,,Nein, Mum!" Vor Schreck wache ich von meinem eigenem Schrei auf. Winnetou neben mir ist ebenfalls sofort wach und legt seine Arme um mich. Meine Unterlippe schmerzt und meine Haare kleben in meinem Gesicht.
,,Was ist passiert?", fragt Winnetou liebevoll und dreht mich so, dass ich ihn angucke. Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht und fährt über meine Unterlippe. ,,Du blutest", stellt er fest. Verwirrt fasse ich an meine Lippen und tatsächlich klebt danach Blut an meinen Finger. Ich hab meine Lippe aufgebissen. Wie so oft, wenn ich Stress habe oder schlecht träume. Hier ist mir das zwar noch nie passiert, doch es war nur ein Frage der Zeit. Winnetou macht ein Stück Stoff nass und drückt es vorsichtig auf meinen Mund. Dann holt er eine kleine Schale hervor. ,,Das wird Mira helfen."
,,Was ist das?" Kritisch beäuge ich den Inhalt. Das Zeug sieht ekelhaft aus. ,,Fett von Rindern", erklärt er, als wäre es das normalste der Welt. ,,Ne, das kommt nicht auf meine Lippen." Angewiedert gebe ich ihm das Fett zurück. So gut es auch helfen mag, aber ich hab Butter schon nie runterbekommen, dann werde ich garantiert nicht sowas auf meine Lippen schmieren.
,,Wenn Mira es nicht macht, dann macht es Winnetou." ,,Ich werde das nicht benutzen." Etwas grob stößt er mich zurück, setzt sich innerhalb Sekunden auf mich und fixiert meine Arme mit seinen Beinen. ,,Was soll das, geh von mir runter." Mit einer Hand hält er meinen Kopf fest, mit der anderen nimmt er etwas von dem Fett. ,,Winnetou ich..."
,,Warum muss Mira immer so stur sein?", unterbricht er mich und ehe ich weiß, was los ist, habe ich eine Schicht Rinderfett auf den Lippen. Sofort steigt mir der butterähnliche Geruch in die Nase und ich unterdrücke einen Würgreiz. ,,Kannst du jetzt bitte von mir runter gehen?" Je schneller er runter ist, umso schneller bin ich das Zeug los.
,,Winnetou weiß genau, was Mira dann machen wird. Sie muss jetzt eben warten, bis es trocken ist." Er lockert weder seinen Griff um mein Gesicht, noch seine Beine, also bleibt mir tatsächlich nichts anderes übrig, als zu warten.Ich bin schon fast wieder eingeschlafen, als er endlich seine Griffe lockert und von mir runter geht. Er hält mir seinen Wasserbeutel hin, welchen ich sofort dankend annehme.
,,Möchte Mira erzählen, was sie in ihren Träumen gesehen hat?" Schlagartig kommen die Bilder zurück. ,,Können wir raus?"
,,Wieso?" ,,Ich weiß nicht, das Zelt, es ist so...", leise breche ich ab und starre auf meine Hände.
,,In Ordnung. Wenn Mira es wünscht, gehen wir raus." Er steht auf und fängt an sich etwas über zu ziehen, ebenso wie ich. Mit dicken Klamotten gegen die Kälte gehen wir raus. Es hat wieder angefangen zu schneien, doch es sieht wunderschön aus mit dem schwachen Mondlicht, was durch die Wolken scheint. Winnetou gibt den Wachen ein Zeichen und er greift nach meiner Hand. ,,Meine Mutter erschien in meinem Traum", fange ich leise an, als wir genügend Abstand haben. Der junge Apachenhäuptling schweigt, verstärkt allerdings den Druck an meiner Hand leicht. Eine Zeitlang hört man nur das Knirschen des Schnees unter unseren Füßen. ,,Sie hat gesagt, ich soll aufhören nach einer Antwort zu suchen. Sie hat mich in diese Zeit gebracht, damit ich wieder eine Familie finde. Frag mich nicht wie oder warum. Danach meinte sie, sie muss gehen und wird wiederkommen, wenn sie es schafft." Wir bleiben vor einem steilen Abhang stehen. Tausende Schneeflocken tanzen durch die Luft, glitzern im Mondlicht. Der Wald im Tal, die Bergspitzen, einfach alles ist weiß. Wenn ich die Kälte nicht spüren würde, würde ich denken, dass ist nicht echt. Winnetou dreht sich zu mir und zupft mir einige Schneeflocken aus den Haaren. Er hat ebenfalls welche in den Haaren, sie glitzern schön hell in seinem dunklem Haar. ,,Mira wird bestimmt eine Antwort bekommen. Und selbst wenn nicht, sie sollte nicht zu sehr in der Vergangenheit schwelgen, sondern sich auf ihre Verpflichtungen konzentrieren."
Belustigt ziehe ich meine Augenbrauen hoch. ,,Die da wären?" Er legt seine Hände um mein Gesicht. ,,Mira muss mich glücklich machen." Er grinst frech. ,,Wer sagt das? Du musst auf mich aufpassen, dass ist alles." Sein Grinsen wird noch breiter. ,,Mira ist jetzt Squaw des Apachenhäuptlings." Sein heißer Atmen strömt gegen meine Lippen und zerschmelzt alle Flocken, die sie zwischen uns drängen wollen. Ich ziehe ihn zu mir und er drückt seine Lippen auf meine. Meine zerbissene Unterlippe scheint ihn nicht wirklich zu stören, denn nach kurzer Zeit streicht er mit seiner Zunge darüber. Ohne lange zu zögern öffne ich ebenfalls leicht meinen Mund, um im Kuss zu versinken. Und so stehen wir da, im Meer von tanzenden Flocken, gegenseitig den anderen wärmend und in einer wunderschönen weißen Märchenwelt.
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Das weiße Mädchen
AvontuurMira kommt, nach dem Tod ihrer Mutter, durch unerklärliche Weise nach Amerika. In die Zeit der Indianer. Nach Tagen, in denen sie alleine rumgeirrt ist, trifft sie auf einen Apachenstamm, der sie aufnimmt. Sie lernt die Indianische Sprache Lakota un...