Kapitel 28 - Hinter den Fassaden

56 5 3
                                    



Kapitel 28 - Hinterden Fassaden

23:59 Uhr, Hauptquartier von Racket

„Habt ihr wirklich gedacht, ihr würdet unserer HQ wieder verlassen können?", durchdrang eine Stimme die Eingangshalle. Ich drehte mich um, wobei mein Blick über die Agenten, Soldaten und Polizisten wanderte, die alle ihre Waffen auf uns gerichtet hatte, bis ich schließlich Tresher sah. Er kam aus dem Hauptgang, der gegenüber von dem Ausgang lag und drängte sich durch die Agenten. Vor diesen blieb er stehen und sah uns nacheinander an.
Mein Blick huschte zu Andrew, der mit Laurin und Jason einige Meter von mir entfernt stand. Ich konnte ihm ansehen, dass er verzweifelt nach einem Ausweg suchte, während Jason so aussah, als würde er Tresher am liebsten erschießen.
Neben Tresher erschien nun Alexa, die augenblickliche ihre Waffe aus dem Holster riss und auf mich richtete.
Treshers Blick ruhte eindringlich auf mir. „Gib mir die Blutprobe zurück und ich lasse euch gehen, Jin."
Was? Woher wusste er, dass ich die Blutprobe aus dem Labortrakt geklaut hatte? Das konnte er gar nicht wissen. Joshua und ich hatten sorgfältig darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen.
Ich sah zu Joshua, der gerade neben Alexa aufgetaucht war und kaum merklich den Kopf. Er wusste nicht, warum Tresher Bescheid wusste.
Aber mir kam gerade eine bitterböse Ahnung. Tresher hatte zurückverfolgen lassen, wo die Kameras durch meine Störsender ausgefallen waren. Ich hatte ihm geradewegs eine Spur zu meinem Ziel gelegt, der er einfach nur folgen musste. Und er hatte es getan.
„Jin. Die Probe", drängte Tresher.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein", flüsterte ich und wiederholte es dann lauter. „Nein."
„Du wirst sie mir geben, oder ihr vier werdet dieses Gebäude nicht mehr verlassen", knurrte der Racket Leiter nun wütend.
Ich sah wieder zu Andrew, der nur stumm den Kopf schüttelte.
„Gib sie ihm nicht", meinte auch Jason und sah Tresher hasserfüllt an.
„Wenn ihr mir nicht sofort die Blutprobe gibt, dann...", setzte Tresher an, wurde aber von einer tiefen Stimme unterbrochen.
„Wir wollen zivilisiert bleiben, Daniel."
Mein Blick schloss nach links, wo ein blonder Mann seelenruhig die Treppe hinunter geschlendert kam. Liam McChash.
Ich hielt erschrocken inne und sah den Leiter von Xernox perplex an. Was zum Teufel machte er hier? Ich dachte, Racket und Xernox wären verfeindet. Und hatte Joshua nicht Nathan geschrieben, dass Liam und Daniel Tresher auch ein persönliches Problem miteinander hatte. „Aber...", setzte ich völlig verwirrt an und sah zwischen Tresher und McChash hin und her.
Liam lächelte mich kühl an und blieb in der Nähe von Tresher stehen. „Weiß du, Jin. Es ist erstaunlich einfach, euch zu manipulieren. Ein paar falsche Hinweise hier und dort verteilen und schon denkt ihr zu wissen, was in dieser Stadt los ist."
Und plötzlich verstand ich. Liam McChash und Daniel Tresher bekämpften sich nicht gegenseitig. Sie arbeiteten zusammen. Nein, auch das stimmte nicht. Tresher arbeitete für Liam. Denn als Liam den Raum betreten hatte, hatte Tresher ihm das Wort überlassen und noch immer sah er abwartend zu dem Leiter von Xernox.
Liam kontrollierte Racket.
Er hatte uns glauben lassen, dass wir nur gegen Racket kämpften und Xernox ebenfalls gegen Tresher vorging. Aber in Wahrheit steckte Liam McChash hinter all dem. Er war derjenige, der alles in die Wege geleitet hatte. Der Tresher dazu verleitet hatte, mehr TVIs zu verschaffen.
„Ach, Jin hat es verstanden", lächelte Liam. Aber es war kein freundliches Lächeln, sondern ein kühles, hinterlistiges und manipulierendes. „Jetzt fragst du dich sicher, warum?"
Ich nickte perplex.
„Es ist manchmal echt erschreckend zu sehen, wie wenig die Menschen in dieser Stadt wissen", meinte er Kopfschüttelnd und ich meine, sein Blick streifte kurz Tresher, bevor er wieder zu mir sah. „Sagt dir der Name Michael Marver etwas?"
Ich zuckte zusammen. „Mein Vater."
Liam nickte. „Kennst du den Grund, warum er gestorben ist?"
Leicht schüttelte ich den Kopf. Ich war als Waisenkind aufgewachsen. Das einzige, was ich wusste war, dass meine Eltern nicht mehr leben.
Tresher zischte Liam irgendetwas zu, aber der Xernox Leiter hob nur die Hand und brachte ihn so zum Schweigen, ohne den Blickkontakt mit mir zu brechen. „Dein Vater, Jin, wurde ermordet. Weil er zu viel wusste."
„Von wem?", war alles was ich fragte. Ich war gerade total überfordert und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was hatte das alles hier mit meinen Vater zu tun?
„Ich weiß nicht, ob du dich an Killian Deras erinnern kannst, aber er war vor dreizehn Jahren der Präsident von Lisamis. Dein Vater war ein hoch angesehener Politiker in seinen Reihen. Killian Deras hat ein System eingeführt. Ein Computersystem. Jeder Mensch hat einen Chip in seinem linken Handgelenk, auf dem all seine Daten gespeichert sind."
Ungewollt huschte mein Blick kurz zu meinem Handgelenk und ich merkte, dass ich nicht die einzige war. Auch viele der Racket-Mitarbeiter drehten verwirrt ihre Hände um oder sahen den Leiter von Xernox, der hier wie selbstverständlich in ihrem Hauptquartier stand, ungläubig an.
„Es ist wahr", fuhr Liam fort. „Killian Deras hat es nur geheim gehalten. Nur die oberste Ebene der Regierung weiß davon. Und dein Vater und ich gehörten dazu. Michael Marver war von Anfang an gegen das Chip-System, aber der Präsident konnte es trotzdem einführen. Als dein Vater begann, mit hilfe eines IT-Spezialisten ein Computer Virus zu schreiben, der die Chips zerstörte, ließ Killian Deras ihn ermorden."
„Und warum erzählen Sie uns das jetzt?", fragte Jason mit lauter Stimme.
Liam sah uns vier nacheinander an. Dabei blieb sein Blick etwas länger an Jason hängen und ich meine, dass kurz Schmerz in Liams Augen aufblitzte. Aber es war so schnell wieder weg, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es mir nicht bloß eingebildet hatte. „Weil die TVIs die einzigen sind, die das Chip-System verstören können. Und es muss zerstört werden, bevor es den falschen Leuten in die Hände fällt."
„So wie Ihnen oder Tresher?", fragte ich, als ich meine Stimme endlich wiedergefunden hatte.
Liam sah mich nur belustig an. „Falls du es immer noch nicht verstanden hast, Jin. Ich will das System zerstören, nicht es missbrauchen. Das Chip-System ist eine Gefahr für alle."
Mir viel auf, dass er Tresher nicht verteidigte. Dieser schien es selber auch gemerkt zu haben, denn er war Liam einen finsteren Blick zu. Die beiden schienen sich wirklich nicht leiden zu können und Tresher schien es nicht zu gefallen, dass Liam hier das sagen hatte. Nur aus irgendeinem Grund unternahm er nichts.
„Du musst uns jetzt die Blutprobe geben, Jin", fuhr Liam mit ruhiger Stimme fort. „Ihr vier seit bereits mächtige TVIs, aber ihr werdet es alleine nicht schaffen."
Unruhig drehte ich mich zu Jason, Laurin und Andrew um, die noch immer gut sechs Meter von mir entfernt standen. Jason fing meinen Blick auf und schüttelte den Kopf.
Ich sah wieder zu Liam. „Du willst das Chip-System zerstören? Dann such dir einen anderen Weg. Ich werde nicht zulassen, dass ihr weiten Kindern jede Chance auf ein normales Leben nimmt. Dass ihr sie als Waffen missbraucht."
„Jin", knurrte Liam warnend.
Ich sah ihm fest in die Augen und holte das längliche Gläschen mit meiner Blutprobe hervor. „Such dir einen anderen Weg", wiederholte ich und ließ das Reagenzglas fallen.
Es kam mir vor, als würde der Moment, in dem das Glas hinabviel wie in Zeitlupe verlaufen. Dann zerbrach es in tausend Splitter auf dem Boden und ich wusste genau, dass man die Probe nicht mehr aufsammeln konnte, da sie von dem unreinen Boden verschmutz war.
Ich sah wieder auf und begegnete Liams Blick. Noch immer sah er seelenruhig aus. „Das hättest du dir sparen können, Jin. Ihr kommt nicht aus diesem Gebäude und die Genmutation, die wir brauchen, ist in eurem Blut."
Ich hörte das Piepsen von Laurins Tablets, welches er seit einigen Minuten in der Hand hielt und genau in dem Moment gab es irgendwo im Norden des Racket Hauptquartiers eine Explosion.
Kaum eine Sekunde später fiel der Strom im ganzen HQ aus und die Eingangshalle wurde nur noch von den schwachen Lampen des Notstrom Trafos beleuchtet.
„Was war das?", fragte Tresher und drehte sich zu Alexa um, während Liam uns aus zusammen gekniffenen Augen beobachtete.
„Ich habe euer System gehackt und euren Haupt-Trafo explodieren lassen", erklärte Laurin.
Hinter uns öffnete sich die verriegelte Haupteingangstür, da alle Abriegelungen durch den kompletten Stromausfall aufgehoben waren. Mit einem letzten Blick auf Liam, der uns finster betrachtete, drehte ich mich um und lief Andrew, Jason und Laurin nach.
„Das werdet ihr noch bereuen", hörte ich den Xernox Leiter noch sagten und ein Grinsen schlich sich auf meine Züge. Weder Racket noch Xernox hatten die Genmutation oder den T-Virus. Ich spürte Liams Blick noch in meinem Nacken, bis wir in der Dunkelheit verschwanden. 

SKYLINE - AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt