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Eilig sammle ich die verstreuten Blätter ein und versuche sie in einer bestimmten Reihenfolge zu sortieren.
Clara wird bald da sein. In etwa 10 min kommt sie mich abholen, damit wir wie üblich in die Stadtbücherei gehen um uns dort die Fälle gegenseitig vor zu stellen und uns endlich für eines zu entscheiden.

Die ganze Nacht lang habe ich die restlichen, fehlenden Informationen gesammelt.
Ehrlich gesagt ist das nicht meine beste Arbeit.
Meine Gedanken schweifen ständig ab.

Es sind zwei Tage vergangen seitdem ich Jimin das letzte Mal gesehen habe.
Wenn ich an seiner Haustüre klopfe, macht er nicht auf. Und wenn ich ihn anrufe, geht er nicht ran. Aber vielleicht braucht er nur ein wenig Abstand und Bedenkzeit. Das wäre verständlich.

Ich bereue zwar was ich letztens zu ihm gesagt habe, dennoch war es richtig ihm zu zeigen, dass es für mich nicht Okay ist, wenn er mir Sachen wie diese verheimlicht.

Wie benebelt denke ich an den Tag zurück, als ich ihn verletzt und blutverschmiert aufgefunden habe.
,,Du verstehst nicht.
Das ist nicht mein Blut.''

Wessen Blut ist es dann gewesen? Warum war er verletzt? Woher kamen die blauen Flecken am Rücken? Warum ist er abgehauen? Hat er etwas kriminelles getan? Was ist mit seiner Familie?
So viele ungeklärte Fragen und keine einzige Antwort.

Ich schüttle den Kopf. Jetzt liegt es an Jimin.
Entweder ist er mir gegenüber ehrlich oder es wird für immer diese Distanz zwischen uns geben.
Ehrlich gesagt weiß ich nicht welche der beiden Möglichkeiten ich bevorzuge.Vielleicht wäre es das Beste, mein Leben als Einzelgänger fort zu führen. Letztlich wird immer irgendjemand verletzt oder enttäuscht.

Als ich das schrille Klingeln an meiner Haustür höre, springe ich auf und stopfe mein Material in den Rucksack. Geschwind öffne ich die Tür.
Clara sieht mich mit einem breiten Lächeln an. Ich erwidere es so gut es geht.

,,Na, bist du bereite?", fragt sie augenbrauenwackelnd während ich die Tür hinter mir schließe.
,,Mehr oder weniger.", erwidere ich.

-

Nachdem ich nach mehreren Minuten zum Schluss meiner Präsentation komme, fängt Clara an zu klatschen. Ich erzähle ihr einige Details vom Mord und den genauen Arbeitsvorgang dazu.

,,Du warst toll! Wie kannst du nur so flüssig vortragen und das ohne Sprechfehler?"
Ich lächle sie an und zucke dann mit den Schultern. Ich sammle meine Karteikarten und Bilder ein und tausche daraufhin mit Clara den Platz, sodass ich ihr wie eine Art Publikum gegenüber sitze.

,,Also...", ein wenig nervös streicht sie sich eine Haarsträhnen hinters Ohr.
Ich lächle sie ermutigend an.
Oder versuche es zumindest.

,,Am Dienstag Abend des 03.01 in Brighton-", die Stadt kommt mir bekannt vor. Hat sie Taehyung nicht einmal erwähnt?

,,- ergab sich ein Kriminalfall. Der 47 jährige Mann Joon Park-",
Park?

,,-ein Mehrfachtäter, der seinen Sohn seit dem Tod der Mutter und des zweiten Sohnes, Jahre lang unter Alkoholeinfluss misshandelte, wurde die nächsten Tage über festgenommen. Einige Freunde des 20-Jährigen Jungen waren besorgt, da sie ihn seit mehreren Tagen über nicht erreichen konnten und haben daraufhin die Polizei gerufen.

Diese fand in der Wohnung des Betroffenen, den unter Schmerzen und Verletzungen leidenden Jungen und einen alkoholisierten Vater wieder.
Nach Erzählungen hatte dieser unter Kummer des 3. Todestag der verlorenen Familienmitglieder seine Wut und Trauer an den verbliebenen Sohn aus gelassen.

Die Frau und der Zweitgeborene sind vor etwa drei Jahren an einem Autounfall verstorben. Auch der älteste Sohn war dabei gewesen, dieser überlebte jedoch.
Man vermutet, dass der Vater ihm, aber auch der Sohn sich selber, die Schuld zu weißt. Das würde erklären, weshalb er die Misshandlungen geduldet hat."

Jimin's blaue Flecken am Rücken.
Mir wird schlecht.

,,Nach Erzählungen des Vaters habe er sich im Auto mit seinem kleinen Bruder gestritten, sodass die Mutter abgelenkt war und den Unfall baute. Das würde erklären, weshalb sich der Sohn nun die Schuld zuweist. Außerdem-"

,,Clara", etwas verwundert sieht sie zu mir rüber.

,,Was ist mit dem Jungen passiert?", blinzelnd erwidert sie meinen Blick.
,,Wie meinst d-"
,,Wo ist er? Was ist mit ihm passiert?!", mit Tränen in den Augen stehe ich etwas hektisch von meinem Platz auf.
,,E-er ist noch vor den Gerichtsverhandlungen verschwunden. Er war im Krankenhaus und hat sich selber entlas-", ich drehe mich um und eile nach meinen Rucksack.

Es passt alles. Er ist es. Jimin ist der Sohn.

,,Malia was ist los?", fragt mich Clara und packt mich dabei am Oberarm.
,,Es tut mir leid. Es ist ein Notfall, ich muss los Clara.", ich schüttle ihre Hand ab und renne ohne noch einmal nach ihr zu sehen zum Ausgang der Bibliothek.

Während ich den Weg entlang zu meiner
Wohnung renne, knüpfen meine Gehirnzellen jede Einzelheit mit einander zusammen.

,,Das ist nicht mein Blut an meinen Händen."
Er meinte das metaphorisch. Jimin gibt sich die Schuld für den Tod seiner Mutter und seines Bruders.

Ich dummes, dummes Etwas dachte die ganze Zeit über er wäre gefährlich. Doch der einzige für den Jimin gefährlich sein könnte, ist er selber.
Was habe ich nur getan?

Keuchend erreiche ich den bekannten Block. Mit zittrigen Händen öffne ich die Wohnungstür und sprinte die Treppen hinauf zu unserer Etage. Ich steure wie hypnotisiert auf Jimin's Haustüre zu.

Schwer atmend klopfe ich. Ich klopfe immer schneller und fester und rufe dabei seinen Namen.
Doch mir macht niemand auf.

Ich bemerke die erröteten Wunden an meinen Handknöcheln und ignoriere sie gekonnt.
Als ich vor Verzweiflung am Türknauf rüttle, öffnet sich die Türe ohne jeglichen Widerstand zu leisten. Ich gehe in die Wohnung hinein und laufe geradewegs ins Wohnzimmer, nur um dann zu bemerken, dass alles fehlt.

Nur noch eine aufgeräumte Wohnung mit einzelnen, verbliebenden Möbeln.

Ich spüre wie die heißen Tränen meine Wange hinab fallen.
,,Nein,nein,nein,nein,nein.", flüstere ich und eile in das Schlafzimmer.

Der Raum steht vollkommen leer und das einzig Verbliebene ist ein weißer Umschlag in mitten des Raumes.
,,Jimin du Idiot. Tu mir das nicht an.", ertönt meine weinerliche Stimme als ich nach dem Brief greife; „An Malia"

Ich setze mich auf den kalten Parkett und fange an zu lachen. Lauthals lachend streiche ich mir die Haarsträhnen vom Gesicht.

'Was für ein Klischee. Hinterlässt mir nichts weiter als einen Abschiedsbrief? Mein Leben scheint eine reinste Tragödie zu sein. Ich sollte ein Drama darüber schreiben.

Über meinen Gedanken kichernd streiche ich die Kanten des Umschlages nach.

Und mit einem Mal ist mir nicht mehr nach lachen zu mute. Stattdessen weine ich. Denn ich habe schon wieder jemanden verloren.

Und erneut scheint es meine Schuld zu sein.
Denn er ging freiwillig. Er lässt mich zurück.

Nun sitze ich hier.
Alleine, in der leer stehenden Wohnung eines Jungen der mir so viel bedeutet hat und mir dennoch vollkommen fremd war.

TOUCH | ᴘ.ᴊᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt