Kapitel 2

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„Hey, wach auf", hörte ich eine Stimme und verschlafen hörte ich nicht auf die Stimme, sondern drehte meinen Kopf weg von ihr. Doch mein Kopf fiel komisch und ich spürte einen Windhauch, der mich unangenehm im Nacken kitzelte. Müde öffnete ich meine Augen nun doch und bildete mir ein, vor mir eine riesige, mit Gold verzierte Orgel zu sehen und so rieb ich mir mit meinen geballten Händen über die Augen, doch die Orgel blieb.

Und dann fiel mir auch wieder ein, wo ich war. Dass ich den Zug längst verlassen und mich auf den Weg zur Frauenkirche gemacht hatte, in der ich nun saß. Eigentlich hatte ich nur vorgehabt, kurz meine Augen zu schließen und nicht direkt einzuschlafen, doch anscheinend war mir dies nicht gelungen und nun hatte mich irgendjemand aus meinem Tiefschlaf geholt, was vermutlich auch besser so war. Eine Kirche war nicht unbedingt der beste Ort zum Schlafen.

„Tut mir leid, Sie aufgeweckt zu haben, aber ich denke, Sie sollten sich einen bequemeren Ort suchen, als die Bank in einer öffentlichen Kirche, immerhin sind die nicht besonders bequem. Sie sehen müde aus, vielleicht sollten Sie besser morgen Ihr Sightseeing beenden und jetzt erst einmal schlafen gehen."

Verschlafen sah ich die Frau mir gegenüber an. Sie war vielleicht Mitte vierzig und hatte sich ihre braunen Haare am Hinterkopf zu einem festen Knoten frisiert. Ihre rote, große Brille betonte ihre grauen Augen und sie lächelte mich freundlich mit leicht geschminkten Lippen an.

„Vielen Dank", bedankte ich mich und lächelte zurück. „Es war nicht meine Absicht, einzuschlafen und ich hatte erst recht nicht vor, den ganzen Tag hier zu liegen, denn wie Sie bereits sagten, die Bänke sind sehr unbequem." Meine letzten Worte wurden von dem Klang einer Glocke verschluckt, die plötzlich zu läuten begann.

„Jesaja...", seufzte die Frau neben mir. „Ich liebe den Klang dieser Glocke."

Ich lächelte sie an und wusste nicht genau, was ich davon halten sollte. Meinen Kopf lehnte ich einfach zurück und lauschte der Glocke - Jesaja, wie die Frau sie genannt hatte.

„Tut mir leid", entschuldigte sie sich, als der letzte Ton verklungen war. „Ich bin übrigens Josefine, freut mich, Sie kennenzulernen und sagen Sie doch bitte du zu mir."

„Ich heiße Salina, freut mich, dich kennenzulernen und sag bitte auch du zu mir. Ich bin immerhin gerade erst achtzehn und werde mich wohl nie daran gewöhnen, mit „Sie" angesprochen zu werden."

„Geht mir genauso", lachte Josefine.

„Woher weißt du, wie die Glocke heißt?", fragte ich dann neugierig nach, da mich diese Frage beschäftigte. Ich hatte bis zum heutigen Tag noch niemanden getroffen, der den Namen einer Glocke in einer Kirche kannte.

Josefine lachte herzhaft auf. „Das ist mein Job. Ich bin Stadtführerin hier und dazu zählt es, dass ich weiß, dass jeden Tag um zwölf Uhr die Friedensglocke zum Gebet aufruft."

Staunend sah ich die Frau an, die neben mir saß. „Macht es ihnen Spaß, Stadtführerin zu sein?", hakte ich dann nach.

„Auf jeden Fall. Meistens jedenfalls. Die Leute, die an einer Stadtführung teilnehmen, interessieren sich meistens für die Stadt und es ist interessant, so viel über eine Stadt zu wissen und auch zu erfahren, was die einzelnen Leute wissen wollen. Aber es gibt auch manchmal Momente, in denen ich Schulklassen herumführe, die überhaupt keine Lust habe und die sind dann meistens noch kombiniert mit Lehrern, die die Führung schon öfters gemacht haben und so nicht mehr zuhören, das macht dann nicht wirklich Spaß. Aber das passiert nicht sonderlich oft und meistens macht es mir Spaß. Ich könnte mir für mich keinen anderen Beruf vorstellen, auch wenn man dafür starke Nerven haben und viel wissen muss. Und sich dann noch verschiedenen Altersgruppen anpassen und entscheiden muss, was sie am ehesten interessiert."

Die SuchendenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt