Kapitel 8 - Im Herzen des Feindes I

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Kapitel 8 - ImHerzen des Feindes I

11:21 Uhr; Hauptquartier von Racket

„Hey, geht's dir gut?"
Mein Blick schweifte gedankenverloren über die Stadt. Reges Treiben herrschte bereits auf den Straßen Lisamis. Die Stadt, die nicht einmal nachts schlief, war wie ein lebender Impuls. Von Rackets Hauptquartier aus, konnte ich beinah drei Sektoren weit sehen. Der Luxanus Sektor konnte ich allerdings nur erahnen. Zwischen den unzähligen Hochhäusern, blitzten manchmal einige Gebäude aus diesem Sektor hervor.
Inzwischen war der Angriff auf das Hauptquartier von Luxanus zwei Tage her. Nach dem Matthew nicht wiederaufgetaucht war und es auch keinerlei Spuren oder Hinweise auf seinen Aufenthaltsort gab und Thomas festgenommen war, hatte die Regierung Luxanus aufgrund mangelnder Führungskräfte vorrübergehend geschlossen. Eine benachbarte Sektororganisation übernahm solange den Sektor. Tresher hatte dafür gesorgt, dass die TVIs solange in die Obhut von Racket gegeben werden, da Racket schließlich mit zum Projekt gehörte.
Es nahm mich ganz schon mit, dass wir nichts von Matthew gehört hatten. Für mich war er nicht nur der Leiter von Luxanus, sondern er hatte die Rolle des Ziehvaters für uns vier übernommen und war immer unsere Ansprechperson gewesen. Ich wusste genau, dass er irgendeinen Weg gefunden hätte, uns zu kontaktieren. Aber er hatte es nicht getan, was mich darauf schließen ließ, dass irgendetwas nicht stimmte.
Außer ihm vertraute ich nur noch Thomas. Und er saß noch immer in einer Zelle von Racket. Tresher ließ angeblich erneut die Beweise gegen ihn überprüfen. Was Neues hatten wir noch nicht gehört. Eigentlich hatte ich seit sie hier waren noch gar nichts gehört. Racket hatte uns allerlei technischen Geräte abgenommen, bis auf unsere Handys und ID-Bänder, die sie anscheinend nicht bemerkt hatten. Allerdings hatte unsere Handys keinerlei Empfang. Inzwischen vermutete ich, dass Racket hier irgendwo einen Störsender eingebaut hatte, um uns von der Außenwelt abzukoppeln.
„Hey! Erde an Jin!" Eine etwas Genervte und gleichzeitig besorgte Stimme und die Hand, die vor meinem Gesicht rumfuchtelte holte mich zurück in die Realität. „Was ist?", fragte ich verwirrt und sah auf. Ich saß auf der Fensterbank unseres Quartiers, das aus zwei Schlafräumen und einem kleinen Wohnraum bestand, und hatte bis gerade in die Ferne gestarrt.
„Ich habe dich gefragt, ob es dir gut geht?", wiederholte Laurin und setzte sich neben mich.
„Mir geht's gut", antwortete ich. Der Blonde schien mir allerdings nicht wirklich zu glauben und zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
Ich seufzte. „Ich mache mir Sorgen um Matthew. Er hätte uns längst irgendwie eine Nachricht zukommen lassen, wenn mit ihm alles in Ordnung wäre."
„Ich weiß", erwiderte Laurin. „Denselben Gedanken hatte ich auch schon."
Ich setzte mich auf. „Ich habe keinen Bock mehr hier rumzusitzen. Irgendwas muss man doch machen können, um herauszufinden, was hier eigentlich gespielt wird."
„Und was hast du vor?", fragte Laurin skeptisch. „Wie du vielleicht bemerkt hast, sitzen wir hier fest. Wir können das Racket HQ nicht verlassen. Und allein schon auf den Gängen schleicht uns immer irgendwer nach, als hätten sie Angst, wir könnten uns auf einmal wegteleportieren."
„Unwahrscheinlich, Lauri", mischte sich Jason ein, der nicht weit von uns mit geschlossenen Augen auf dem Sofa lag. Eigentlich hatte ich bis gerade gedacht, er würde schlafen.
„Tatsache ist, das wir hier unter Dauerbeobachtung stehen, Jas", brummte Laurin nur verstimmt.
Eh ich etwas erwidern konnte, klingelte es an der Tür. Andrew, der bis jetzt schweigend mit seinem Handy beschäftigt gewesen war, stand auf und öffnete diese.
„Mr. Tresher möchte mit ihnen sprechen", ertönte die Stimme eines der Racket Mitgliedern, die uns bewachten. Angeblich zu unserem eigenen Schutz.
„Und was will er von uns?", fragte Andrew misstrauisch und machte keine Anstalten, die Tür freizugeben.
„Darüber bin ich nicht informiert, Mr. Torres. Tut mir leid."
Mir fiel sofort auf, dass sie uns hier nicht mit unserem Rang eines Agents ansprachen. Bevor Andrew sich noch aufregen konnte - er war im Moment ziemlich schnell reizbar - setzte sich Jason auf. „Lass gut sein, Andy. Früher oder später müssen wir ja mit Tresher reden." Ich sprang schnell von der Fensterbank und war sofort neben Jason um ihn stützen, als dieser schwankend aufstand. Das Serum machte ihm noch immer zu schaffen.
„Na dann los", knurrte Andrew und warf der Mann von Racket einen finsteren Blick zu.
Während wir dem Racket Angestellten über die Gänge folgten, stellte ich zum wiederholten Mal fest, dass das Racket HQ vom Aufbau her eigentlich ziemlich dem von Luxanus ähnelte. Die Atmosphäre hingegen war hier wesentlich angespannter und geschäftsmäßiger. Niemand stand auf dem Gang und unterhielt sich mit jemandem, allerhöchstens ein kurzer und knapper Gruß wurde dem Ranghöheren zu gemurmelt, aber sonst nichts. Allerdings reichte dies schon, um mir das Gefühl zu vermitteln, immer auf der Hut zu bleiben. Ich fühlte sie hier nicht so wohl wie im Lux HQ und von entspannen war in diesem Gebäude gar nicht die Rede.
Der Racket-Typ öffnete vor uns eine Tür und deutete uns an einzutreten. Als ich mit Jason hinter Andrew den Raum betrat, erkannte ich, dass wir uns in einem Konferenzraum befanden, in dem lediglich ein großer Tisch in der Mitte befand, an dem Platz für maximal acht Personen war.
„Mr. Tresher müsste jeden Moment hier sein", erklärte der Angestellte von Racket.
Andrew brummelte irgendetwas in sich hinein und ließ sich auf einen der Stühle nieder. Ich half Jason sich neben ihn zu setzten, eh ich und Laurin dasselbe taten. Ich musterte den Mann, der nun wartend neben der Tür stand, aus leicht zusammen gekniffenen Augen. Die glauben doch jetzt nicht etwa, dass wir jetzt aus diesem Raum flüchten, während man uns kurz alleine lässt, oder?
Jason belustigter Blick wanderte erst zu dem Gitter des Lüftungsschachts über uns und dann zu mir. Du würdest vermutlich wirklich hier rauskommen.
Die Tür öffnete sich erneut und erlangte somit unsere Aufmerksamkeit. Allerdings trat nicht wie erwartet Tresher ein, sondern Alexa.
„Commander Raiden", begrüßte der Racket Angestellte sie mit einem formalen nicken.
„Sie können gehen", sagte sie im Befehlston zu ihm, worauf hin er kurz vor ihr salutierte, eh er den Raum verließ.
Ich betrachte Alexa aus dem Augenwinkel aufmerksam. Ihre langen blonden Haare waren zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden und sie trug eine dunkle Uniform mit silbernen Zeichen auf den Schultern.
„Was bist du jetzt wirklich? Dass mit der Wissenschaftlerin kauf ich dir nicht mehr ab", meinte Laurin, der sie misstrauisch beobachtete.
Alexa ließ einen Moment schweigend den Blick über uns schweifen. „Ich bin die ranghöchste Soldatin und Agentin von Racket."
Bevor einer von uns etwas darauf sagen konnte, betrat Tresher den Konferenzraum. „Gut, ihr seid hier." Er ließ sich gegenüber von mir und Jason an dem Tisch nieder. Laurin, der nun neben ihm saß, rückte unauffällig ein Stück von ihm weg.
Er tippte die Tischplatte an, auf der sofort mehrere Hologramme aufleuchteten. „Also, wir haben den gesamten Angriff auf das Hauptquartier von Luxanus noch einmal untersucht." Er zeigte uns auf er Karte der Grundrisse des HQs, wo die Eindringlinge ins Gebäude gekommen waren. Sicher war, dass sie nicht ohne Hilfe von innen hineingelangen konnten. Gegen diese Tatsache konnten wir nicht mehr widersprechen. Die Beweise waren eindeutig.
„Haben Sie den etwas über die Identität der Eindringlinge herausgefunden?", fragte ich neugierig nach und sah von den Hologrammen auf.
„Genau wissen wir es noch nicht, aber es kann gut sein, dass eine andere Organisation dahintersteckt. Soweit ich weiß, will die Regierung diesen nun ebenfalls nachgehen. Was allerdings sicher ist, sie wollten das T-Virus von Luxanus stehlen."
„Das sind ja viele Neuigkeiten", murmelte ich leise, wofür ich mir prompt einen Tritt vors Schienbein von Laurin einfing, zusammen mit einem warnenden Blick. Tresher sah nur kurz auf.
Andrew ignorierte mich. „Gibt es denn Vermutungen, welche Organisation dahinterstecken könnte?"
Tresher zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, genaues wissen wir noch nicht. Aber ich weiß, dass die Sektororganisation Xernox seit Jahren hinter dem T-Virus hinterher ist. Aber es gibt auch andere Organisationen, denen es zu zutrauen ist. Inzwischen ist es bekannt, welche Vorteile einem das T-Virus bingen kann."
„Xernox?", wiederholte ich. Xernox war eine der größten und einflussreichsten Sektororganisation der ganzen Stadt. Aber ganz so abwegig war das gar nicht, wenn ich genauer darüber nachdachte. Das Xernox nach immer mehr Macht und Einfluss strebte, war allzu bekannt.
Der Leiter von Xernox war damals im Lux HQ gewesen. Ich sah Jason an.
Stimmt. Und er hat sich mit Thomas unterhalten.
Ich stockte. Was ist, wenn Thomas wirklich hintern dem Angriff steckt und er für Xernox arbeitet? Ich musste an das Gespräch zwischen ihm und Liam McChash denken, dass ich beobachtete hatte.
„Was ist mit Matthew?", fragte Jason, wodurch ich keine weitere Antwort bekam.
Tresher schien einen Moment zu zögern. „Wir haben nichts gefunden. Ich vermute, dass er wegen irgendetwas untergetaucht ist."
„Wegen irgendwas?"
„Wir wissen nicht, wer die Eindringlinge sind, aber vielleicht wusste Matthew es. Vielleicht kannte er sie irgendwie und musste untertauchen oder wegen irgendetwas aus der Vergangenheit. Ich weiß es wirklich nicht."
Ich kniff leicht die Augen zusammen. Tresher machte den Eindruck ehrlich zu sein, aber ich glaubte ihm trotzdem nicht.
„Und Thomas?"
„Die Beweise gegen Agent Mitchall habe ich erneut prüfen lassen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass sie von seinem Computer verschickt wurden und dass sein Account angemeldet war, für den er bekanntlich, ja nur selbst das Passwort hat. Er hat ohne Zweifel die Informationen nach außen weitergegeben. Wir haben bereits versucht herauszufinden, an wen er sie geschickt hat, aber die Daten wurden über so viele Server geleitet, dass wir keine Chance haben. Die Berichte haben wir schon an die Regierung weitergegeben, die den Haftbefehl gegen ihn herausgegeben haben." Er sah von einem zum anderen. „Es tut mir leid, dass ihr von einem eurer engsten Vertrauten verraten wurdet."
Auch wenn es sich aufrichtig anhörte, kaufte ich ihm das nicht ab, dass es ihm leidtat. Ein kurzer Blick zu den drei Jungs verreit mir, dass sie ungefähr dasselbe dachten. Laurin betrachtete Tresher mit hochgezogenen Augenbrauen aus dem Augenwinkel, während Andrew die Augen zusammenkniff und Jason sich mit einen leisen aber abfälligen Schnauben zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte.
„Wie auch immer", fuhr Tresher fort, als wir nichts dazu sagten. „Der Regierungsrat hat beschlossen, dass ihr TVIs in die Obhut von Racket gegeben werdet, solange Luxanus geschlossen ist. Wenn ihr zustimmt, könnt ihr auch wieder an Missionen teilnehmen. Allerdings müssen wir vorher noch einige Untersuchungen durchführen, da wir ein Impfstoff gegen das Serum erstellen wollen, mit dem du, Jason, ausgeschaltet wurdest."
„Apropos Serum. Warum hatte Alexa im Lux HQ eigentlich das Serum in ihrem Quartier?", fragte Andrew, während sein Blick zu besagter Racket Soldatin wanderte, die neben ihm stand.
„Ich habe das Serum über eine Kontaktperson von Racket erhalten. Mein Auftrag war es, dieses an das Racket HQ weiterzugeben, damit es hier untersucht werden kann", erklärte sie.
Laurin lehnte sich vor und stützte die Unterarme auf den Tisch. „Und warum warst du eigentlich nun wirklich in unserem HQ, wenn du gar keine Wissenschaftlerin bist?"
„Es gab bereits vor Wochen Hinweise darauf, dass einige Leute aus der Unterwelt der Stadt an das T-Virus gelangen wollten. Ich sollte Hinweise im Luxanus HQ sammeln und überprüfen, ob sich dort bereits jemand eingeschlichen hatte."
„Ah ja. Vor allem das Luxanus da ja auch nicht selber geschafft hätte, wenn wir informiert worden wären", mischte ich mich wieder ein und sah abwechselnd von Alexa zu Tresher und wieder zurück.
„Jin, Racket arbeitet nicht gegen euch", erklärte Tresher mit Nachdruck und sah mich eindringlich an. „Was auch immer ihr für Bedenken wegen uns habt, sie sind völlig unbegründet."
Schließlich war es Andrew, der dazwischen ging, eh ich mich mit dem Racket Leiter anlegte. „Und wie wollen Sie den Impfstoff gegen das Serum entwickeln?"
Tresher wandte den Blick von mir ab. „Anhand des Serums, das Alexa besorgt hat und eures Blutes, wie auch Matthew es mit dem Antiserum getan hat."
Nachdenklich runzelte ich die Stirn, während ich überlegte, woher Tresher eigentlich wusste, wie Matthew das Antiserum für Jason entwickelt hatte. Auf einmal spürte ich einen stechenden Schmerz im Nacken und sofort schnellte meine Hand dorthin. „Geht's noch?! Was soll das?!", fuhr ich Alexa an, die unbemerkt neben mich getreten war und einen Injektor in der Hand hielt, mit der sie mir gerade Blut abgenommen hatte. Alexa grinste mich nur gehässig an und schraubte die kleine Ampulle mit meinem Blut ab, die sie dann verschloss und in ihrer Tasche verschwinden ließ. „Für forschungsbedingte Zwecke, die euch noch sehr gelegen kommen werden."
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Tresher Alexa einen mahnenden Blick zu warf. Diese Geste verwirrte mich genauso, wie sie mich nur noch misstrauischer machte. Ich hatte keine Ahnung, was hier eigentlich los war.
Was glaubst du, hat er vor? Hörte ich Jason Stimme in meinen Gedanken.
Wer? Tresher?
Wer sonst, Jin?
Ich weiß es noch nicht, aber ich werde dem mal nachgehen.
Reite dich nicht in irgendwas rein.
Seit wann bist du der Vernünftige Jas? Das ist doch eher Andys Aufgabe.
Na irgendwer muss ja realistisch bleiben.


14:32 Uhr; Hauptquartier von Racket

Amüsiert beobachtete ich den Racket Rekruten, dergerade mit seiner Vorgesetzten und momentanen Trainerin diskutierte. Dierestlichen Rekruten standen mit verunsicherten Blicken etwas hinter demAufmüpfigen. Anscheinend hätte sich niemand von ihnen getraut, ihrerVorgesetzten zu widersprechen. Na ja, ihre Vorgesetzte war ja auch niemandanderes als Alexa, die heute sowie so mehr als nur schlecht gelaunt war. Undder Grund dafür war Jason, der sich mit ihr angelegt und ihr Wortgefecht auchgewonnen hatte.
Nach weiteren fünf Minuten schickte Alexa den Rekruten dann wutentbranntweitere zehn Runden laufen und den Rest schickte sie zu nächsten Übung, die siedaraufhin überwachte.
Mit einem Schmunzeln stieß ich mich von der Wand neben der Tür ab, an der ichbis jetzt gelehnt hatte und schlenderte seelenruhig zu der blonden Frau.„Netter Rekrut", meinte ich, als ich neben ihr stehen blieb und den laufendenjungen Mann betrachtete, der nicht viel älter als ich selbst seien konnte.
Alexa bedachte mich mit einem kurzen Blick aus dem Augenwinkel. „Was willstdu?"
„Mir war langweilig, da wir ja das Hauptquartier nicht verlassen dürfen. Und dadu mir während meines Trainings auf die Nerven gegangen bist, dachte ich mir,dass ich den Spieß mal umdrehe", grinste ich.
Alexas Blick lag noch immer auf den Rekruten. „Du bist nicht gerade jemand, derein Blatt vor den Mund nimmt, oder?"
„Nö."
„Also nochmal, was willst du? Nur mir auf die Nerven gehen, sicherlich nicht."
„Wie gesagt, ich habe nichts zu tun. Also erkunde ich etwas das RacketHauptquartier. Die Chance hat man schließlich auch nicht alle Tage." Ich lehntemich unbemerkt etwas zurück und griff langsam nach hinten.
„Na, dann wünsche ich dir viel Spaß beim Erkunden. Ich habe zu tun", damitsetzte sich Alexa mit einem genervten Blick in Bewegung und lief zu denRekruten.
Ich sah ihr grinsend nach und drehte die Schlüsselkarte in der Hand, die bisgerade noch an Alexas Gürtel gehangen hatte.     

SKYLINE - AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt