Kapitel 38

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Die nächsten Tage normalisiert sich alles wieder etwas. Nur Winnetou ist noch besorgter um mich geworden. Meiner Meinung nach etwas übertrieben aber wenn er meint.  ,,Möchte Mira etwas essen?" Er hält mir ein Stück Fleisch hin. ,,Ich hab eben gefrühstückt." Er zuckt mit den Schultern und isst es selber. Dann wendet er sich wieder ab und geht raus. Ich beende meine Arbeit an meinen Winterstiefeln und streife sie über meine Füße. Geil, ist das bequem. Endlich neue Schuhe. Meine alten sind total kaputt. Keine Minute später kommt Winnetou wieder rein gestürmt, kramt seinen Bogen samt Pfeile raus und zieht mich hoch. ,,Was ist los?" Verwirrt ziehe ich meine Hand aus seinem Griff. ,,Comanchen greifen uns an." Er drückt mich raus und ich sehe wie alle aufgeregt durcheinander rennen und Waffen verteilt werden. ,,Mira wird sich mit den Frauen und Kinder verstecken." ,,Nein Winnetou. Sie wollen mich. Wenn ich mit den Frauen gehen, sind alle in Gefahr. Ich werde alleine gehen. So haben alle mehr Chancen." Er überlegt.
,,Bist du sicher?" ,,Du kannst mich eh nicht abhalten." Er greift an seinen Gürtel und drückt mir sein Messer in die Hand. ,,So hat Mira zwei Waffen. Lauf zum See, dort ist eine versteckte Höhle. Warte dort bis Winnetou dich holt." ,,Pass auf dich auf." Liebevoll küsst er mich auf die Haare. ,,Lauf jetzt. Sonst finden sie dich." Ohne auf andere Sachen zu achten renne durch das Lager und kletter eine Böschung hoch. Oben sehe ich wie von links die Comanchen mit Gebrüll angreifen und rechts laufen die ganzen Frauen und Kinder davon. Um keine wertvolle Zeit zu verlieren sprinte ich los, springe über kleine Gräben und weiche Bäumen aus. Die Geräusche werden immer leiser und werden von meinem keuchendem Atem übertönt. Fast wiege ich mich in Sicherheit, als ein Comanche mit einem lauten Schrei aus den Büschen auf mich springt. Mit einem dumpfen Aufprall lande ich auf dem harten Boden. Ohne zu zögern sticht der Typ zu. In letzter Sekunde rolle ich mich zur Seite und werde am Bein getroffen. Ich spüre wie das Blut anfängt zu fließen und sich in meine Hose saugt. Die Luft bleibt mir weg, als er sich mit vollem Gewicht auf mich setzt. Mit letzter Kraft ziehe ich Winnetous Messer aus meinem Hosenbund und steche zu. Stöhnend vor Schmerz rollt er sich von mir und bleibt gekrümmt liegen. Vorsichtig stehe ich auf und schaue mich um. Mein Blick geht zu dem Comanchen, der blutend auf dem Boden liegt. ,,Es tut mir leid", hauche ich. Er ist noch nicht alt, vielleicht 18 oder 19. Und muss schon sterben. ,,Es ist nicht die Schuld des weißen Mädchen. Jetzt lauf, es werden bald mehr kommen." Seine Worte kommen brüchig raus und etwas Blut läuft aus seinem Mundwinkel. Mit einem kleinen zögern fange ich an weiter zu rennen. So schnell wie es mit der Wunde geht. Das Adrenalin betäubt die Schmerzen, ob das jetzt gut ist oder nicht, kann ich nicht sagen.

Mit blutriefender Hose und am Ende meiner Kräfte, erreiche ich endlich den See. Und wo soll jetzt die Höhle sein? Verzweifelt gehe ich das Ufer ab um auf der anderen Seite einen Öffnung zu finden. Bedrohlich ragt die Felswand vor mir auf und wirft einen dunklen Schatten auf das Wasser. Als ich kurz davor bin aufzugeben, finde ich tatsächlich eine leichte Einbuchtung. Langsam bahne ich mir einen Weg an der Felswand, darauf bedacht, nicht auszurutschen. Wenn ich einmal im Wasser landen würde, wars das. An allem, was sich anbietet halte ich mich fest. Dornen bohren sich in meine Handflächen und zerkratzen meine Unterschenkel. Kurz vor dem zusammenbrechen, krabbel ich in die Höhle. Sie ist tiefer, als es von außen scheint, so weit es geht rutsche ich nach hinten durch. Jetzt erst schaue ich meine Wunde an. Der Schnitt sieht sich quer über den Oberschenkel, immer noch fließt Blut raus. Mit meinem Ärmel entferne ich die größten Steine. Zitternd vor Kälte und Angst sitze ich zusammengekauert an der Wand und warte sehnsüchtig auf Winnetou.

Leichte Schritte reißen mich aus meiner Starre. Entweder ich bin jetzt gleich tot, oder jemand rettet mich. Verteidigung meinerseits kommt nicht mehr in Frage. Mein Puls erhöht sich immer mehr, bis Neheyma in mein Sichtfeld kommt. Erleichtert stoße ich meine angehaltene Luft aus. ,,Die Comanchen wurden vertrieben. Winnetou bat mich Mira zu suchen." ,,Wo ist er?" Meine Stimme zittert und ich befürchte das schlimmste. ,,Amatok wurde schwer verletzt. Winnetou blieb bei ihm." Der Versuch aufzustehen scheitert. Neheyma nimmt mich ohne zu zögern hoch und geht Richtung Ausgang. An der Felswand springt er ins Wasser. Klatschnass schleppe ich mich aus dem Wasser. Immerhin ist meine Wunde sauber. Dafür ist mir noch kälter als eh schon. Neheyma nimmt mich wieder hoch und setzt seinen Weg fort. Ausgekühlt klammer ich mich um seine Schulter, um so viel Körperwärme wie möglich von ihm zu bekommen. Das meiste des Weges bekomme ich kaum mit. Ich werde erst wieder richtig wach, als ich auf weiche Felle gelegt werde. Kurz werde ich alleine gelassen, bis Winnetou reingestürmt kommt. Ein Blick auf meine Wunde und er weist Neheyma an Naira zu holen. Ich will protestieren, aber Winnetou legt seine Hand auf meinen Mund. ,,Mira soll nichts sagen. Sie muss einsehen, dass Naira kommen muss." Winnetou scheint immer noch wütend auf die Comanchen zu sein, also mache ich ausnahmsweise mal was er sagt. Stumm warten wir, während die Schmerzen von Minute zu Minute stärker werden. Das Adrenalin baut sich langsam ab. Es kommt mir vor wie Stunden bis Naira endlich da ist. Sie schneidet meine Hose weiter auf, säubert die Wunde komplett und schmiert etwas drauf. ,,Halte sie warm, Winnetou. Ich muss die anderen Verletzten versorgen." Sie steht auf und verschwindet wieder. ,,Mira muss unbedingt ihre Sachen ausziehen." ,,Du musst mir helfen. Ich schaff das nicht alleine", murmel ich mit zitternder Stimme. Ich hab das Gefühl, mein Kreislauf bricht gleich zusammen. Mit Winnetous Hilfe richte ich mich auf und ziehe Jacke und Hemd aus. ,,Mira, ich...", fängt Winnetou zögernd an und schaut auf mein Top. ,,Ist mir egal, mach einfach." In einer Bewegung bin ich auch mein Top los. Immerhin hab ich noch das Lederband. Verzweifelt guckt sich Winnetou meine Hose an.
,,Wie..." ,,Ich mach schon", unterbreche ich ihn leise und öffne den Hosenknopf und Reißverschluss. Er schluckt einmal und hilft mir dann aus der Hose, darauf bedacht, meine Wunde nicht erneut zu verletzen. Aus meinen Sachen holt er schließlich ein neues Brustband und einen Lendenschurz und legt die Sachen neben mich. Mit traurigem Blick streicht er mir die nassen Haare aus meinem Gesicht. ,,Winnetou wird kurz zu seinem Vater gehen. Mira kann sich in der Zeit umziehen."
,,Ist er schwer verletzt?" ,,Ich weiß nicht ob er es schaffen wird." ,,Er ist ein starker Mann. Er schafft das bestimmt." Ich zwinge mich zu einem kleinem Lächeln und umfasse seine Hand mit meiner. ,,Geh jetzt zu ihm. Er braucht dich mehr." Ich spüre wie meine Wunde anfängt zu pochen. ,,Winnetou ist gleich wieder da." Er lächelt ebenfalls, doch seine Augen sind voller Trauer und Bersorgnis. Mein eiskalter Körper zittert zum warm werden. Endlich ist Winnetou weg und ich kann mich komplett umziehen. Es dauert etwas, aber schließlich rutsche ich mit einem Fell näher ans Feuer und ziehe eine Decke über mich.

Das weiße MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt