Aufgeben

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Ich kann nicht mehr...dachte ich, als ich bei strömendem Regen auf der Brücke stand und hinunter blickte. Ich trat mit einem Schritt näher an den Abgrund und schluchzte erneut auf. Mein Körper zitterte und ich spürte eine tiefe Leere. "Hey..." hörte ich plötzlich eine leise Stimme. Sie drang ganz dumpf an mein Ohr und ich blickte durch verweinte Augen zu dieser Person. Ein großer blonder Junge mit großen grünen Augen stand mit erhobenen Händen da und schaute mich mitleidig an. Ich sagte nichts, ich blickte diesen Jungen nur an ...er wagte es, einen kleinen Schritt auf mich zuzumachen und ich zuckte. "Okay..." entschuldigte er sich sofort und blieb stehen. "ich bin Marco...du brauchst keine Angst haben...was auch immer es ist, es ist es nicht wert dafür sich sein Leben zu nehmen..." versuchte er mich zu beruhigen und seine Stimme zitterte. Wieder musste ich aufschluchzen und schüttelte meinen Kopf. "Du hast keine Ahnung" krächzte ich ihm entgegen und wandte meinen Blick erneut dem Abgrund entgegen. "Wie heißt du?" hörte ich ihn ruhig fragen. Ich atmete tief "Mario.." "Lieber Mario, magst du mir nicht erzählen, was dich bedrückt?!" Ich schüttelte den Kopf und schluckte einen dicken Kloß runter. "Das Leben kann manchmal hart und unfair sein" versuchte er es weiter und ich schloss bei seinen Worten die Augen. "Doch ist es auch schön und wunderbar..." höhnisch schnaufte ich und blickte nun böse zu ihm. "Ach ja...und wieso ist mein Leben dann so scheiße?!" fuhr ich ihn an und sah, wie sein Blick traurig und mitfühlend wurde. "Du brauchst nicht so zu gucken...nützt doch eh nichts...mich braucht die Welt nicht...niemand wird mich vermissen" Bei meinen Worten hatte ich nicht bemerkt, wie Marco immer näher gekommen war. Erst als er eine Hand auf meine legte, zuckte ich zusammen. "Bitte, komm runter..."flehte er mich an. Seine Berührungen taten irgendwie gut und ich fing an zu zögern. "Du willst es doch gar nicht" fuhr er fort und ich schluchzte erneut. Ehe ich mich versah, hatte er mich gegriffen und zog mich vom Geländer runter. Er hielt mich einfach fest und ich konnte nicht anders, als in seinen Armen zusammenzubrechen. All mein Schmerz ließ ich in diesem Moment raus und er hielt mich. Ich kannte diesen Jungen nicht, doch er war gerade da und gab mir halt.. Ein Fremder gab mir genau das, was ich gerade so dringend brauchte und wonach ich mich all die Zeit gesehnt hatte.. Wärme und Geborgenheit. "Ich nehm dich mit zu mir...da kannst du dich aufwärmen" sagte er leise und ich ließ mich mitziehen.

Bei ihm Zuhause angekommen, gab er mir neue Klamotten und eine Wärmflasche. Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Tränen waren versickert...und ich fühlte mich so schlapp und müde. Ich war einfach zu erschöpft. Ich spürte, wie er sich neben mich setzte und eine Decke um mich legte. "Besser?" fragte er und ich blickte ihn an. Er hatte wundervolle Augen und ein tolles Gesicht. Ich nickte und öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, doch es kam nur Gekrächze heraus. "Schh...alles gut" machte er und legte seinen Finger auf meine Lippen. Diese Berührung verursachte ein Kribbeln in mir und ich schloss die Augen. Eine Zeitlang saß ich einfach nur so da...dann öffnete ich meine Augen erneut "Ich..bin schwul... meine Familie hat mich deswegen rausgeschmissen...meine Freunde hassen mich und ich bekomme fast täglich Drohbriefe" sprudelte es aus mir heraus. Marco verzog keine Miene. Dann als ich fertig gesprochen hatte, zog er mich einfach in eine Umarmung und ich genoss die Nähe und Wärme, die ich nach langer Zeit spürte. "Das ist schrecklich, aber immer noch kein Grund, sich das Leben zu nehmen...da draußen wartet noch so viel auf dich Mario und ich bin mir sicher, deine Familie wird es ebenfalls noch bereuen, dich so behandelt zu haben... Die Probleme scheinen dir vielleicht unlösbar, doch manchmal passieren Wunder" sprach er mit solch eine sicheren und ruhigen Stimme, dass ich Tränen in die Augen bekam. "Danke ..Marco" flüsterte ich. "Ich kenn dich nicht...doch irgendwie habe ich das Gefühl...ich müsste dich kennen...du bist so ..wie vertraut" ich wurde etwas rot, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Worte überhaupt kein Sinn ergaben..Doch Marco lachte nicht, oder machte sonst irgendwelche Zeichen von unverständnis. Im Gegenteil, er nickte und lächelte leicht "Ich weiß was du meinst. Als ich dich so da so gesehen habe, musste ich einfach zu dir...Als ob mir eine Stimme gesagt hätte, diesen kleinen lieben Jungen muss ich retten" lachte er leicht und wurde ebenfalls rot. Auch ich musste lächeln und das fühlte sich nach so langer Zeit so gut an. "Sieh an, du hast ja ein wunderbares Strahlen" jetzt schaute ich verlegen auf den Boden, was ihn zum Lachen brachte und bei dem Klang dieses Lachens, spürte ich eine unbeschreibliche Wärme in meinem Herzen. "Darf ich heute hier bleiben?" fragte ich plötzlich und er guckte mich kurz ernst an. Dann nickte er "Ja Mario, das darfst du"

Den ganzen Abend redeten wir noch viel und er erzählte mir aus seinem Leben und ich fühlte die ganze Zeit eine Vertrautheit, die ich nicht beschreiben konnte. Als es schon sehr dunkel war, beschlossen wir, dass es Zeit war zum Schlafen. Er brachte mir etwas zum anziehen und einen Schlafsack. Dann machte ich es mir auf seinem Sofa gemütlich. "Mein Zimmer ist gleich den Flur links, wenn was ist okay?" erklärte er mir und dann machte er das Licht aus. Ich hörte ihn ins Bad gehen und seufzte einmal kurz. Als ich so im dunkeln da lag und den Tag revue passieren ließ, war ich diesem fremden Jungen so dankbar, dass er zum richtigen Moment da gewesen war... vielleicht war es Zufall..vielleicht aber auch nicht...vielleicht musste all diese Scheiße passieren, damit ich so einem Menschen wie diesem Marco begegnete... So viele offene Fragen. Mitten in der Nacht wachte ich schweißgebadet auf und brauchte einen Moment, um zu realisieren wo ich war. Als ich es dann wusste, stand ich auf, um mir ein Glas Wasser zu holen... Es war circa 3 Uhr Nachts und ich schlich mich in die Küche. Mit dem Glas in der Hand, stand ich am Küchenfenster und schaute in die dunkle nacht hinaus. Es regnete noch immer und ich verlor mich in dem Prasseln der Regentropfen, die an die Fensterscheibe tropften. "Kannst du niht schlafen?" ließ mich Marcos Stimme hochschrecken. Ich drehte mich um und sah ihn mit etwas müden Augen zu mir blicken. Ich schüttelte den Kopf und drehte verlegen das Glas in meinen Händen. "Wenn du magst, kannst du auch zu mir...also" fing er an und nach kurzem zögern, folgte ich ihm. Er legte sich auf eine Seite des großen Bettes und hob die Decke etwas, um mir zu zeigen, dass ich drunter schlüpfen sollte. Ich brauchte einen Moment, doch dann nahm ich die Aufforderung an und kuschelte mich unter die warme Decke. "Alles gut?" fragte er leise "Ja" hauchte ich und rutschte etwas näher. "Dann schlaf gut" sagte er und schloss die Augen. Ich schaute ihn weiter durch das nciht komplett dunkle Zimmer an und ohne weiter drüber nachzudenken, griff ich nach seiner Hand. Er erwiderte meinen Griff und strich mit einem Finger leicht über meinen Handrücken. Ich seufzte tief und schloss ebenfalls die Augen. Vorsichtig rutschte ich noch etwas näher und Marco legte kurzerhand einen Arm um meinen Körper...Geschützt und warm durch meinen  Retter schlief ich schließlich ein. Mein Leben hatte sich von nun an nicht viel verändert, doch ich war nicht mehr allein, ich hatte einen Helden, der für mich da war und mir die Kraft gab, die ich brauchte...

OneShots(Götzeus)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt