Kapitel 5

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Winnetou kommt mit einem Stapel Holz wieder und macht sich daran Feuer zu machen. Währenddessen öffne ich das Deckenbündel und die Provianttasche. ,,Hast du einen Fluss gesehen?", frage ich wackelig. ,,Winnetou hat ihn gehört. Nicht weit von hier." Ich stehe auf und nehme den Lederbeutel. Schnell finde ich den Fluss. Obwohl es eher ein kleines Rinnsal ist. Ich fülle den Beutel auf, trinke so viel ich kann und mache ihn dann so voll es geht. Der Weg ist nicht lang und somit bin ich wieder am Lager bevor Winnetou das Feuer entfacht hat. Ich nehme mir schon mal einen Fleischstreifen und kaue darauf rum, während ich Winnetou beim Feuermachen zuschaue. Es dauert lange, den Fleischstreifen habe ich schon lange aufgegessen und fast komplette Dunkelheit umhüllt uns. Endlich glüht ein Funken auf und setzt die Gräser in Brand. Winnetou pustet leicht und das Feuer wird größer. Ich gebe ihm den Lederbeutel, einige Fleischstreifen und das restliche Brot. Mit meinem Brot gehe ich zu Silver, der durch das Feuer verschreckt worden ist. Leise rede ich auf deutsch auf ihn ein. Dabei massiere ich ihn in sanften Kreisen am Hals, wie ich es im Stall gelernt habe. Schnaubend senkt er den Kopf. Ich gebe ihm ein Stück von meinem Brot und setze mich wieder zu Winnetou.
,,Mira kann gut mit Pferden umgehen. Winnetou möchte es auch lernen." ,,Ich zeige es dir sp...später." Er nickt und isst weiter. ,,Mira hat zu wenig gegessen", sagt er auf einmal. Er reicht mir sein letztes Stück Fleisch. Ich nehme es, teile es und gebe im die Hälfte wieder.
,,Winnetou mehr", sage ich. Er lächelt wieder und nimmt es an. Wir beide essen die Hälfte. Ich bin zwar nicht ganz satt, aber ich weiß, dass Winnetou mehr als ich braucht. Er ist immerhin ein Krieger. ,,Wie viele Sommer hat das weiße Mädchen schon erlebt?", fragt Winnetou auf einmal. Ich ignoriere jetzt einfach mal die Tatsache, dass er mich weißes Mädchen genannt hat. Das war eigentlich auch das einzige was ich verstanden habe. Ich mache die Handbewegung, die wir vereinbart haben, wenn ich was nicht verstehe. Winnetou nimmt einen kleinen Stock und malt Striche auf den Boden. Ich zähle 23. Das ist bestimmt sein Alter. Ich nehme ihm den Stock aus der Hand und male 17 Striche auf meine Seite. Vor drei Tagen bin ich 17 geworden. Aber das ist ja egal. Er zählt die Striche und sagt nichts.
,,Wir sollten schlafen", sage ich leise und schaue nach seiner Reaktion. Er starrt ins Feuer und nickt abwesend. Ich hole die Decke. Da Naira nur eine eingepackt hat muss ich wohl ohne Decke übernachten. Ich lege Winnetou die Decke über die Schultern und lege mich ein Stück abseits hin. Ich höre auf einmal wie er wieder aufsteht und zu mir kommt. ,,Mira braucht auch Decke." ,,Ich habe ein ähm... das hier", sage ich und deute auf mein Hemd. Das Wort fällt mir grad nicht ein. ,,Du hast nichts", sage ich und deute auf seinen Oberkörper. Winnetou ist wie immer Oberkörperfrei unterwegs.
,,Winnetou teilt mit Mira", sagt er und setzt sich neben mich. Na toll. Jetzt sitze ich hier mit einem gutaussehendem Häuptlingssohn, der sich die Decke mit mir teilen will. Er legt sich hin und hält die Decke hoch. Was bleibt mir anderes übrig? Ich rutsche neben ihn und versuche irgendwie Abstand zu bekommen. Die Decke ist allerdings zu klein und so liege ich ziemlich schnell im Arm von Winnetou. Eine leichte Gänsehaut überkommt mich. Hoffentlich hat er das nicht gemerkt. ,,Mira kalt?", fragt er.
,,Mmh", murmel ich nur leise, da mir das passende Wort nicht einfällt. Er zieht mich noch näher an sich. Jetzt ist mir zwar warm, aber extrem unwohl. Verzweifelt versuche ich einzuschlafen.

Ich werde von einem sanften Schnauben in meinem Gesicht geweckt. Silver steht neben mir und sucht scheinbar Futter. Wie leise kann das Pferd bitte sein, dass nicht mal Winnetou, der eigentlich immer nur leicht schläft, nicht wach geworden ist. Und wie hat sich das Pferd bitte losbekommen. Ich versuche aufzustehen, allerdings klappt es nicht, da ein Arm auf meinem Bauch liegt. Wie ist der dahin gekommen? So vorsichtig wie möglich entferne ich seinen Arm und stehe auf. Silver kommt sofort mit gespitzten Ohren zu mir gelaufen. Scheinbar habe ich Winnetou trotzdem geweckt. Er setzt sich auf und schaut sich um. Das Feuer brennt noch leicht. Ich nehme den Lederbeutel und trinke etwas. Dann reiche ich ihn Winnetou. Er trinkt auch und weist mich an neues zu holen und die Pferde mitzunehmen. Ich hole also noch Aponi, die brav an dem Baum steht. Mit den beiden an der Hand gehe ich in Richtung Bach. Dort lasse ich die beiden trinken. Ich selber trinke auch, lasse den Beutel volllaufen und wasche mir einmal durchs Gesicht. Am Lager hat Winnetou bereits das Feuer gelöscht und die Decke zusammengerollt. Er gibt mir ein Stück Brot, dass noch übrig ist. Ich gebe Silver ein Stück ab damit er das Vertrauen nicht verliert. Immerhin ist er nicht abgehauen, als er frei war. Das ist doch schon mal was. ,,Und jetzt musst du reiten", sagt Winnetou und deutet auf Silver. Vorsichtig lege ich meine Hände auf seinen Rücken und drücke sie etwas runter. Sofort spannt sich Silver an. Ich schüttel den Kopf. ,,Ich mache es bei... bei Zu...bei den Zelten", bringe ich mühsam zusammen. ,,Sonst Silver kein du weißt schon", sage ich und überlege fieberhaft. Wie kann ich ihm das erklären.
,,Wie bei dir und Aponi", versuche ich es. ,,Vertauen?" Das wird es wohl sein. Ich nicke. Winnetou deutet auf Aponi und erlaubt mir somit sie zu reiten. Dann bin ich wohl diesmal vorne. Ich streiche Aponi über den Hals, dann nehme ich eine Strähne in die Hand und steige auf, wie ich es ohne Sattel gelernt habe. Winnetou gibt mir die Tasche und die Decke und hängt sich wieder den Wasserbeutel an die Hose. Zuletzt drückt er mir den Strick von Sliver in die Hand. Dann zieht er sich elegant hinter mir hoch. Er ruscht so nah es geht an mich ran und nimmt sich mit der einen Hand den Zügel und legt den anderen um meine Hüfte. Sein heißer Atem strömt in meinen Nacken und verursacht erneut Gänsehaut.
,,Ist Mira kalt?", fragt er und gibt Aponi das Zeichen zum loslaufen. Sein Ernst? Ist er echt so blöd?
,,Der Wind", gebe ich als Antwort. Er muss ja nicht wissen, dass es der Wind ist, der von seinem Mund kommt. Silver trottet brav neben Aponi her, sodass wir bald anfangen zu galoppieren. Leider wird dadurch Winnetous Griff stärker. Denkt der echt ich hab kein Plan von Pferden? Ich hab einen wilden Mustang mal so eben gezähmt. Obwohl wild kann man den nicht nennen. Silver hat wahrscheinlich einfach ein zu gutes Herz um einen hohen Rang in der Herde zu haben. Denn so wie er aussieht ist er wohl noch ziemlich jung.

Das weiße MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt