide rumgegeben. Und wie immer nehme ich mir Brot und etwas trocknes Fleisch. Irgendwann entferne ich mich etwas und gehe zu dem Grab. Es ist ein Stein, auf den ich mit Sandstein die Namen und Daten von meinen Eltern draufgeschrieben habe. Der Boden ist den Tag über wieder gut getrocken, weswegen ich mich auf den Hügel setze. Der Mond ist mittlerweile aufgegangen und tausende Sterne funkeln am Himmel.

Die Nacht ist schon weit fortgeschritten, als ich wieder zurück gehe. Und trotzdem macht sich keine Müdigkeit bemerkbar. Ich sehe, wie Winnetou in seinem Zelt verschwindet und beschließe ihm hinterher zu gehen. Vorsichtig öffne ich das Zelt und blicke rein. Der Apache dreht sich um und blickt mich fragend an. ,,Ich kann nicht schlafen. Darf ich reinkommen?" Er macht eine einladene Handbewegung. Lächelnd setze ich mich zu ihm.
,,Wo war Mira den ganzen Abend?" ,,Bei meinen Eltern." Er weiß, was ich damit meine.
,,Erzähl mir bitte von ihnen."
,,Sie waren wundervoll. Wir waren eine kleine Familie. Wir gehörten weder zu den Reichen noch zu den Armen. Eines Tages, ich war noch jünger, da wurde meine Vater krank. Keine wusste was er hatte und es dauerte nicht lang bis er starb." Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter. Ich habe angefangen zu erzählen, jetzt bringe ich es auch zuende.
,,Für mich und meine Mutter brach eine Welt zusammen. Es dauerte lange, bis meine Mutter damit klar kam. Doch wir schafften es und führten ein normales Leben, bis meine Mutter auch krank wurde. Sie hatte einen langen Leidensweg, ich bin froh, dass sie letztendlich vom Tod erlöst wurde."
,,Meine Mutter hatte auch eine schwere Krankheit, der sie erlag. Sie passen jetzt alle auf uns auf", kommt es von Winnetou. Ich bin überrascht. Das hätte ich nicht von ihm erwartet. Er hat sich mir anvertraut und das weiß ich zu schätzen.

Das weiße MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt