Kapitel 1

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Noch ein weiteres Mal versicherte ich mich, dass ich alles dabei hatte, was ich zum Überleben brauchte. Unterwäsche, T-Shirts, kurze Hosen, eine lange Hose, ein Kleid, zwei Pullover und einen Schlafanzug. Außerdem eine kleine Flasche Wasser, meinen Kulturbeutel gefüllt mit einer Bürste, Deo, Zahnbürste und Zahnpaste, meinen Laptop, E-Book-Reader mein Ladekabel und einen Collegeblock, daneben ein Etui mit allem an Schreibmaterial, dass ich hatte finden können.

Kopfhörer und mein Handy befanden sich in meinen Hosentaschen, ebenso wie der Fahrradschlüssel, den ich allerdings, als ich ihn bemerkte, wieder auspackte und auf meinen Nachttisch legte. Den würde ich nicht mehr brauchen und meine kleine Schwester, die schon seit Jahren auf mein Fahrrad aus war, würde sich hoffentlich freuen. Drei Briefe lagen auf dem Kopfkissen, das sauber auf meinem frisch gemachten Bett war. Einer für meine Mutter, einer für meinen Vater und einer für meine Schwester. In allen stand ungefähr das Gleiche – dass es mir leid tat, aber dass ich es nicht mehr in der Enge der Stadt aushielt und hier endlich raus musste. Dass ich mich in dem Haus und in meinem Zimmer nicht wohl fühlte und hoffte, etwas schönes zu finden. Dass sie sich keine Sorgen machen mussten und dass ich sie lieb hatte und dass ich sie vermissen würde. Mit purer Absicht hatte ich nicht geschrieben, ich würde mich melden, denn das würde ich nicht machen. Vorerst jedenfalls. Vielleicht irgendwann, aber noch nicht jetzt. Jetzt musste ich erst einmal hier raus.

Ich griff nach der kleinen Holzkiste, die griffbereit auf meinem Schreibtisch lag und legte diese in meinen Rucksack, nach ganz oben, bevor ich ihn sorgfältig verschloss und dann schulterte.

Ein letztes Mal sah ich mich noch um, bevor ich dann, so leise wie möglich, mein Zimmer verließ. Meine Zimmertür schloss ich hinter mir und lief dann durch den Flur bis zur Haustür, die ich öffnete und letztendlich nach draußen trat. Sofort fing ich an, zu frösteln. Es war gerade einmal kurz vor drei am Morgen und dementsprechend kalt. Meine Lederjacke, an der ich sehr hing, war vielleicht nicht das Geeignetste für meine Unternehmung aber sie musste hinhalten, denn ich würde keinen Schritt mehr in das Haus wagen. 

Fast alleine trugen meine Füße mich zum Bahnhof, an dem wir glücklicherweise relativ nah wohnten und dort angekommen zog ich mir am Automaten ein Ticket nach Dresden. Schon als kleines Kind hatte mich die Stadt an der Elbe immer beeindruckt und ich wollte unbedingt dahin, doch bis heute hatte ich es nie geschafft, dorthin zu kommen. Umso aufgeregter war ich, später am Tag, genauer gesagt um 9:55Uhr dort anzukommen. Vermutlich würde ich dann erst einmal frühstücken und mich danach auf den Weg zur Frauenkirche machen, wonach ich dann alle anderen Sehenswürdigkeiten auch zu sehen bekommen würde. Doch noch war es nicht so weit und so ich nahm das Ticket und mein Wechselgeld, bevor ich zu dem Gleis ging, von dem ich abfahren würde – Gleis 5. Der Zug wurde gerade über die Lautsprecher angekündigt, als ich das Gleis betrat und so setzte ich mich gar nicht erst hin, sondern wartete im Stehen auf den Zug, der ein paar Minuten später am Horizont auftauchte und langsam in den Bahnhof einfuhr.

Wie nicht anders zu erwarten, stieg keiner aus dem Zug aus, allerdings stiegen mit mir zwei weitere Menschen ein. Auch der Zug war nicht sonderlich voll, sodass ich mir in Ruhe einen Platz aussuchen konnte. Nachdem ich mein Gepäck sicher über mir in der Ablage verstaut hatte setzte ich mich auf den Fensterplatz, für den ich mich entschieden hatte und lehnte müde den Kopf ans Fenster.

Ich zwang mich dazu, meine Augen offen zu halten, denn der Zug würde nur eine halbe Stunde brauchen, bis er in Osnabrück einfuhr, wo ich dann aussteigen musste um von Gleis 11 auf Gleis 3 zu wechseln, wo ich dann meinen Anschlusszug nach Hannover bekommen würde. In Hannover würde ich dann um 5:37Uhr in den Zug nach Leipzig steigen würde und von dort aus dann, um 8:52Uhr, endgültig nach Dresden fahren.

Das Verlangen, mein Handy herauszuholen oder meinen E-Book-Reader, hatte ich nicht und so sah ich einfach durch das Fenster nach draußen. Der Zug rollte langsam an und schon kurze Zeit später hatten wir Rheine hinter uns gelassen und wurden in der Westfalenbahn willkommen geheißen. Gedankenverloren sah ich durch die Scheibe nach draußen. Es war Sommer und so war es draußen schon recht hell, sodass ich die Häuser, an denen wir vorbei fuhren, sehen konnte und auch die Felder und die mehr oder weniger lichten, kleinen Wäldchen, die neben uns auftauchten.

Die halbe Stunde Fahrt nach Osnabrück verging noch schneller als ich gedacht hatte und so kam es, dass es sich anfühlte wie Minuten, als der Zug das sechste Mal hielt und ich ihn verließ. Der Bahnsteig war eindeutig voller, als der in Rheine gewesen war, und ich erklärte mir das durch die Zeit, in der vermutlich die Pendler aufstanden, die nun zu ihrer Arbeit fahren mussten. Ich persönlich hielt davon nicht viel und würde später darauf achten, dass ich möglichst nah an meinem Arbeitsplatz wohnte, da ich nicht gerade ein Frühaufsteher war geschweige denn eine Person, die gerne früh ins Bett ging und so war ich nicht darauf erpicht, in meinem späteren Leben – wo auch immer ich es beginnen würde – einen weiten Weg zur Arbeit zu haben und jeden Tag schon um 4Uhr nachts aufzustehen. Allerdings hatte ich auch noch immer keine Ahnung, was ich später einmal tun wollte und so blieb mir erstmal noch Zeit, um mein Zuhause zu finden.

Gedankenverloren wechselte ich wie geplant das Gleis und setzte mich dort sogar noch hin, bevor der nächste Zug eintraf. Müde schloss ich einmal kurz die Augen, zwang mich aber dann, sie wieder zu öffnen, da ich zuviel Angst hatte, doch noch einzuschlafen. Und das konnte ich erst im Zug nach Leipzig machen, da alle anderen Züge und Wartezeiten einfach zu kurz waren. Und wenn ich einmal schlief, dann schlief ich erstmal und davon konnte mich dann in den meisten Fällen auch nichts und niemand abhalten, innerhalb der ersten zwei Stunden nicht einmal ein Wecker oder ein Fall aus dem Bett, was ich aus Erfahrung wusste. Durch meinen sehr unruhigen Schlaf war ich schon des öfteren morgens neben meinem Bett aufgewacht und hatte Schmerzen am kompletten Körper, was mich aber während des Schlafes nie gestört hatte.

Auch im nächsten Zug sicherte ich mir einen Fensterplatz, den ich allerdings nicht lange hatte, da ich schnell in Hannover war und in den Zug nach Leipzig stieg und meinen Kopf an die Fensterscheibe lehnte, meine Augen schloss und den Schlaf willkommen hieß.

1096 Wörter

08.09.2017

Die SuchendenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt