Kapitel 40

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Der unglaubliche Schmerz meiner Wunde weckt mich. Ich will aufstehen, aber zwei Arme halten mich zurück. Mühsam drehe ich mich um und sehe Winnetou, der tief schläft und sich an mich klammert. Sein leichter Atem streift immer wieder über mein Gesicht. Er sieht um einiges besser aus als gestern. Seine Augenringe sind wieder verschwunden und er hat einen entspannten Gesichtsausdruck. Ich versuche mich aus seinen Armen zu befreien, allerdings zieht er mich aus Reflex nur noch mehr an sich. Also drehe ich mich wieder um und betrachte die Decke. Meine Hand lege ich auf Winnetous, welche auf meinem Bauch liegt. Ich hoffe, dass es Silver und Aponi gut geht. Vorallem Aponi. Wenn sie zu sehr unter Stress steht, kann sie schnell ihr Ungeborenes verlieren. ,,Wie lange ist Mira schon wach", ertönt eine verschlafen Stimme neben mir und kurz darauf bekomme ich einen Kuss auf meine Haare. ,,Noch nicht lange. Geht es dir besser?" Ich drehe mich mit dem Gesicht zu ihm. Er nickt. ,,Meinem Vater geht es auch besser. Naira meinte, er kann bald sein Zelt verlassen."
,,Das hört sich gut an. Will er wirklich, dass du Häuptling wirst?" ,,Er wird nie wieder ganz gesund werden. Winnetou ist bereit dazu, seinen Stamm anzuführen." Er legt seine Hand auf meine Wange und küsst mich. Dabei dreht uns etwas und beugt sich über mich. ,,Das reicht", sage ich irgendwann und schiebe ihn von mir runter. Etwas enttäuscht sieht er mich an. ,,Ich hab Hunger. Und möchte zu Silver und Aponi." Er lächelt und legt seine Lippen noch ein letztes Mal auf meine, bevor er mich hochzieht. Vorsichtig streicht er über meine Wunde.
,,Sie heilt gut." Er hält mir eine Hose aus Leder hin. ,,Sie ist besser als Miras Stoff." Ich ziehe sie über und tatsächlich, sie ist weit und scheuert nicht und trotzdem sieht sie nicht scheiße aus wie die Schlaghosen aus den 70ern. Schließlich legt Winnetou mir noch eine Jacke um und wir gehen nach draußen. Größtenteils ist schon alles wieder aufgebaut und weggeräumt, wenn man es nicht weiß, würde niemand merken, dass vor ein paar Stunden ein Kampf auf Leben und Tod hier stattgefunden hat. Nach wenigen Minuten finde ich die beiden Pferde unverletzt in ihrer Ecke stehen. Silver freut sich sichtlich mich zu sehen. ,,Winnetou ich muss zu ihm." Verwirrt schaut er mich an. ,,Zu wem will Mira?" Ich schweige und gucke den Boden an. ,,Nein, dass erlaubt Winnetou nicht. Es ist zu gefährlich."
,,Bitte versteh das doch, ich muss es tun." Flehend schaue ich in seine Augen. ,,Dann wird Winnetou mitkommen."
,,Aber..." Er dreht sich um, um sich ein Pferd zu suchen. Ohne Zeit zu verlieren ziehe ich mich so gut es geht auf Silvers Rücken und stoße meine Hacken in seinen Bauch. Überrascht macht er einen Satz nach vorne und galoppiert los. Mit aller Kraft kralle ich mich in die Mähne um nicht runterzufallen. Klug war meine Entscheidung sicher nicht. Einmal wird Winnetou sauer sein und meiner Wunde tut das sicher auch nicht gut. Aber irgendwie muss ich das machen. Ich weiß nicht wieso.

Es dauert einige Zeit, bis ich die Stelle wiederfinde. Die Leiche des Comanchen liegt immer noch da, scheinbar wurde er von seinem Stamm nicht gefunden. Als ich absteige knicke ich mit den Beinen weg und ich spüre, wie der Schnitt erneut aufreißt. Der Geruch von Verwesung dringt in meine Nase. Ich sehe wie die Wunde langsam abfault. Ein Wunder, dass er noch nicht von einem Tier geholt wurde. Doch lange kann das nicht mehr dauern. Mit viel Kraft ziehe ich mich über den Boden, zu seinem unversehrtem Gesicht. Tränen tropfen auf sein Gesicht. Leider wacht er nicht auf, wie in den ganzen Märchen immer. Seine Augen starren weiterhin ins Leere. Mit stark zitternder Hand schließe ich seine Augen. Dass das Blut bei mir mittlerweile, das Bein runter läuft, kriege ich gar nicht richtig mit. Nicht mal das leise Hufgetrappel lässt mich aufsehen. Immer neue Tränen kommen aus meinen Augen.
,,Mira hat sich Winnetous Anweisung widersetzt." Scharf durchschneidet seine Stimme die Stille. Mit tränenüberströmten Gesicht hebe ich meinen Kopf. Verschwommen sehe ich Winnetous Gestalt. ,,Ich hab ihn getötet." Meine Stimme versagt und erneut strömen Tränen über meine Wangen. Starke Arme umschließen meinen Körper.
,,Es wird bald vorbei gehen." Leise dringen diese Worte an mein Ohr, doch helfen tun sie mir nicht. ,,Wann? Ich halte es nicht mehr aus." Ich vergrabe meinen Kopf in Winnetous Brust. ,,Mira ist stark. Und Winnetou wird hinter ihr stehen." ,,Nein Winnetou, ich bin nicht stark. Ich unterdrücke meine Gefühle. In meinem inneren bin ich immer noch das kleine zerbrechliche Mädchen." Winnetou nimmt mein Gesicht in seine Hände und streicht die Tränen weg. ,,Winnetou wird das zerbrechliche Mädchen beschützen. Er hat es versprochen." Seine Lippen treffen auf meine und ein Gefühl der Geborgenheit breitet sich aus. Ein Gefühl, welches am Sterbebett meine Mutter erloschen ist.

,,Wir nehmen ihn mit. Er hat eine angemesse Bestattung verdient." Winnetou zieht sein Messer aus dem Leichnam und hebt ihn schließlich auf sein Reittier. Ich liege immernoch mit blutendem Bein auf dem Boden. ,,Mira hat sich zu viel bewegt. Sie muss schnell zu Naira." Trotz seiner Hilfe, komme ich nur schwer auf Silver. Alles macht mich momentan fertig. Vor wenigen Tagen war ich der glücklichste Mensch der Welt, doch nun bin ich ein gebrochenes Wrack, zerstört von meiner Umwelt, von mir selbst. Schwer atment lehne ich mich an Winnetou und will einfach nur zurück. ,,Es wird Mira bald besser gehen. Sie darf niemals vergessen, dass Winnetou sie liebt." Zu schwach zum antworten, schließe ich meine brennenden Augen und lasse mich von der gähnenden Schwärze umhüllen.

Das weiße MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt